Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

Anh. II. Das Verfahren des englischen Geschäftsträgers.
man ihm lieber, oder trieb ihn sogar die Sache abzuthun, ehe die
Engländer wiederkämen. Dass der Fürst den Verkehr mit ihnen
wünschte und worauf es ihm ankam, zeigt deutlich das Auftreten
seiner Bevollmächtigten und die bei Zahlung der Entschädigung
dem Geschäftsträger gestellte Bedingung, -- Befürwortung der
Erlaubniss zum Bau eines Kriegsschiffes in England, -- vor Allem
aber das freundschaftliche Verhältniss, in das er seitdem mit ihnen
trat. Der jetzige englische Gesandte lebt in vertrautem Verkehr mit
dem Fürsten von Satsuma; dieser hat englische Agenten in seinem
Dienst, lässt durch solche seine Zuckerfabriken auf den Liukiu-
Inseln
einrichten und verwalten, und junge Leute aus seiner Um-
gebung in England ausbilden. Der halbe Widerstand des vor
Kagosima überreichten Antwortschreibens war der letzte Paroxysmus
altjapanischen Lehnsgehorsams und wäre durch geschickte diploma-
tische Behandlung sicher zu überwinden gewesen. Gewalt aber ver-
trieb man mit Gewalt.

Die Handlungsweise des englischen Geschäftsträgers hat in
seinem Vaterlande eine so scharfe Kritik erfahren, dass jede weitere
Erörterung überflüssig scheinen mag; Earl Russel hat sie aber ge-
billigt. Der Standpunct der Menschlichkeit, von welchem sie die
grösste Anfechtung gefunden hat, muss ja in gewissem Maasse zu-
rücktreten, wo es sich um Wahrung der politischen Ehre handelt;
die Frage ist nur, ob ein solcher Fall hier vorlag.

Zunächst die Forderungen: 100,000 Pfund Sterling und ein
Entschuldigungsschreiben von der Regierung des Taikun für ein
Vergehen, dessen Verhütung ausser ihrer Macht stand; vom Fürsten
von Satsuma 25,000 Pfund Sterling und Bestrafung der Mörder.
Rechtlich und sittlich begründet scheint dem Verfasser nur die letzte
Forderung. Die Mächte des äussersten Westens glauben aber
durch schwere Geldbussen den stärksten Druck üben zu können,
und diese Politik wäre practisch gerechtfertigt, wenn sie erfolgreich
wäre, d. h. Besserung der Zustände bewirkte. Die Völker des öst-
lichen Europa haben immer einen Widerwillen dagegen gehabt, weil
es den Anschein hat, als liessen sich Menschenleben durch Geld-
bussen sühnen; sicher verlangt die politische Ehre nicht die Forde-
rung solcher Entschädigung, wohl aber die Bestrafung der Schul-
digen, wo sie in der Macht der Landesbehörden liegt. Dagegen
muss hier constatirt werden, dass Herr Neale das schriftliche Ver-
sprechen, die Mörder Richardson's zu verfolgen und zu strafen, zu

Anh. II. Das Verfahren des englischen Geschäftsträgers.
man ihm lieber, oder trieb ihn sogar die Sache abzuthun, ehe die
Engländer wiederkämen. Dass der Fürst den Verkehr mit ihnen
wünschte und worauf es ihm ankam, zeigt deutlich das Auftreten
seiner Bevollmächtigten und die bei Zahlung der Entschädigung
dem Geschäftsträger gestellte Bedingung, — Befürwortung der
Erlaubniss zum Bau eines Kriegsschiffes in England, — vor Allem
aber das freundschaftliche Verhältniss, in das er seitdem mit ihnen
trat. Der jetzige englische Gesandte lebt in vertrautem Verkehr mit
dem Fürsten von Satsuma; dieser hat englische Agenten in seinem
Dienst, lässt durch solche seine Zuckerfabriken auf den Liukiu-
Inseln
einrichten und verwalten, und junge Leute aus seiner Um-
gebung in England ausbilden. Der halbe Widerstand des vor
Kagosima überreichten Antwortschreibens war der letzte Paroxysmus
altjapanischen Lehnsgehorsams und wäre durch geschickte diploma-
tische Behandlung sicher zu überwinden gewesen. Gewalt aber ver-
trieb man mit Gewalt.

