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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

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Besuch der Tempel. Das chinesische Theater. I.
mitnehmen, wahrscheinlich nur Bescheinigungen über das geleistete
Opfer. Eine solche schriftliche Beruhigung des Gewissens hat etwas
überaus practisches; man kann doch niemals in Zweifel über seine
eigene Frömmigkeit gerathen und sich an der Quittung seiner guten
Werke immer wieder freuen.

An der Andacht der Tempelbesucher nehmen die Bonzen
gewöhnlich gar keinen Antheil. Ihre eigenen gottesdienstlichen Ver-
richtungen scheinen sich auf das Absingen von Litaneien u. dergl.
zu beschränken, -- wir hatten später in China häufig Gelegenheit
Zeugen solcher Verrichtungen zu sein, die nur in den grösseren
Tempeln und Klöstern zu Peking etwas Ehrwürdiges hatten. Meistens
sieht man den plappernden Bonzen die Gleichgültigkeit und Lange-
weile am Gesichte an. In einem der Tempel, die wir in Singapore
besuchten, las ein Priester grade seine Gebete; er kniete dabei vor
einem Pult, sang mit näselnder Stimme, und klopfte mit einem Stäb-
chen bald links an ein hohles Gefäss, bald, in grösseren Pausen, an
eine Glocke zu seiner Rechten. Eine alte Frau hatte grade ihr
Gebet und Opfer vollendet und befragte nun das Orakel. Sie warf
dabei, allem Anschein nach, die gezogenen Loose so oft auf die
Erde, bis sie in einer gewünschten Lage niederfielen. -- In einem
anderen Tempel sassen vier Chinesen schmausend und schwatzend
um einen Tisch; andere rauchten, während mitten unter ihnen ein
ganzes Fass mit Schwärmern abgebrannt wurde. Sie bewillkommten
freundlich die Fremden und luden sie zu ihrem Feste ein. -- Der
Eindruck dieser Tempel ist nichts weniger als ernst und heilig; der
Chinese scheint diese Begriffe in unserem Sinne nicht zu kennen,
er geniesst practisch das Leben und findet sich mit dem Himmel
und seinem Gewissen auf die bequemste Weise ab.

Eines Abends besuchten mehrere der Reisenden das chinesische
Theater. Die dahin führenden Strassen waren gegen zehn Uhr noch
äusserst belebt; grosse farbige Papierlaternen brannten in den Kauf-
läden und Colonnaden, und aus vielen Häusern schallte lärmende
Musik. -- Das Theater ist ein länglich-viereckiges Gebäude aus
Holz und Bambus; der Eingang liegt in einer der schmalen Seiten,
gegenüber die um einige Fuss erhöhte Bühne. Der Raum dazwischen
ist mit Bänken besetzt, auf denen ein zahlreiches chinesisches Publicum
Platz genommen hatte. Wir zogen es vor, auf die Bühne zu steigen,
um Alles in der Nähe zu sehen; sie nimmt die ganze Breite des
Theaters ein, hat aber wenig Tiefe. Auf den Seiten standen Wald-

Besuch der Tempel. Das chinesische Theater. I.
mitnehmen, wahrscheinlich nur Bescheinigungen über das geleistete
Opfer. Eine solche schriftliche Beruhigung des Gewissens hat etwas
überaus practisches; man kann doch niemals in Zweifel über seine
eigene Frömmigkeit gerathen und sich an der Quittung seiner guten
Werke immer wieder freuen.

An der Andacht der Tempelbesucher nehmen die Bonzen
gewöhnlich gar keinen Antheil. Ihre eigenen gottesdienstlichen Ver-
richtungen scheinen sich auf das Absingen von Litaneien u. dergl.
zu beschränken, — wir hatten später in China häufig Gelegenheit
Zeugen solcher Verrichtungen zu sein, die nur in den grösseren
Tempeln und Klöstern zu Pekiṅg etwas Ehrwürdiges hatten. Meistens
sieht man den plappernden Bonzen die Gleichgültigkeit und Lange-
weile am Gesichte an. In einem der Tempel, die wir in Singapore
besuchten, las ein Priester grade seine Gebete; er kniete dabei vor
einem Pult, sang mit näselnder Stimme, und klopfte mit einem Stäb-
chen bald links an ein hohles Gefäss, bald, in grösseren Pausen, an
eine Glocke zu seiner Rechten. Eine alte Frau hatte grade ihr
Gebet und Opfer vollendet und befragte nun das Orakel. Sie warf
dabei, allem Anschein nach, die gezogenen Loose so oft auf die
Erde, bis sie in einer gewünschten Lage niederfielen. — In einem
anderen Tempel sassen vier Chinesen schmausend und schwatzend
um einen Tisch; andere rauchten, während mitten unter ihnen ein
ganzes Fass mit Schwärmern abgebrannt wurde. Sie bewillkommten
freundlich die Fremden und luden sie zu ihrem Feste ein. — Der
Eindruck dieser Tempel ist nichts weniger als ernst und heilig; der
Chinese scheint diese Begriffe in unserem Sinne nicht zu kennen,
er geniesst practisch das Leben und findet sich mit dem Himmel
und seinem Gewissen auf die bequemste Weise ab.

