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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

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Religiöse Zustände im sechszehnten Jahrhundert.
theosophischen Grundlage. Die Lehren des Confucius sind ethischer
Art und haben in dieser Richtung den grössten Einfluss auf die
japanische Gesittung gehabt. Der Buddismus stützt sich auf eine
Art geoffenbarter Gottesweisheit, lehrt aber eine Theorie von Welt
und Ewigkeit, die in ihren wesentlichen Sätzen fast durchaus ver-
neinend ist. Er fand wohl deshalb so viele Anhänger unter dem in
der Gesittung vorgeschrittenen Volke, weil er bestimmte Glaubens-
sätze lehrt und zum Denken, zur Betrachtung anregt. Was die
japanischen Theologen durch eigenthümliche Ausbildung und Um-
gestaltung allmälich aus diesen Elementen gemacht haben, wissen
wir nicht genau: das Resultat muss aber, nach seinen in der Ge-
sittung des Volkes zu Tage liegenden Wirkungen zu urtheilen, etwas
von dem indischen und chinesischen Buddismus sehr abweichendes
sein. Es gab viele Secten 55), unter denen einige erwähnt werden,
die keine Tempel besuchten, keine Bilder verehrten und ein reines
Leben, innere Zufriedenheit und Heiterkeit als höchstes Ziel und
Beruf des Menschen darstellten. Alle Bekenntnisse wurden vom
Staate als gleichberechtigt angesehen, ja sie hatten nach den Be-
richten einiger Missionare ein gemeinsames Oberhaupt 56), das in
Miako residirte. So heftig die Bonzen unter einander über die
Vorzüge ihrer Lehren stritten, so weit war das Volk von allem
Religionsfanatismus entfernt. Jeder wählte sich die Lehre, die ihm
am meisten zusagte; die christlichen Bekehrer staunten, die Mit-
glieder einer und derselben Familie den verschiedensten Secten
angehören zu sehen, ohne dass Frieden und Eintracht darunter
gelitten hätten.

Zur Zeit der Ankunft der Europäer war der religiöse Bildungs-
process bereits vollendet, die Formen erstarrt. Es gab zwar noch
redliche Denker unter den Priestern -- die ersten Missionare er-
wähnen deren mehrere, die sich zum Christenthum bekehrten und
ihre eifrigsten Helfer wurden -- auch waren theologische Disputa-
tionen, an welchen sich gebildete Laien aus den höheren Ständen
oft betheiligten, an der Tagesordnung, aber es handelte sich dabei
nicht um Erforschung der Wahrheit, sondern um theologische
Spitzfindigkeiten, Paradoxen, um die Siege der Beredsamkeit und

55) Ihre Zahl wird auf mehr als dreissig angegeben.
56) Nicht den Mikado. Dieser ist in gewissem Sinne eine Incarnation der
Gottheit, aber nicht Priester. Der Mikado muss sogar abdanken, sobald er in den
geistlichen Stand tritt.
I. 4

Religiöse Zustände im sechszehnten Jahrhundert.
theosophischen Grundlage. Die Lehren des Confucius sind ethischer
Art und haben in dieser Richtung den grössten Einfluss auf die
japanische Gesittung gehabt. Der Buddismus stützt sich auf eine
Art geoffenbarter Gottesweisheit, lehrt aber eine Theorie von Welt
und Ewigkeit, die in ihren wesentlichen Sätzen fast durchaus ver-
neinend ist. Er fand wohl deshalb so viele Anhänger unter dem in
der Gesittung vorgeschrittenen Volke, weil er bestimmte Glaubens-
sätze lehrt und zum Denken, zur Betrachtung anregt. Was die
japanischen Theologen durch eigenthümliche Ausbildung und Um-
gestaltung allmälich aus diesen Elementen gemacht haben, wissen
wir nicht genau: das Resultat muss aber, nach seinen in der Ge-
sittung des Volkes zu Tage liegenden Wirkungen zu urtheilen, etwas
von dem indischen und chinesischen Buddismus sehr abweichendes
sein. Es gab viele Secten 55), unter denen einige erwähnt werden,
die keine Tempel besuchten, keine Bilder verehrten und ein reines
Leben, innere Zufriedenheit und Heiterkeit als höchstes Ziel und
Beruf des Menschen darstellten. Alle Bekenntnisse wurden vom
Staate als gleichberechtigt angesehen, ja sie hatten nach den Be-
richten einiger Missionare ein gemeinsames Oberhaupt 56), das in
Miako residirte. So heftig die Bonzen unter einander über die
Vorzüge ihrer Lehren stritten, so weit war das Volk von allem
Religionsfanatismus entfernt. Jeder wählte sich die Lehre, die ihm
am meisten zusagte; die christlichen Bekehrer staunten, die Mit-
glieder einer und derselben Familie den verschiedensten Secten
angehören zu sehen, ohne dass Frieden und Eintracht darunter
gelitten hätten.

