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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

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V. Die Vorstädte. Die Rhede von Yeddo.
ringsum wechseln die stark bevölkerten Quartiere der Krämer und
Handwerker mit weitläufigen Tempelanlagen und den Grundstücken
einzelner Daimio's. Erstere liegen meist auf den Höhen, beschattet
von immergrünen Gehölzen, umgeben von ausgedehnten Friedhöfen,
und auch die Grundstücke der Grossen umschliessen hier prächtige
Park- und Gartenanlagen. Ueberall sieht man Grünes, fliessendes
Wasser und die mannichfaltigsten Bauten. Die Vorstädte dehnen
sich nach allen Richtungen weit in das Land hinaus und haben
schon manches Dorf verschlungen; man kann den Hauptverkehrs-
adern folgend noch meilenweit zwischen zusammenhängenden Häu-
serreihen wandern, gelangt aber durch die Nebenstrassen bald in
die lachendste Landschaft; Acker- und Gartenbau ziehen sich hier
und da bis mitten in die volkreichsten Quartiere, so dass die Grenzen
der Stadt schwer zu bestimmen sind.

Die Uferlinie von Yeddo gegen das Meer ist unregelmässig
halbkreisförmig, das Wasser so seicht, dass Schiffe von zwanzig
Fuss Tiefgang mindestens fünf Seemeilen von der Küste ankern
müssen. Bis zwei Meilen vom Ufer beträgt die Tiefe nur zwei bis
drei Fuss; zur Zeit der Ebbe liegen ganze Strecken trocken, und
selbst für Boote geringer Grösse ist das Fahrwasser schwer zu
finden. Der Boden ist ein lehmiger unergründlicher Schlamm, durch
den Wechsel von Ebbe und Fluth beständig aufgerührt, daher das
Wasser trübe und schmutzig, mit Ablagerungen, welche die beiden
Flüsse zuführen, geschwängert und sehr fischreich. Hier und da
stehen verwitterte Pfähle, von denen gierige Cormoranten starren
Blickes ihrem Raube lauern. Wenige Fischerboote beleben diesen
Theil der Rhede, die ganze Scene hat etwas Oedes und Wüstes.
Etwa drei Seemeilen vom Ufer liegen einige alte Schiffe, nach
europäischem Muster in Japan gebaut, in trübseligem Zustande,
halb abgetakelt und ganz unbrauchbar, und selbst die von der
Königin von England 1858 geschenkte Dampfyacht erscheint äusserlich
alt und verbraucht, weil die Japaner als unverbesserliche Hasser
jeden Anstriches gleich nach der Uebergabe alle Farbe abgekratzt
haben. Dagegen sehen alle japanischen Dschunken, die niemals
angestrichen werden, so sauber und neu aus wie blank gescheuerte
Bötticherwaare. Die meisten ankern in der breiten Mündung des
O-gava, wohin längs der Nordseite der Bucht ein schmales Fahr-
wasser von geringer Tiefe führt. Jenseit der ersten Pfahlbrücke
scheint der Fluss nur für Kähne schiffbar zu sein.


V. Die Vorstädte. Die Rhede von Yeddo.
ringsum wechseln die stark bevölkerten Quartiere der Krämer und
Handwerker mit weitläufigen Tempelanlagen und den Grundstücken
einzelner Daïmio’s. Erstere liegen meist auf den Höhen, beschattet
von immergrünen Gehölzen, umgeben von ausgedehnten Friedhöfen,
und auch die Grundstücke der Grossen umschliessen hier prächtige
Park- und Gartenanlagen. Ueberall sieht man Grünes, fliessendes
Wasser und die mannichfaltigsten Bauten. Die Vorstädte dehnen
sich nach allen Richtungen weit in das Land hinaus und haben
schon manches Dorf verschlungen; man kann den Hauptverkehrs-
adern folgend noch meilenweit zwischen zusammenhängenden Häu-
serreihen wandern, gelangt aber durch die Nebenstrassen bald in
die lachendste Landschaft; Acker- und Gartenbau ziehen sich hier
und da bis mitten in die volkreichsten Quartiere, so dass die Grenzen
der Stadt schwer zu bestimmen sind.

