das Land; die Bikuni, die sich meist aus den Töchtern der Berg- mönche ergänzen, sind gewöhnlich sehr hübsch und leichtfertig. Sie sollen nach Kämpfer auf allen Landstrassen zu finden sein und die Reisenden oft meilenweit mit Sirenengesang begleiten. Beide Orden sind privilegirt; die Mitglieder zahlen eine jährliche Abgabe an das Oberhaupt in Yeddo, das ihre gemeinsamen Interessen wahrnimmt. -- Quacksalber, Jongleure und starke Männer schlagen zur Zeit solcher Feste auf den freien Plätzen ihre Zelte auf, man findet Thier- und Schaubuden aller Art; das Volk lärmt und be- lustigt sich laut und ausgelassen, und bis tief in die Nacht schallen jubelnde Stimmen und fröhliche Musik aus den Theehäusern.
Weniger anziehend und belebt als die Strassen des Handels- quartiers sind die aristokratischen Stadtviertel im Siro und Soto- Siro. Nur die innerste, den kaiserlichen Palast umschliessende Enceinte blieb den Fremden unzugänglich, die angrenzenden Stadt- theile durchschnitten wir auf unseren Spazierritten fast täglich. An ihrer östlichen Seite liegt die Ringmauer des Taikun-Palastes wenig höher als die Ebene des O-gava, nach Norden und Westen da- gegen steigt der Boden beträchtlich an. Die nach aussen von grossen polygonischen Blöcken gebaute, nach innen terrassirte Mauer folgt den Hebungen und Senkungen des Hügels, welcher in hohen abschüssigen Rasenböschungen nach den breiten Wassergräben ab- fällt. Auf der Platform und innerhalb des Mauerwalles stehen dichte Reihen von Tannen und anderen Nadelbäumen. Diesseits des Grabens läuft ein breiter Weg bald am Rande des Wassers, bald auf dem hohen Ufer hin, von wo sich die schönsten Aussichten auf das Häusermeer der tiefer liegenden Handelsstadt öffnen; den Vordergrund bilden nach der einen Seite die mauergekrönten grünen Abhänge mit ihren befestigten Thorgebäuden, Dämmen und Brücken, nach der anderen die langen Facaden der Daimio-Paläste; die Linien sind einfach und gross, und der ganze Eindruck sehr imposant. An einigen Stellen durchschneiden Dämme die Gräben, deren Niveau an der Westseite viel höher ist als nach Osten; der Wasserstand scheint durch Schleusen geregelt zu werden. Der Abfluss ist nach dem O-gava hauptsächlich durch den breiten Canal, über welchen die Nippon-Brücke führt. -- Die Ringmauern und Gräben des Soto-Siro sind den inneren ganz ähnlich; dieses Stadtviertel hat seine grösste Erhebung an der südwestlichen Seite, und fällt ebenfalls in hohen üppig bewachsenen Böschungen nach den Wassergräben ab, die hier
Das Siro und das Soto-Siro. V.
das Land; die Bikuni, die sich meist aus den Töchtern der Berg- mönche ergänzen, sind gewöhnlich sehr hübsch und leichtfertig. Sie sollen nach Kämpfer auf allen Landstrassen zu finden sein und die Reisenden oft meilenweit mit Sirenengesang begleiten. Beide Orden sind privilegirt; die Mitglieder zahlen eine jährliche Abgabe an das Oberhaupt in Yeddo, das ihre gemeinsamen Interessen wahrnimmt. — Quacksalber, Jongleure und starke Männer schlagen zur Zeit solcher Feste auf den freien Plätzen ihre Zelte auf, man findet Thier- und Schaubuden aller Art; das Volk lärmt und be- lustigt sich laut und ausgelassen, und bis tief in die Nacht schallen jubelnde Stimmen und fröhliche Musik aus den Theehäusern.
