[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.Thatsachen und Gerüchte. Kaisers zu lähmen, hat aber bis jetzt die herrschende Linie derMinamoto nicht vom Throne verdrängen können. Der Verlauf der Begebenheiten im Einzelnen ist, wie gesagt, 180) Um dem Leser einen Begriff sowohl von dem Charakter der Ereignisse, als
von der Unvereinbarkeit der in Japan selbst den Fremden bekannt gewordenen Ge- rüchte zu geben, mögen hier kurze Auszüge von zwei Darstellungen der Begebenheiten seit Perry's Ankunft stehen, die beide auf an Ort und Stelle gesammelten Nachrichten basiren. Die erste ist dem Buche des englischen Gesandten Sir Rutherford Alcock "The Capital of the Tycoon" entnommen, welcher selbst sagt, dass er nur Gerüchte wieder erzählt; die zweite ist zuerst in der Revue des deux mondes abgedruckt worden. Der Verfasser der letzteren hat seine Berichte später in einem besonderen Bande zusammengefasst, welchen Lebendigkeit der Auffassung des Gesehenen und Erlebten, Treue der Schilderungen, Humanität der Anschauung, Wohlwollen und Gewissenhaftigkeit zu einem der anziehendsten und nützlichsten Bücher über Japan machen; in allem Historischen dagegen ist er ohne Kritik verfahren, und berichtet, auf die Zuverlässigkeit seiner Gewährsmänner bauend, neben vielem Phantastischen auch Dinge, die nachweisbar unrichtig, und andere, von denen Niemand etwas wissen kann. Nach der Version des Herrn Alcock scheint man bei Perry's erster Ankunft die Absicht gehabt zu haben, seine Anträge zurückzuweisen. Die für die Vertheidigung des Golfes von Yeddo verantwortlichen Daimio's brachten in zwei Tagen ein Heer von 10,000 Mann und eine grosse Anzahl Geschütze bei Uraga zusammen. Man beschloss jedoch, den Brief des Präsidenten in Empfang zu nehmen. -- Der erste Minister des Siogun Iye-yosi, Midsuno Yetsizen-no-kami, ein Anhänger des alten Systems, soll sich damals mit mehreren Daimio's in Yeddo verschworen haben, durch Vergiftung des Iye-yosi, eines anerkannt tüchtigen und erfahrenen Herrschers, das Land vom Einfluss der Fremden zu retten, mit der Nebenabsicht, wie man sagt, die Herrschaft an sich zu reissen, da der Thronfolger schwachsinnig war. Der Siogun schöpft Verdacht und wirft den Giftbecher dem Diener, der ihn überreicht, in das Gesicht; dieser durchbohrt ihn mit dem Schwerte und vollzieht dann sogleich das Thatsachen und Gerüchte. Kaisers zu lähmen, hat aber bis jetzt die herrschende Linie derMinamoto nicht vom Throne verdrängen können. Der Verlauf der Begebenheiten im Einzelnen ist, wie gesagt, 180) Um dem Leser einen Begriff sowohl von dem Charakter der Ereignisse, als
von der Unvereinbarkeit der in Japan selbst den Fremden bekannt gewordenen Ge- rüchte zu geben, mögen hier kurze Auszüge von zwei Darstellungen der Begebenheiten seit Perry’s Ankunft stehen, die beide auf an Ort und Stelle gesammelten Nachrichten basiren. Die erste ist dem Buche des englischen Gesandten Sir Rutherford Alcock »The Capital of the Tycoon« entnommen, welcher selbst sagt, dass er nur Gerüchte wieder erzählt; die zweite ist zuerst in der Revue des deux mondes abgedruckt worden. Der Verfasser der letzteren hat seine Berichte später in einem besonderen Bande zusammengefasst, welchen Lebendigkeit der Auffassung des Gesehenen und Erlebten, Treue der Schilderungen, Humanität der Anschauung, Wohlwollen und Gewissenhaftigkeit zu einem der anziehendsten und nützlichsten Bücher über Japan machen; in allem Historischen dagegen ist er ohne Kritik verfahren, und berichtet, auf die Zuverlässigkeit seiner Gewährsmänner bauend, neben vielem Phantastischen auch Dinge, die nachweisbar unrichtig, und andere, von denen Niemand etwas wissen kann. Nach der Version des Herrn Alcock scheint man bei Perry’s erster Ankunft die Absicht gehabt zu haben, seine Anträge zurückzuweisen. Die für die Vertheidigung des Golfes von Yeddo verantwortlichen Daïmio’s brachten in zwei Tagen ein Heer von 10,000 Mann und eine grosse Anzahl Geschütze bei Uraga zusammen. Man beschloss jedoch, den Brief des Präsidenten in Empfang zu nehmen. — Der erste Minister des Siogun Iye-yosi, Midsuno Yetsizen-no-kami, ein Anhänger des alten Systems, soll sich damals mit mehreren Daïmio’s in Yeddo verschworen haben, durch Vergiftung des Iye-yosi, eines anerkannt tüchtigen und erfahrenen Herrschers, das Land vom Einfluss der Fremden zu retten, mit der Nebenabsicht, wie man sagt, die Herrschaft an sich zu reissen, da der Thronfolger schwachsinnig war. Der Siogun schöpft Verdacht und wirft den Giftbecher dem Diener, der ihn überreicht, in das Gesicht; dieser durchbohrt ihn mit dem Schwerte und vollzieht dann sogleich das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0214" n="184"/><fw place="top" type="header">Thatsachen und Gerüchte.</fw><lb/> Kaisers zu lähmen, hat aber bis jetzt die herrschende Linie der<lb/><hi rendition="#k">Minamoto</hi> nicht vom Throne verdrängen können.