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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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VI. Beinbruch.
werden in den kalten Monaten durch offene Kohlenbecken erwärmt,
mit denen man sehr unvorsichtig umgeht; die Holzkohlen springen
und spritzen, und die feinen Binsenmatten brennen im Umsehn; die
Papierfenster und Tapetenwände pflanzen den Brand mit reissender
Schnelligkeit fort und erzeugen rasch auflodernd unglaubliche Hitze;
und wenn auch die massiven Ziegeldächer der besseren Häuser dem
Flugfeuer widerstehen, so gerathen doch auch diese leicht von
unten in Brand, da sich ihre Papierfenster wie Zunder schon an
dem glühenden Hauch aus der Ferne entzünden. Selten brennt ein
einzelnes Haus ab; ehe Hülfe erscheint steht eine ganze Strasse in
Flammen. Am grössten ist die Noth bei heftigen Erdbeben im
Winter: die umgestürzten Häuser entzünden sich dann unfehlbar
von innen; Hülfe ist unmöglich, die Flammen brechen plötzlich aller
Orten hervor. Bei dem letzten grossen Erdbeben, im December
1854, sollen in Yeddo gegen 200,000 Menschen verunglückt sein, und
zwar grossen Theils in den Flammen.

Am 12. besuchten Einige von uns den Lackfabrikanten Sebi12. Octbr.
und liessen ihre Pferde vor der Thür. Wie gewöhnlich versammelte
sich eine grosse Menschenmenge vor dem Hause; die Hintersten
drängten nach vorn, eines der Pferde wurde unruhig, warf rückwärts
schreitend einen Knaben zu Boden und trat ihm so unglücklich auf
das Bein, dass der Knochen brach. Dr. Lucius, der bei der Ge-
sellschaft war, legte sogleich einen provisorischen Verband um; -- bald
darauf kam ein japanischer Arzt herbei, der sich überzeugte ob der
Knochen richtig zusammengefügt wäre und dann die Bandagen
kunstgerecht wieder ordnete. Die Menge benahm sich bei dem
ganzen Vorgange verständig und theilnehmend, alle Umstehenden
waren sichtlich erfreut über die hülfreiche Sorgfalt unseres Freundes,
welcher nachher den Patienten bis zu seiner Genesung täglich be-
suchte. Er traf dort häufig mit japanischen Aerzten zusammen und
fand sie zu seinem Erstaunen mit den neuesten europäischen Heil-
methoden vertraut.

Am 15. October feierten wir still den letzten Geburtstag Seiner15. Octbr.
hochseligen Majestät König Friedrich Wilhelm IV. Zum Diner waren
die in Akabane wohnenden Preussen bei dem Gesandten versammelt,
welcher in ernsten Worten die Bedeutung des Tages besprach und
mit seinen Gästen ein stilles Glas auf das Wohl des erhabenen
Kranken leerte. An Bord der Arkona, welche vor Yokuhama lag,
wurde Gottesdienst gehalten und die Mannschaft festlich bewirthet.

VI. Beinbruch.
werden in den kalten Monaten durch offene Kohlenbecken erwärmt,
mit denen man sehr unvorsichtig umgeht; die Holzkohlen springen
und spritzen, und die feinen Binsenmatten brennen im Umsehn; die
Papierfenster und Tapetenwände pflanzen den Brand mit reissender
Schnelligkeit fort und erzeugen rasch auflodernd unglaubliche Hitze;
und wenn auch die massiven Ziegeldächer der besseren Häuser dem
Flugfeuer widerstehen, so gerathen doch auch diese leicht von
unten in Brand, da sich ihre Papierfenster wie Zunder schon an
dem glühenden Hauch aus der Ferne entzünden. Selten brennt ein
einzelnes Haus ab; ehe Hülfe erscheint steht eine ganze Strasse in
Flammen. Am grössten ist die Noth bei heftigen Erdbeben im
Winter: die umgestürzten Häuser entzünden sich dann unfehlbar
von innen; Hülfe ist unmöglich, die Flammen brechen plötzlich aller
Orten hervor. Bei dem letzten grossen Erdbeben, im December
1854, sollen in Yeddo gegen 200,000 Menschen verunglückt sein, und
zwar grossen Theils in den Flammen.

