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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

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V. Ausführung der Drucksachen. Japanische Kunst.
mathematischen Linien ausgedrückt ist. Meisterhaft sind vor allen
ihre Zeichnungen von Vögeln, Fischen, Insecten, -- davon giebt es
viele Sammlungen. Die Mehrzahl der Bilderbücher enthält ein buntes
Allerlei, man findet oft die widersprechendsten Dinge mit aus-
gelassener Laune auf einem Blatte durcheinandergeworfen; sie sind
unerschöpflich in drolligem Humor. Andere Bände haben offenbar
nur künstlerische Bedeutung als facsimilirte Skizzenbücher, viele
Blätter vortrefflich, einige freilich, die an Kühnheit und Extravaganz
der Zeichnung Alles übertreffen, was europäische Schulen darin
jemals geleistet haben. Alle ihre Darstellungen sind bei vielen
Zeichenfehlern von unglaublicher Lebendigkeit, und zeugen von
Verständniss und Sinn für die Bedeutung und das Charakteristische
der Formen. Von Schönheitssinn und idealer Auffassung sprechen
nur einige ihrer Götzen- und mythologischen Bilder; die Natur
und das tägliche Leben stehen dem durchaus practischen Volke
viel näher.

Die erwähnten Drucksachen sind in breitem Holzschnitt mit
grauen und röthlichen Tonplatten, vielfach auch in Farbendruck
ausgeführt; es sind Linearzeichnungen in ungezwungener Pinsel-
technik, markig und derb und durchaus malerisch, ohne Rücksicht
auf die Regeln der Beleuchtung. Die Japaner benutzen Schatten-
und Lichtflächen willkührlich für die Zwecke der Deutlichkeit und
malerischen Wirkung, und stellen die Localfarben ohne Rücksicht
auf ihren gegenseitigen Werth nebeneinander; -- so erscheint die
Sonne oft als dunkelrother Ball auf dem hellblauen Himmel. Die
Richtigkeit ist durchaus Nebensache. Langweilige Stellen, wie
Dächer und dergleichen, werden gewöhnlich durch Wolken ver-
deckt. Auch um Linearperspective, welche sie sehr genau kennen,
kümmern sie sich nur so weit es bequem und zweckmässig ist,
lassen sich aber niemals davon beschränken, und deuten immer
vielmehr den Gedanken an, als sie die Wirklichkeit ausdrücken; --
so schwinden ihre perspectivischen Linien zwar nach dem Hinter-
grunde, aber selten in regelrechtem Verhältniss; kurz, ihre Sachen
sind willkührlich, aber frisch, naiv und derb, niemals langweilig
und bisweilen von grosser Schönheit. Was man in den Läden sieht
ist allgemein zugänglich und spottbillig, aber diese gewöhnliche
Waare beweist ganz deutlich, dass die japanische Kunst auf hoher
Stufe steht oder gestanden hat, dass es vorzügliche Werke geben
muss, von denen diese Drucksachen nur der Schatten und Abglanz

V. Ausführung der Drucksachen. Japanische Kunst.
mathematischen Linien ausgedrückt ist. Meisterhaft sind vor allen
ihre Zeichnungen von Vögeln, Fischen, Insecten, — davon giebt es
viele Sammlungen. Die Mehrzahl der Bilderbücher enthält ein buntes
Allerlei, man findet oft die widersprechendsten Dinge mit aus-
gelassener Laune auf einem Blatte durcheinandergeworfen; sie sind
unerschöpflich in drolligem Humor. Andere Bände haben offenbar
nur künstlerische Bedeutung als facsimilirte Skizzenbücher, viele
Blätter vortrefflich, einige freilich, die an Kühnheit und Extravaganz
der Zeichnung Alles übertreffen, was europäische Schulen darin
jemals geleistet haben. Alle ihre Darstellungen sind bei vielen
Zeichenfehlern von unglaublicher Lebendigkeit, und zeugen von
Verständniss und Sinn für die Bedeutung und das Charakteristische
der Formen. Von Schönheitssinn und idealer Auffassung sprechen
nur einige ihrer Götzen- und mythologischen Bilder; die Natur
und das tägliche Leben stehen dem durchaus practischen Volke
viel näher.

