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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

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III. Der Taifun.
denn der Wind gewann zusehends an Stärke. Da die Küste von
Nippon leewärts in grosser Nähe lag, so suchte der Commodor mit
Hülfe der Segel zu halsen, d. h. das Schiff gegen den Wind zu
drehen und über Süden nach Osten zu lenken -- aber vergebens;
der auf das Heck und den Kreuzmast immer stärker drückende
Luftstrom wirkte den Segeln entgegen, und die Arkona gehorchte
nicht mehr ihrem machtlosen Steuer. Um sieben begann das Schiff
sich stark auf die Seite zu legen. Noch war die Luft hell genug
um zu sehen, wie die Wogen sich Hügeln gleich hintereinander in
Reihen thürmten, vom eigenen Gipfel in milchweissem Schaume
herabstürzend. Das Barometer fiel mit ungewohnter Schnelligkeit
und man wurde inne, dass der gefürchtete Taifun -- so heissen
die mächtigen Wirbelorcane, denen um diese Jahreszeit hier selten
ein Schiff entgeht -- wirklich losgebrochen war. Um acht Uhr
wurde es so dunkel, dass man das Ende des Schiffes nicht mehr
sehen konnte; Meer und Wolken schienen sich zu verschlingen. Die
Wogen standen Mauern gleich und der Sturm peitschte den Wasser-
schaum wie dichten Nadelregen durch die Luft. See- und Regen-
wasser ergoss sich in Strömen über das Deck und durch alle
Oeffnungen in die Batterie hinunter; Wind und Wellen rauschten
nicht mehr, Alles bebte und donnerte, so dass man sein eigenes
Wort kaum hörte und die Commandos von Mann zu Mann weiter
gegeben werden mussten. Nur mit der grössten Anstrengung und
die queer über Deck gespannten Seile fassend konnten sich die
Matrosen fortbewegen.

Der Wind ging nach Osten herum, und die Segel flogen mit
lautem Krachen berstend in Fetzen über Bord. Raaen und Spieren
sausten von den Masten nieder, und in der Takelage schlugen die
Tauenden den Leuten die Köpfe blutig. Mit zerrissenen Kleidern
und halb besinnungslos stiegen viele von oben herab, und so gross
war die Gewalt des Windes, dass einem Matrosen in den Wanten
das wollene Hemd buchstäblich in Fetzen vom Leibe geblasen wurde.
Eine See schlug in die zu Backbord hangenden Boote; der erste
Cutter und die Jolle füllten sich mit Wasser, die Davids brachen
unter der Last und beide Boote versanken.

Die Arkona schlängerte, vom Winde leewärts fest in die
Wogen gedrückt, nur wenig, und holte selten stark nach Back-
bord über, obgleich die Neigung nach Steuerbord über 30 Grad
betrug. Eine gewaltige Welle nach der anderen rollte donnernd

III. Der Taïfūn.
denn der Wind gewann zusehends an Stärke. Da die Küste von
Nippon leewärts in grosser Nähe lag, so suchte der Commodor mit
Hülfe der Segel zu halsen, d. h. das Schiff gegen den Wind zu
drehen und über Süden nach Osten zu lenken — aber vergebens;
der auf das Heck und den Kreuzmast immer stärker drückende
Luftstrom wirkte den Segeln entgegen, und die Arkona gehorchte
nicht mehr ihrem machtlosen Steuer. Um sieben begann das Schiff
sich stark auf die Seite zu legen. Noch war die Luft hell genug
um zu sehen, wie die Wogen sich Hügeln gleich hintereinander in
Reihen thürmten, vom eigenen Gipfel in milchweissem Schaume
herabstürzend. Das Barometer fiel mit ungewohnter Schnelligkeit
und man wurde inne, dass der gefürchtete Taïfūn — so heissen
die mächtigen Wirbelorcane, denen um diese Jahreszeit hier selten
ein Schiff entgeht — wirklich losgebrochen war. Um acht Uhr
wurde es so dunkel, dass man das Ende des Schiffes nicht mehr
sehen konnte; Meer und Wolken schienen sich zu verschlingen. Die
Wogen standen Mauern gleich und der Sturm peitschte den Wasser-
schaum wie dichten Nadelregen durch die Luft. See- und Regen-
wasser ergoss sich in Strömen über das Deck und durch alle
Oeffnungen in die Batterie hinunter; Wind und Wellen rauschten
nicht mehr, Alles bebte und donnerte, so dass man sein eigenes
Wort kaum hörte und die Commandos von Mann zu Mann weiter
gegeben werden mussten. Nur mit der grössten Anstrengung und
die queer über Deck gespannten Seile fassend konnten sich die
Matrosen fortbewegen.