Am 12. besuchten Einige von uns den Lackfabrikanten Sebi12. Octbr.
und liessen ihre Pferde vor der Thür. Wie gewöhnlich versammelte
sich eine grosse Menschenmenge vor dem Hause; die Hintersten
drängten nach vorn, eines der Pferde wurde unruhig, warf rückwärts
schreitend einen Knaben zu Boden und trat ihm so unglücklich auf
das Bein, dass der Knochen brach. Dr. Lucius, der bei der Ge-
sellschaft war, legte sogleich einen provisorischen Verband um; — bald
darauf kam ein japanischer Arzt herbei, der sich überzeugte ob der
Knochen richtig zusammengefügt wäre und dann die Bandagen
kunstgerecht wieder ordnete. Die Menge benahm sich bei dem
ganzen Vorgange verständig und theilnehmend, alle Umstehenden
waren sichtlich erfreut über die hülfreiche Sorgfalt unseres Freundes,
welcher nachher den Patienten bis zu seiner Genesung täglich be-
suchte. Er traf dort häufig mit japanischen Aerzten zusammen und
fand sie zu seinem Erstaunen mit den neuesten europäischen Heil-
methoden vertraut.

Am 15. October feierten wir still den letzten Geburtstag Seiner15. Octbr.
hochseligen Majestät König Friedrich Wilhelm IV. Zum Diner waren
die in Akabane wohnenden Preussen bei dem Gesandten versammelt,
welcher in ernsten Worten die Bedeutung des Tages besprach und
mit seinen Gästen ein stilles Glas auf das Wohl des erhabenen
Kranken leerte. An Bord der Arkona, welche vor Yokuhama lag,
wurde Gottesdienst gehalten und die Mannschaft festlich bewirthet.

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[13/0033] VI. Beinbruch. werden in den kalten Monaten durch offene Kohlenbecken erwärmt, mit denen man sehr unvorsichtig umgeht; die Holzkohlen springen und spritzen, und die feinen Binsenmatten brennen im Umsehn; die Papierfenster und Tapetenwände pflanzen den Brand mit reissender Schnelligkeit fort und erzeugen rasch auflodernd unglaubliche Hitze; und wenn auch die massiven Ziegeldächer der besseren Häuser dem Flugfeuer widerstehen, so gerathen doch auch diese leicht von unten in Brand, da sich ihre Papierfenster wie Zunder schon an dem glühenden Hauch aus der Ferne entzünden. Selten brennt ein einzelnes Haus ab; ehe Hülfe erscheint steht eine ganze Strasse in Flammen. Am grössten ist die Noth bei heftigen Erdbeben im Winter: die umgestürzten Häuser entzünden sich dann unfehlbar von innen; Hülfe ist unmöglich, die Flammen brechen plötzlich aller Orten hervor. Bei dem letzten grossen Erdbeben, im December 1854, sollen in Yeddo gegen 200,000 Menschen verunglückt sein, und zwar grossen Theils in den Flammen. Am 12. besuchten Einige von uns den Lackfabrikanten Sebi und liessen ihre Pferde vor der Thür. Wie gewöhnlich versammelte sich eine grosse Menschenmenge vor dem Hause; die Hintersten drängten nach vorn, eines der Pferde wurde unruhig, warf rückwärts schreitend einen Knaben zu Boden und trat ihm so unglücklich auf das Bein, dass der Knochen brach. Dr. Lucius, der bei der Ge- sellschaft war, legte sogleich einen provisorischen Verband um; — bald darauf kam ein japanischer Arzt herbei, der sich überzeugte ob der Knochen richtig zusammengefügt wäre und dann die Bandagen kunstgerecht wieder ordnete. Die Menge benahm sich bei dem ganzen Vorgange verständig und theilnehmend, alle Umstehenden waren sichtlich erfreut über die hülfreiche Sorgfalt unseres Freundes, welcher nachher den Patienten bis zu seiner Genesung täglich be- suchte. Er traf dort häufig mit japanischen Aerzten zusammen und fand sie zu seinem Erstaunen mit den neuesten europäischen Heil- methoden vertraut. 12. Octbr. Am 15. October feierten wir still den letzten Geburtstag Seiner hochseligen Majestät König Friedrich Wilhelm IV. Zum Diner waren die in Akabane wohnenden Preussen bei dem Gesandten versammelt, welcher in ernsten Worten die Bedeutung des Tages besprach und mit seinen Gästen ein stilles Glas auf das Wohl des erhabenen Kranken leerte. An Bord der Arkona, welche vor Yokuhama lag, wurde Gottesdienst gehalten und die Mannschaft festlich bewirthet. 15. Octbr.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/33>, abgerufen am 23.04.2024.