Weniger anziehend und belebt als die Strassen des Handels- quartiers sind die aristokratischen Stadtviertel im Siro und Soto- Siro. Nur die innerste, den kaiserlichen Palast umschliessende Enceinte blieb den Fremden unzugänglich, die angrenzenden Stadt- theile durchschnitten wir auf unseren Spazierritten fast täglich. An ihrer östlichen Seite liegt die Ringmauer des Taïkūn-Palastes wenig höher als die Ebene des O-gava, nach Norden und Westen da- gegen steigt der Boden beträchtlich an. Die nach aussen von grossen polygonischen Blöcken gebaute, nach innen terrassirte Mauer folgt den Hebungen und Senkungen des Hügels, welcher in hohen abschüssigen Rasenböschungen nach den breiten Wassergräben ab- fällt. Auf der Platform und innerhalb des Mauerwalles stehen dichte Reihen von Tannen und anderen Nadelbäumen. Diesseits des Grabens läuft ein breiter Weg bald am Rande des Wassers, bald auf dem hohen Ufer hin, von wo sich die schönsten Aussichten auf das Häusermeer der tiefer liegenden Handelsstadt öffnen; den Vordergrund bilden nach der einen Seite die mauergekrönten grünen Abhänge mit ihren befestigten Thorgebäuden, Dämmen und Brücken, nach der anderen die langen Façaden der Daïmio-Paläste; die Linien sind einfach und gross, und der ganze Eindruck sehr imposant. An einigen Stellen durchschneiden Dämme die Gräben, deren Niveau an der Westseite viel höher ist als nach Osten; der Wasserstand scheint durch Schleusen geregelt zu werden. Der Abfluss ist nach dem O-gava hauptsächlich durch den breiten Canal, über welchen die Nippon-Brücke führt. — Die Ringmauern und Gräben des Soto-Siro sind den inneren ganz ähnlich; dieses Stadtviertel hat seine grösste Erhebung an der südwestlichen Seite, und fällt ebenfalls in hohen üppig bewachsenen Böschungen nach den Wassergräben ab, die hier
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Das Siro und das Soto-Siro. V.
das Land; die Bikuni, die sich meist aus den Töchtern der Berg-
mönche ergänzen, sind gewöhnlich sehr hübsch und leichtfertig.
Sie sollen nach Kämpfer auf allen Landstrassen zu finden sein und
die Reisenden oft meilenweit mit Sirenengesang begleiten. Beide
Orden sind privilegirt; die Mitglieder zahlen eine jährliche Abgabe
an das Oberhaupt in Yeddo, das ihre gemeinsamen Interessen
wahrnimmt. — Quacksalber, Jongleure und starke Männer schlagen
zur Zeit solcher Feste auf den freien Plätzen ihre Zelte auf, man
findet Thier- und Schaubuden aller Art; das Volk lärmt und be-
lustigt sich laut und ausgelassen, und bis tief in die Nacht schallen
jubelnde Stimmen und fröhliche Musik aus den Theehäusern.
Weniger anziehend und belebt als die Strassen des Handels-
quartiers sind die aristokratischen Stadtviertel im Siro und Soto-
Siro. Nur die innerste, den kaiserlichen Palast umschliessende
Enceinte blieb den Fremden unzugänglich, die angrenzenden Stadt-
theile durchschnitten wir auf unseren Spazierritten fast täglich. An
ihrer östlichen Seite liegt die Ringmauer des Taïkūn-Palastes wenig
höher als die Ebene des O-gava, nach Norden und Westen da-
gegen steigt der Boden beträchtlich an. Die nach aussen von
grossen polygonischen Blöcken gebaute, nach innen terrassirte Mauer
folgt den Hebungen und Senkungen des Hügels, welcher in hohen
abschüssigen Rasenböschungen nach den breiten Wassergräben ab-
fällt. Auf der Platform und innerhalb des Mauerwalles stehen
dichte Reihen von Tannen und anderen Nadelbäumen. Diesseits
des Grabens läuft ein breiter Weg bald am Rande des Wassers,
bald auf dem hohen Ufer hin, von wo sich die schönsten Aussichten
auf das Häusermeer der tiefer liegenden Handelsstadt öffnen; den
Vordergrund bilden nach der einen Seite die mauergekrönten grünen
Abhänge mit ihren befestigten Thorgebäuden, Dämmen und Brücken,
nach der anderen die langen Façaden der Daïmio-Paläste; die Linien
sind einfach und gross, und der ganze Eindruck sehr imposant.
An einigen Stellen durchschneiden Dämme die Gräben, deren Niveau
an der Westseite viel höher ist als nach Osten; der Wasserstand
scheint durch Schleusen geregelt zu werden. Der Abfluss ist nach
dem O-gava hauptsächlich durch den breiten Canal, über welchen die
Nippon-Brücke führt. — Die Ringmauern und Gräben des Soto-Siro
sind den inneren ganz ähnlich; dieses Stadtviertel hat seine grösste
Erhebung an der südwestlichen Seite, und fällt ebenfalls in hohen
üppig bewachsenen Böschungen nach den Wassergräben ab, die hier
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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/354>, abgerufen am 16.02.2025.
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