Eines Abends besuchten mehrere der Reisenden das chinesische
Theater. Die dahin führenden Strassen waren gegen zehn Uhr noch
äusserst belebt; grosse farbige Papierlaternen brannten in den Kauf-
läden und Colonnaden, und aus vielen Häusern schallte lärmende
Musik. — Das Theater ist ein länglich-viereckiges Gebäude aus
Holz und Bambus; der Eingang liegt in einer der schmalen Seiten,
gegenüber die um einige Fuss erhöhte Bühne. Der Raum dazwischen
ist mit Bänken besetzt, auf denen ein zahlreiches chinesisches Publicum
Platz genommen hatte. Wir zogen es vor, auf die Bühne zu steigen,
um Alles in der Nähe zu sehen; sie nimmt die ganze Breite des
Theaters ein, hat aber wenig Tiefe. Auf den Seiten standen Wald-

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[206/0236] Besuch der Tempel. Das chinesische Theater. I. mitnehmen, wahrscheinlich nur Bescheinigungen über das geleistete Opfer. Eine solche schriftliche Beruhigung des Gewissens hat etwas überaus practisches; man kann doch niemals in Zweifel über seine eigene Frömmigkeit gerathen und sich an der Quittung seiner guten Werke immer wieder freuen. An der Andacht der Tempelbesucher nehmen die Bonzen gewöhnlich gar keinen Antheil. Ihre eigenen gottesdienstlichen Ver- richtungen scheinen sich auf das Absingen von Litaneien u. dergl. zu beschränken, — wir hatten später in China häufig Gelegenheit Zeugen solcher Verrichtungen zu sein, die nur in den grösseren Tempeln und Klöstern zu Pekiṅg etwas Ehrwürdiges hatten. Meistens sieht man den plappernden Bonzen die Gleichgültigkeit und Lange- weile am Gesichte an. In einem der Tempel, die wir in Singapore besuchten, las ein Priester grade seine Gebete; er kniete dabei vor einem Pult, sang mit näselnder Stimme, und klopfte mit einem Stäb- chen bald links an ein hohles Gefäss, bald, in grösseren Pausen, an eine Glocke zu seiner Rechten. Eine alte Frau hatte grade ihr Gebet und Opfer vollendet und befragte nun das Orakel. Sie warf dabei, allem Anschein nach, die gezogenen Loose so oft auf die Erde, bis sie in einer gewünschten Lage niederfielen. — In einem anderen Tempel sassen vier Chinesen schmausend und schwatzend um einen Tisch; andere rauchten, während mitten unter ihnen ein ganzes Fass mit Schwärmern abgebrannt wurde. Sie bewillkommten freundlich die Fremden und luden sie zu ihrem Feste ein. — Der Eindruck dieser Tempel ist nichts weniger als ernst und heilig; der Chinese scheint diese Begriffe in unserem Sinne nicht zu kennen, er geniesst practisch das Leben und findet sich mit dem Himmel und seinem Gewissen auf die bequemste Weise ab. Eines Abends besuchten mehrere der Reisenden das chinesische Theater. Die dahin führenden Strassen waren gegen zehn Uhr noch äusserst belebt; grosse farbige Papierlaternen brannten in den Kauf- läden und Colonnaden, und aus vielen Häusern schallte lärmende Musik. — Das Theater ist ein länglich-viereckiges Gebäude aus Holz und Bambus; der Eingang liegt in einer der schmalen Seiten, gegenüber die um einige Fuss erhöhte Bühne. Der Raum dazwischen ist mit Bänken besetzt, auf denen ein zahlreiches chinesisches Publicum Platz genommen hatte. Wir zogen es vor, auf die Bühne zu steigen, um Alles in der Nähe zu sehen; sie nimmt die ganze Breite des Theaters ein, hat aber wenig Tiefe. Auf den Seiten standen Wald-

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/236>, abgerufen am 25.11.2024.