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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

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Ladenzeichen und Aushängeschilder. V.
bilden, von zweierlei Art, cylindrisch runde und concave, die in
Reihen mit einander abwechseln wie die sogenannten Mönche und
Nonnen mittelalterlicher Gebäude in Europa. Zuweilen sind die Dach-
steine des Firstbalkens und der von da herablaufenden Wülste mit
schneeweissem Mörtel sehr sauber zusammengefügt, -- es sieht auf
dem schwärzlichen Grunde aus wie ein Spitzenmuster. Die Häuser
des Tokaido haben meist einfache Dächer von graden Linien; bei
grösseren Gebäuden -- Tempeln, Thoren und dergleichen -- ist
der Dachstuhl sehr complicirt, die Linien nach allen Seiten
geschweift. Bei den Schindeldächern liegen die einzelnen sehr
dünnen Holzplättchen in mehreren Lagen wie dichte Schuppen
aufeinander, so dass man kein Ritzchen gewahrt; die Arbeit ist
zugleich zierlich, fest und elastisch, und widersteht, ohne mit
Steinen beschwert zu sein, jedem Regen und Sturm.

Das Colorit der japanischen Strassen ist einförmig: schwarz-
graue Dächer, hier und da mit weisser Spitzenverzierung, feuer-
feste Häuser von schwarzem oder weissem Stuck; alles Uebrige ist
Holzwerk, dessen natürliche Farbe vom hellen Gelb des frischen
Tannenholzes durch alle Nüancen des Roth- und Schwarzbraunen
bis zum verwitterten Grau wechselt. Vor vielen Kaufläden hangen
braunrothe oder indigoblaue Gardinen herab; nur die vielgestal-
tigen Aushängeschilder, welche deren Bestimmung meist symbo-
lisch anzeigen und dem Fremden eben so unverständlich sind als
die sie begleitenden Schriftzeichen, glänzen in bunten Farben.
Hier winkt ein frei in der Strasse stehender Kobold in den Spiel-
zeugladen, dort baumelt ein gigantischer Fächer, bunte Fahnen
wehen von langen Bambusstangen; vor den grösseren Kaufhäusern
aber steht meist ein hohes Balkengerüst, von dem unter zierlich
geschnitzter Bedachung ein langes Schild mit goldener oder rother
Inschrift auf buntem Grunde herabhängt; zuweilen thront auf dem
Firstbalken ein phantastisch geschnitzter Drache mit geringeltem
Schuppenschweif. Die wenigen grellen Farben beleben angenehm
den nüchternen Grundton, der Eindruck des Ganzen ist durchaus
harmonisch.

Viel umfangreicher als alle anderen Häuser des Tokaido sind
die Seidenhandlungen. Die ganze Front des unteren Stockwerkes ist
nach der Strasse zu offen und nur gegen die Sonne durch blaue
Gardinen verhängt, auf denen die Firma in grossen weissen Schrift-
zügen prangt. Den Estrich bedecken, wie überall, feine Matten,

Ladenzeichen und Aushängeschilder. V.
bilden, von zweierlei Art, cylindrisch runde und concave, die in
Reihen mit einander abwechseln wie die sogenannten Mönche und
Nonnen mittelalterlicher Gebäude in Europa. Zuweilen sind die Dach-
steine des Firstbalkens und der von da herablaufenden Wülste mit
schneeweissem Mörtel sehr sauber zusammengefügt, — es sieht auf
dem schwärzlichen Grunde aus wie ein Spitzenmuster. Die Häuser
des Tokaïdo haben meist einfache Dächer von graden Linien; bei
grösseren Gebäuden — Tempeln, Thoren und dergleichen — ist
der Dachstuhl sehr complicirt, die Linien nach allen Seiten
geschweift. Bei den Schindeldächern liegen die einzelnen sehr
dünnen Holzplättchen in mehreren Lagen wie dichte Schuppen
aufeinander, so dass man kein Ritzchen gewahrt; die Arbeit ist
zugleich zierlich, fest und elastisch, und widersteht, ohne mit
Steinen beschwert zu sein, jedem Regen und Sturm.