Die erwähnten Drucksachen sind in breitem Holzschnitt mit
grauen und röthlichen Tonplatten, vielfach auch in Farbendruck
ausgeführt; es sind Linearzeichnungen in ungezwungener Pinsel-
technik, markig und derb und durchaus malerisch, ohne Rücksicht
auf die Regeln der Beleuchtung. Die Japaner benutzen Schatten-
und Lichtflächen willkührlich für die Zwecke der Deutlichkeit und
malerischen Wirkung, und stellen die Localfarben ohne Rücksicht
auf ihren gegenseitigen Werth nebeneinander; — so erscheint die
Sonne oft als dunkelrother Ball auf dem hellblauen Himmel. Die
Richtigkeit ist durchaus Nebensache. Langweilige Stellen, wie
Dächer und dergleichen, werden gewöhnlich durch Wolken ver-
deckt. Auch um Linearperspective, welche sie sehr genau kennen,
kümmern sie sich nur so weit es bequem und zweckmässig ist,
lassen sich aber niemals davon beschränken, und deuten immer
vielmehr den Gedanken an, als sie die Wirklichkeit ausdrücken; —
so schwinden ihre perspectivischen Linien zwar nach dem Hinter-
grunde, aber selten in regelrechtem Verhältniss; kurz, ihre Sachen
sind willkührlich, aber frisch, naiv und derb, niemals langweilig
und bisweilen von grosser Schönheit. Was man in den Läden sieht
ist allgemein zugänglich und spottbillig, aber diese gewöhnliche
Waare beweist ganz deutlich, dass die japanische Kunst auf hoher
Stufe steht oder gestanden hat, dass es vorzügliche Werke geben
muss, von denen diese Drucksachen nur der Schatten und Abglanz

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[313/0343] V. Ausführung der Drucksachen. Japanische Kunst. mathematischen Linien ausgedrückt ist. Meisterhaft sind vor allen ihre Zeichnungen von Vögeln, Fischen, Insecten, — davon giebt es viele Sammlungen. Die Mehrzahl der Bilderbücher enthält ein buntes Allerlei, man findet oft die widersprechendsten Dinge mit aus- gelassener Laune auf einem Blatte durcheinandergeworfen; sie sind unerschöpflich in drolligem Humor. Andere Bände haben offenbar nur künstlerische Bedeutung als facsimilirte Skizzenbücher, viele Blätter vortrefflich, einige freilich, die an Kühnheit und Extravaganz der Zeichnung Alles übertreffen, was europäische Schulen darin jemals geleistet haben. Alle ihre Darstellungen sind bei vielen Zeichenfehlern von unglaublicher Lebendigkeit, und zeugen von Verständniss und Sinn für die Bedeutung und das Charakteristische der Formen. Von Schönheitssinn und idealer Auffassung sprechen nur einige ihrer Götzen- und mythologischen Bilder; die Natur und das tägliche Leben stehen dem durchaus practischen Volke viel näher. Die erwähnten Drucksachen sind in breitem Holzschnitt mit grauen und röthlichen Tonplatten, vielfach auch in Farbendruck ausgeführt; es sind Linearzeichnungen in ungezwungener Pinsel- technik, markig und derb und durchaus malerisch, ohne Rücksicht auf die Regeln der Beleuchtung. Die Japaner benutzen Schatten- und Lichtflächen willkührlich für die Zwecke der Deutlichkeit und malerischen Wirkung, und stellen die Localfarben ohne Rücksicht auf ihren gegenseitigen Werth nebeneinander; — so erscheint die Sonne oft als dunkelrother Ball auf dem hellblauen Himmel. Die Richtigkeit ist durchaus Nebensache. Langweilige Stellen, wie Dächer und dergleichen, werden gewöhnlich durch Wolken ver- deckt. Auch um Linearperspective, welche sie sehr genau kennen, kümmern sie sich nur so weit es bequem und zweckmässig ist, lassen sich aber niemals davon beschränken, und deuten immer vielmehr den Gedanken an, als sie die Wirklichkeit ausdrücken; — so schwinden ihre perspectivischen Linien zwar nach dem Hinter- grunde, aber selten in regelrechtem Verhältniss; kurz, ihre Sachen sind willkührlich, aber frisch, naiv und derb, niemals langweilig und bisweilen von grosser Schönheit. Was man in den Läden sieht ist allgemein zugänglich und spottbillig, aber diese gewöhnliche Waare beweist ganz deutlich, dass die japanische Kunst auf hoher Stufe steht oder gestanden hat, dass es vorzügliche Werke geben muss, von denen diese Drucksachen nur der Schatten und Abglanz

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/343>, abgerufen am 22.11.2024.