Zur Zeit der Ankunft der Europäer war der religiöse Bildungs-
process bereits vollendet, die Formen erstarrt. Es gab zwar noch
redliche Denker unter den Priestern — die ersten Missionare er-
wähnen deren mehrere, die sich zum Christenthum bekehrten und
ihre eifrigsten Helfer wurden — auch waren theologische Disputa-
tionen, an welchen sich gebildete Laien aus den höheren Ständen
oft betheiligten, an der Tagesordnung, aber es handelte sich dabei
nicht um Erforschung der Wahrheit, sondern um theologische
Spitzfindigkeiten, Paradoxen, um die Siege der Beredsamkeit und

55) Ihre Zahl wird auf mehr als dreissig angegeben.
56) Nicht den Mikado. Dieser ist in gewissem Sinne eine Incarnation der
Gottheit, aber nicht Priester. Der Mikado muss sogar abdanken, sobald er in den
geistlichen Stand tritt.
I. 4
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[49/0079] Religiöse Zustände im sechszehnten Jahrhundert. theosophischen Grundlage. Die Lehren des Confucius sind ethischer Art und haben in dieser Richtung den grössten Einfluss auf die japanische Gesittung gehabt. Der Buddismus stützt sich auf eine Art geoffenbarter Gottesweisheit, lehrt aber eine Theorie von Welt und Ewigkeit, die in ihren wesentlichen Sätzen fast durchaus ver- neinend ist. Er fand wohl deshalb so viele Anhänger unter dem in der Gesittung vorgeschrittenen Volke, weil er bestimmte Glaubens- sätze lehrt und zum Denken, zur Betrachtung anregt. Was die japanischen Theologen durch eigenthümliche Ausbildung und Um- gestaltung allmälich aus diesen Elementen gemacht haben, wissen wir nicht genau: das Resultat muss aber, nach seinen in der Ge- sittung des Volkes zu Tage liegenden Wirkungen zu urtheilen, etwas von dem indischen und chinesischen Buddismus sehr abweichendes sein. Es gab viele Secten 55), unter denen einige erwähnt werden, die keine Tempel besuchten, keine Bilder verehrten und ein reines Leben, innere Zufriedenheit und Heiterkeit als höchstes Ziel und Beruf des Menschen darstellten. Alle Bekenntnisse wurden vom Staate als gleichberechtigt angesehen, ja sie hatten nach den Be- richten einiger Missionare ein gemeinsames Oberhaupt 56), das in Miako residirte. So heftig die Bonzen unter einander über die Vorzüge ihrer Lehren stritten, so weit war das Volk von allem Religionsfanatismus entfernt. Jeder wählte sich die Lehre, die ihm am meisten zusagte; die christlichen Bekehrer staunten, die Mit- glieder einer und derselben Familie den verschiedensten Secten angehören zu sehen, ohne dass Frieden und Eintracht darunter gelitten hätten. Zur Zeit der Ankunft der Europäer war der religiöse Bildungs- process bereits vollendet, die Formen erstarrt. Es gab zwar noch redliche Denker unter den Priestern — die ersten Missionare er- wähnen deren mehrere, die sich zum Christenthum bekehrten und ihre eifrigsten Helfer wurden — auch waren theologische Disputa- tionen, an welchen sich gebildete Laien aus den höheren Ständen oft betheiligten, an der Tagesordnung, aber es handelte sich dabei nicht um Erforschung der Wahrheit, sondern um theologische Spitzfindigkeiten, Paradoxen, um die Siege der Beredsamkeit und 55) Ihre Zahl wird auf mehr als dreissig angegeben. 56) Nicht den Mikado. Dieser ist in gewissem Sinne eine Incarnation der Gottheit, aber nicht Priester. Der Mikado muss sogar abdanken, sobald er in den geistlichen Stand tritt. I. 4

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/79>, abgerufen am 09.11.2024.