Das Colorit der japanischen Strassen ist einförmig: schwarz-
graue Dächer, hier und da mit weisser Spitzenverzierung, feuer-
feste Häuser von schwarzem oder weissem Stuck; alles Uebrige ist
Holzwerk, dessen natürliche Farbe vom hellen Gelb des frischen
Tannenholzes durch alle Nüancen des Roth- und Schwarzbraunen
bis zum verwitterten Grau wechselt. Vor vielen Kaufläden hangen
braunrothe oder indigoblaue Gardinen herab; nur die vielgestal-
tigen Aushängeschilder, welche deren Bestimmung meist symbo-
lisch anzeigen und dem Fremden eben so unverständlich sind als
die sie begleitenden Schriftzeichen, glänzen in bunten Farben.
Hier winkt ein frei in der Strasse stehender Kobold in den Spiel-
zeugladen, dort baumelt ein gigantischer Fächer, bunte Fahnen
wehen von langen Bambusstangen; vor den grösseren Kaufhäusern
aber steht meist ein hohes Balkengerüst, von dem unter zierlich
geschnitzter Bedachung ein langes Schild mit goldener oder rother
Inschrift auf buntem Grunde herabhängt; zuweilen thront auf dem
Firstbalken ein phantastisch geschnitzter Drache mit geringeltem
Schuppenschweif. Die wenigen grellen Farben beleben angenehm
den nüchternen Grundton, der Eindruck des Ganzen ist durchaus
harmonisch.

Viel umfangreicher als alle anderen Häuser des Tokaïdo sind
die Seidenhandlungen. Die ganze Front des unteren Stockwerkes ist
nach der Strasse zu offen und nur gegen die Sonne durch blaue
Gardinen verhängt, auf denen die Firma in grossen weissen Schrift-
zügen prangt. Den Estrich bedecken, wie überall, feine Matten,

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[300/0330] Ladenzeichen und Aushängeschilder. V. bilden, von zweierlei Art, cylindrisch runde und concave, die in Reihen mit einander abwechseln wie die sogenannten Mönche und Nonnen mittelalterlicher Gebäude in Europa. Zuweilen sind die Dach- steine des Firstbalkens und der von da herablaufenden Wülste mit schneeweissem Mörtel sehr sauber zusammengefügt, — es sieht auf dem schwärzlichen Grunde aus wie ein Spitzenmuster. Die Häuser des Tokaïdo haben meist einfache Dächer von graden Linien; bei grösseren Gebäuden — Tempeln, Thoren und dergleichen — ist der Dachstuhl sehr complicirt, die Linien nach allen Seiten geschweift. Bei den Schindeldächern liegen die einzelnen sehr dünnen Holzplättchen in mehreren Lagen wie dichte Schuppen aufeinander, so dass man kein Ritzchen gewahrt; die Arbeit ist zugleich zierlich, fest und elastisch, und widersteht, ohne mit Steinen beschwert zu sein, jedem Regen und Sturm. Das Colorit der japanischen Strassen ist einförmig: schwarz- graue Dächer, hier und da mit weisser Spitzenverzierung, feuer- feste Häuser von schwarzem oder weissem Stuck; alles Uebrige ist Holzwerk, dessen natürliche Farbe vom hellen Gelb des frischen Tannenholzes durch alle Nüancen des Roth- und Schwarzbraunen bis zum verwitterten Grau wechselt. Vor vielen Kaufläden hangen braunrothe oder indigoblaue Gardinen herab; nur die vielgestal- tigen Aushängeschilder, welche deren Bestimmung meist symbo- lisch anzeigen und dem Fremden eben so unverständlich sind als die sie begleitenden Schriftzeichen, glänzen in bunten Farben. Hier winkt ein frei in der Strasse stehender Kobold in den Spiel- zeugladen, dort baumelt ein gigantischer Fächer, bunte Fahnen wehen von langen Bambusstangen; vor den grösseren Kaufhäusern aber steht meist ein hohes Balkengerüst, von dem unter zierlich geschnitzter Bedachung ein langes Schild mit goldener oder rother Inschrift auf buntem Grunde herabhängt; zuweilen thront auf dem Firstbalken ein phantastisch geschnitzter Drache mit geringeltem Schuppenschweif. Die wenigen grellen Farben beleben angenehm den nüchternen Grundton, der Eindruck des Ganzen ist durchaus harmonisch. Viel umfangreicher als alle anderen Häuser des Tokaïdo sind die Seidenhandlungen. Die ganze Front des unteren Stockwerkes ist nach der Strasse zu offen und nur gegen die Sonne durch blaue Gardinen verhängt, auf denen die Firma in grossen weissen Schrift- zügen prangt. Den Estrich bedecken, wie überall, feine Matten,

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/330>, abgerufen am 22.11.2024.