Die Uferlinie von Yeddo gegen das Meer ist unregelmässig
halbkreisförmig, das Wasser so seicht, dass Schiffe von zwanzig
Fuss Tiefgang mindestens fünf Seemeilen von der Küste ankern
müssen. Bis zwei Meilen vom Ufer beträgt die Tiefe nur zwei bis
drei Fuss; zur Zeit der Ebbe liegen ganze Strecken trocken, und
selbst für Boote geringer Grösse ist das Fahrwasser schwer zu
finden. Der Boden ist ein lehmiger unergründlicher Schlamm, durch
den Wechsel von Ebbe und Fluth beständig aufgerührt, daher das
Wasser trübe und schmutzig, mit Ablagerungen, welche die beiden
Flüsse zuführen, geschwängert und sehr fischreich. Hier und da
stehen verwitterte Pfähle, von denen gierige Cormoranten starren
Blickes ihrem Raube lauern. Wenige Fischerboote beleben diesen
Theil der Rhede, die ganze Scene hat etwas Oedes und Wüstes.
Etwa drei Seemeilen vom Ufer liegen einige alte Schiffe, nach
europäischem Muster in Japan gebaut, in trübseligem Zustande,
halb abgetakelt und ganz unbrauchbar, und selbst die von der
Königin von England 1858 geschenkte Dampfyacht erscheint äusserlich
alt und verbraucht, weil die Japaner als unverbesserliche Hasser
jeden Anstriches gleich nach der Uebergabe alle Farbe abgekratzt
haben. Dagegen sehen alle japanischen Dschunken, die niemals
angestrichen werden, so sauber und neu aus wie blank gescheuerte
Bötticherwaare. Die meisten ankern in der breiten Mündung des
O-gava, wohin längs der Nordseite der Bucht ein schmales Fahr-
wasser von geringer Tiefe führt. Jenseit der ersten Pfahlbrücke
scheint der Fluss nur für Kähne schiffbar zu sein.


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[297/0327] V. Die Vorstädte. Die Rhede von Yeddo. ringsum wechseln die stark bevölkerten Quartiere der Krämer und Handwerker mit weitläufigen Tempelanlagen und den Grundstücken einzelner Daïmio’s. Erstere liegen meist auf den Höhen, beschattet von immergrünen Gehölzen, umgeben von ausgedehnten Friedhöfen, und auch die Grundstücke der Grossen umschliessen hier prächtige Park- und Gartenanlagen. Ueberall sieht man Grünes, fliessendes Wasser und die mannichfaltigsten Bauten. Die Vorstädte dehnen sich nach allen Richtungen weit in das Land hinaus und haben schon manches Dorf verschlungen; man kann den Hauptverkehrs- adern folgend noch meilenweit zwischen zusammenhängenden Häu- serreihen wandern, gelangt aber durch die Nebenstrassen bald in die lachendste Landschaft; Acker- und Gartenbau ziehen sich hier und da bis mitten in die volkreichsten Quartiere, so dass die Grenzen der Stadt schwer zu bestimmen sind. Die Uferlinie von Yeddo gegen das Meer ist unregelmässig halbkreisförmig, das Wasser so seicht, dass Schiffe von zwanzig Fuss Tiefgang mindestens fünf Seemeilen von der Küste ankern müssen. Bis zwei Meilen vom Ufer beträgt die Tiefe nur zwei bis drei Fuss; zur Zeit der Ebbe liegen ganze Strecken trocken, und selbst für Boote geringer Grösse ist das Fahrwasser schwer zu finden. Der Boden ist ein lehmiger unergründlicher Schlamm, durch den Wechsel von Ebbe und Fluth beständig aufgerührt, daher das Wasser trübe und schmutzig, mit Ablagerungen, welche die beiden Flüsse zuführen, geschwängert und sehr fischreich. Hier und da stehen verwitterte Pfähle, von denen gierige Cormoranten starren Blickes ihrem Raube lauern. Wenige Fischerboote beleben diesen Theil der Rhede, die ganze Scene hat etwas Oedes und Wüstes. Etwa drei Seemeilen vom Ufer liegen einige alte Schiffe, nach europäischem Muster in Japan gebaut, in trübseligem Zustande, halb abgetakelt und ganz unbrauchbar, und selbst die von der Königin von England 1858 geschenkte Dampfyacht erscheint äusserlich alt und verbraucht, weil die Japaner als unverbesserliche Hasser jeden Anstriches gleich nach der Uebergabe alle Farbe abgekratzt haben. Dagegen sehen alle japanischen Dschunken, die niemals angestrichen werden, so sauber und neu aus wie blank gescheuerte Bötticherwaare. Die meisten ankern in der breiten Mündung des O-gava, wohin längs der Nordseite der Bucht ein schmales Fahr- wasser von geringer Tiefe führt. Jenseit der ersten Pfahlbrücke scheint der Fluss nur für Kähne schiffbar zu sein.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/327>, abgerufen am 22.11.2024.