Der Wind ging nach Osten herum, und die Segel flogen mit
lautem Krachen berstend in Fetzen über Bord. Raaen und Spieren
sausten von den Masten nieder, und in der Takelage schlugen die
Tauenden den Leuten die Köpfe blutig. Mit zerrissenen Kleidern
und halb besinnungslos stiegen viele von oben herab, und so gross
war die Gewalt des Windes, dass einem Matrosen in den Wanten
das wollene Hemd buchstäblich in Fetzen vom Leibe geblasen wurde.
Eine See schlug in die zu Backbord hangenden Boote; der erste
Cutter und die Jolle füllten sich mit Wasser, die Davids brachen
unter der Last und beide Boote versanken.

Die Arkona schlängerte, vom Winde leewärts fest in die
Wogen gedrückt, nur wenig, und holte selten stark nach Back-
bord über, obgleich die Neigung nach Steuerbord über 30 Grad
betrug. Eine gewaltige Welle nach der anderen rollte donnernd

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[251/0281] III. Der Taïfūn. denn der Wind gewann zusehends an Stärke. Da die Küste von Nippon leewärts in grosser Nähe lag, so suchte der Commodor mit Hülfe der Segel zu halsen, d. h. das Schiff gegen den Wind zu drehen und über Süden nach Osten zu lenken — aber vergebens; der auf das Heck und den Kreuzmast immer stärker drückende Luftstrom wirkte den Segeln entgegen, und die Arkona gehorchte nicht mehr ihrem machtlosen Steuer. Um sieben begann das Schiff sich stark auf die Seite zu legen. Noch war die Luft hell genug um zu sehen, wie die Wogen sich Hügeln gleich hintereinander in Reihen thürmten, vom eigenen Gipfel in milchweissem Schaume herabstürzend. Das Barometer fiel mit ungewohnter Schnelligkeit und man wurde inne, dass der gefürchtete Taïfūn — so heissen die mächtigen Wirbelorcane, denen um diese Jahreszeit hier selten ein Schiff entgeht — wirklich losgebrochen war. Um acht Uhr wurde es so dunkel, dass man das Ende des Schiffes nicht mehr sehen konnte; Meer und Wolken schienen sich zu verschlingen. Die Wogen standen Mauern gleich und der Sturm peitschte den Wasser- schaum wie dichten Nadelregen durch die Luft. See- und Regen- wasser ergoss sich in Strömen über das Deck und durch alle Oeffnungen in die Batterie hinunter; Wind und Wellen rauschten nicht mehr, Alles bebte und donnerte, so dass man sein eigenes Wort kaum hörte und die Commandos von Mann zu Mann weiter gegeben werden mussten. Nur mit der grössten Anstrengung und die queer über Deck gespannten Seile fassend konnten sich die Matrosen fortbewegen. Der Wind ging nach Osten herum, und die Segel flogen mit lautem Krachen berstend in Fetzen über Bord. Raaen und Spieren sausten von den Masten nieder, und in der Takelage schlugen die Tauenden den Leuten die Köpfe blutig. Mit zerrissenen Kleidern und halb besinnungslos stiegen viele von oben herab, und so gross war die Gewalt des Windes, dass einem Matrosen in den Wanten das wollene Hemd buchstäblich in Fetzen vom Leibe geblasen wurde. Eine See schlug in die zu Backbord hangenden Boote; der erste Cutter und die Jolle füllten sich mit Wasser, die Davids brachen unter der Last und beide Boote versanken. Die Arkona schlängerte, vom Winde leewärts fest in die Wogen gedrückt, nur wenig, und holte selten stark nach Back- bord über, obgleich die Neigung nach Steuerbord über 30 Grad betrug. Eine gewaltige Welle nach der anderen rollte donnernd

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/281>, abgerufen am 17.05.2024.