Die Handlungsweise des englischen Geschäftsträgers hat in
seinem Vaterlande eine so scharfe Kritik erfahren, dass jede weitere
Erörterung überflüssig scheinen mag; Earl Russel hat sie aber ge-
billigt. Der Standpunct der Menschlichkeit, von welchem sie die
grösste Anfechtung gefunden hat, muss ja in gewissem Maasse zu-
rücktreten, wo es sich um Wahrung der politischen Ehre handelt;
die Frage ist nur, ob ein solcher Fall hier vorlag.

Zunächst die Forderungen: 100,000 Pfund Sterling und ein
Entschuldigungsschreiben von der Regierung des Taïkūn für ein
Vergehen, dessen Verhütung ausser ihrer Macht stand; vom Fürsten
von Satsuma 25,000 Pfund Sterling und Bestrafung der Mörder.
Rechtlich und sittlich begründet scheint dem Verfasser nur die letzte
Forderung. Die Mächte des äussersten Westens glauben aber
durch schwere Geldbussen den stärksten Druck üben zu können,
und diese Politik wäre practisch gerechtfertigt, wenn sie erfolgreich
wäre, d. h. Besserung der Zustände bewirkte. Die Völker des öst-
lichen Europa haben immer einen Widerwillen dagegen gehabt, weil
es den Anschein hat, als liessen sich Menschenleben durch Geld-
bussen sühnen; sicher verlangt die politische Ehre nicht die Forde-
rung solcher Entschädigung, wohl aber die Bestrafung der Schul-
digen, wo sie in der Macht der Landesbehörden liegt. Dagegen
muss hier constatirt werden, dass Herr Neale das schriftliche Ver-
sprechen, die Mörder Richardson’s zu verfolgen und zu strafen, zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0323" n="303"/><fw place="top" type="header">Anh. II. Das Verfahren des englischen Geschäftsträgers.</fw><lb/>
man ihm lieber, oder trieb ihn sogar die Sache abzuthun, ehe die<lb/>
Engländer wiederkämen. Dass der Fürst den Verkehr mit ihnen<lb/>
wünschte und worauf es ihm ankam, zeigt deutlich das Auftreten<lb/>
seiner Bevollmächtigten und die bei Zahlung der Entschädigung<lb/>
dem Geschäftsträger gestellte Bedingung, &#x2014; Befürwortung der<lb/>
Erlaubniss zum Bau eines Kriegsschiffes in <placeName>England</placeName>, &#x2014; vor Allem<lb/>
aber das freundschaftliche Verhältniss, in das er seitdem mit ihnen<lb/>
trat. Der jetzige englische Gesandte lebt in vertrautem Verkehr mit<lb/>
dem Fürsten von <hi rendition="#k"><placeName>Satsuma</placeName></hi>; dieser hat englische Agenten in seinem<lb/>
Dienst, lässt durch solche seine Zuckerfabriken auf den <placeName><hi rendition="#k">Liukiu</hi>-<lb/>
Inseln</placeName> einrichten und verwalten, und junge Leute aus seiner Um-<lb/>
gebung in <placeName>England</placeName> ausbilden. Der halbe Widerstand des vor<lb/><hi rendition="#k"><placeName>Kagosima</placeName></hi> überreichten Antwortschreibens war der letzte Paroxysmus<lb/>
altjapanischen Lehnsgehorsams und wäre durch geschickte diploma-<lb/>
tische Behandlung sicher zu überwinden gewesen. Gewalt aber ver-<lb/>
trieb man mit Gewalt.</p><lb/>
          <p>Die Handlungsweise des englischen Geschäftsträgers hat in<lb/>
seinem Vaterlande eine so scharfe Kritik erfahren, dass jede weitere<lb/>
Erörterung überflüssig scheinen mag; Earl <persName ref="nognd">Russel</persName> hat sie aber ge-<lb/>
billigt. Der Standpunct der Menschlichkeit, von welchem sie die<lb/>
grösste Anfechtung gefunden hat, muss ja in gewissem Maasse zu-<lb/>
rücktreten, wo es sich um Wahrung der politischen Ehre handelt;<lb/>
die Frage ist nur, ob ein solcher Fall hier vorlag.</p><lb/>
          <p>Zunächst die Forderungen: 100,000 Pfund Sterling und ein<lb/>
Entschuldigungsschreiben von der Regierung des <hi rendition="#k">Taïk&#x016B;n</hi> für ein<lb/>
Vergehen, dessen Verhütung ausser ihrer Macht stand; vom Fürsten<lb/>
von <hi rendition="#k"><placeName>Satsuma</placeName></hi> 25,000 Pfund Sterling und Bestrafung der Mörder.<lb/>
Rechtlich und sittlich begründet scheint dem Verfasser nur die letzte<lb/>
Forderung. Die Mächte des äussersten Westens glauben aber<lb/>
durch schwere Geldbussen den stärksten Druck üben zu können,<lb/>
und diese Politik wäre practisch gerechtfertigt, wenn sie erfolgreich<lb/>
wäre, d. h. Besserung der Zustände bewirkte. Die Völker des öst-<lb/>
lichen <placeName>Europa</placeName> haben immer einen Widerwillen dagegen gehabt, weil<lb/>
es den Anschein hat, als liessen sich Menschenleben durch Geld-<lb/>
bussen sühnen; sicher verlangt <hi rendition="#g">die politische Ehre</hi> nicht die Forde-<lb/>
rung solcher Entschädigung, wohl aber die Bestrafung der Schul-<lb/>
digen, wo sie in der Macht der Landesbehörden liegt. Dagegen<lb/>
muss hier constatirt werden, dass Herr <persName ref="nognd">Neale</persName> das schriftliche Ver-<lb/>
sprechen, die Mörder <persName ref="http://id.loc.gov/authorities/names/nr98018944">Richardson&#x2019;s</persName> zu verfolgen und zu strafen, zu<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[303/0323] Anh. II. Das Verfahren des englischen Geschäftsträgers. man ihm lieber, oder trieb ihn sogar die Sache abzuthun, ehe die Engländer wiederkämen. Dass der Fürst den Verkehr mit ihnen wünschte und worauf es ihm ankam, zeigt deutlich das Auftreten seiner Bevollmächtigten und die bei Zahlung der Entschädigung dem Geschäftsträger gestellte Bedingung, — Befürwortung der Erlaubniss zum Bau eines Kriegsschiffes in England, — vor Allem aber das freundschaftliche Verhältniss, in das er seitdem mit ihnen trat. Der jetzige englische Gesandte lebt in vertrautem Verkehr mit dem Fürsten von Satsuma; dieser hat englische Agenten in seinem Dienst, lässt durch solche seine Zuckerfabriken auf den Liukiu- Inseln einrichten und verwalten, und junge Leute aus seiner Um- gebung in England ausbilden. Der halbe Widerstand des vor Kagosima überreichten Antwortschreibens war der letzte Paroxysmus altjapanischen Lehnsgehorsams und wäre durch geschickte diploma- tische Behandlung sicher zu überwinden gewesen. Gewalt aber ver- trieb man mit Gewalt. Die Handlungsweise des englischen Geschäftsträgers hat in seinem Vaterlande eine so scharfe Kritik erfahren, dass jede weitere Erörterung überflüssig scheinen mag; Earl Russel hat sie aber ge- billigt. Der Standpunct der Menschlichkeit, von welchem sie die grösste Anfechtung gefunden hat, muss ja in gewissem Maasse zu- rücktreten, wo es sich um Wahrung der politischen Ehre handelt; die Frage ist nur, ob ein solcher Fall hier vorlag. Zunächst die Forderungen: 100,000 Pfund Sterling und ein Entschuldigungsschreiben von der Regierung des Taïkūn für ein Vergehen, dessen Verhütung ausser ihrer Macht stand; vom Fürsten von Satsuma 25,000 Pfund Sterling und Bestrafung der Mörder. Rechtlich und sittlich begründet scheint dem Verfasser nur die letzte Forderung. Die Mächte des äussersten Westens glauben aber durch schwere Geldbussen den stärksten Druck üben zu können, und diese Politik wäre practisch gerechtfertigt, wenn sie erfolgreich wäre, d. h. Besserung der Zustände bewirkte. Die Völker des öst- lichen Europa haben immer einen Widerwillen dagegen gehabt, weil es den Anschein hat, als liessen sich Menschenleben durch Geld- bussen sühnen; sicher verlangt die politische Ehre nicht die Forde- rung solcher Entschädigung, wohl aber die Bestrafung der Schul- digen, wo sie in der Macht der Landesbehörden liegt. Dagegen muss hier constatirt werden, dass Herr Neale das schriftliche Ver- sprechen, die Mörder Richardson’s zu verfolgen und zu strafen, zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/323
Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/323>, abgerufen am 21.05.2024.