</p><lb/> <p>Der Verlauf der Begebenheiten im Einzelnen ist, wie gesagt,<lb/> in Dunkel gehüllt. Constatirte Thatsachen sind nur: dass bald nach<lb/> dem ersten Erscheinen des amerikanischen Geschwaders (1853) der<lb/> regierende <hi rendition="#k">Siogun</hi> starb, und dass sein kinderloser Nachfolger die<lb/> Unterzeichnung des Harris’schen Vertrages nur um wenige Tage über-<lb/> lebte; dass damals ein unmündiger Spross des Hauses <hi rendition="#k"><placeName>Kii</placeName></hi> auf den<lb/> Thron erhoben, der Fürst von <hi rendition="#k"><placeName>Mito</placeName></hi> seiner Würde beraubt und auf<lb/> seine Güter verbannt wurde, und dass die Leitung des Staates dem<lb/> erblichen Regenten <hi rendition="#k"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/119093723">Ikamo-no-kami</persName></hi> anheimfiel, welcher im Frühjahr<lb/> 1860 — einige Monate vor Ankunft des preussischen Geschwaders —<lb/> von den Bravo’s des Fürsten von <hi rendition="#k"><placeName>Mito</placeName></hi> auf offener Strasse ermordet<lb/> wurde. Alle übrigen Nachrichten sind mehr oder minder unver-<lb/> bürgt. Die in <placeName>Japan</placeName> verbreiteten Gerüchte mögen viel Wahres<lb/> enthalten <note xml:id="note-0214" next="#note-0215" place="foot" n="180)">Um dem Leser einen Begriff sowohl von dem Charakter der Ereignisse, als<lb/> von der Unvereinbarkeit der in <placeName>Japan</placeName> selbst den Fremden bekannt gewordenen Ge-<lb/> rüchte zu geben, mögen hier kurze Auszüge von zwei Darstellungen der Begebenheiten<lb/> seit <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118994573">Perry’s</persName> Ankunft stehen, die beide auf an Ort und Stelle gesammelten Nachrichten<lb/> basiren. Die erste ist dem Buche des englischen Gesandten Sir <persName ref="http://d-nb.info/gnd/12472907X">Rutherford Alcock</persName><lb/> »The Capital of the Tycoon« entnommen, welcher selbst sagt, dass er nur Gerüchte<lb/> wieder erzählt; die zweite ist zuerst in der Revue des deux mondes abgedruckt<lb/> worden. Der Verfasser der letzteren hat seine Berichte später in einem besonderen<lb/> Bande zusammengefasst, welchen Lebendigkeit der Auffassung des <hi rendition="#g">Gesehenen</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Erlebten</hi>, Treue der Schilderungen, Humanität der Anschauung, Wohlwollen und<lb/> Gewissenhaftigkeit zu einem der anziehendsten und nützlichsten Bücher über <placeName>Japan</placeName><lb/> machen; in allem <hi rendition="#g">Historischen</hi> dagegen ist er ohne Kritik verfahren, und berichtet,<lb/> auf die Zuverlässigkeit seiner Gewährsmänner bauend, neben vielem Phantastischen auch<lb/> Dinge, die nachweisbar unrichtig, und andere, von denen Niemand etwas wissen kann.<lb/> Nach der Version des Herrn <persName ref="http://d-nb.info/gnd/12472907X">Alcock</persName> scheint man bei <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118994573">Perry’s</persName> erster Ankunft die<lb/> Absicht gehabt zu haben, seine Anträge zurückzuweisen. Die für die Vertheidigung<lb/> des Golfes von <hi rendition="#k"><placeName>Yeddo</placeName></hi> verantwortlichen <hi rendition="#k">Daïmio</hi>’s brachten in zwei Tagen ein Heer<lb/> von 10,000 Mann und eine grosse Anzahl Geschütze bei <hi rendition="#k"><placeName>Uraga</placeName></hi> zusammen. Man<lb/> beschloss jedoch, den Brief des Präsidenten in Empfang zu nehmen. — Der erste<lb/> Minister des <hi rendition="#k">Siogun <persName ref="nognd">Iye-yosi</persName>, Midsuno <persName ref="nognd">Yetsizen-no-kami</persName></hi>, ein Anhänger des<lb/> alten Systems, soll sich damals mit mehreren <hi rendition="#k">Daïmio</hi>’s in <hi rendition="#k"><placeName>Yeddo</placeName></hi> verschworen haben,<lb/> durch Vergiftung des <hi rendition="#k"><persName ref="nognd">Iye-yosi</persName></hi>, eines anerkannt tüchtigen und erfahrenen Herrschers,<lb/> das Land vom Einfluss der Fremden zu retten, mit der Nebenabsicht, wie man sagt,<lb/> die Herrschaft an sich zu reissen, da der Thronfolger schwachsinnig war. Der <hi rendition="#k">Siogun</hi><lb/> schöpft Verdacht und wirft den Giftbecher dem Diener, der ihn überreicht, in das<lb/> Gesicht; dieser durchbohrt ihn mit dem Schwerte und vollzieht dann sogleich das</note>, widersprechen einander aber in den Einzelnheiten<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [184/0214]
Thatsachen und Gerüchte.
Kaisers zu lähmen, hat aber bis jetzt die herrschende Linie der
Minamoto nicht vom Throne verdrängen können.
Der Verlauf der Begebenheiten im Einzelnen ist, wie gesagt,
in Dunkel gehüllt. Constatirte Thatsachen sind nur: dass bald nach
dem ersten Erscheinen des amerikanischen Geschwaders (1853) der
regierende Siogun starb, und dass sein kinderloser Nachfolger die
Unterzeichnung des Harris’schen Vertrages nur um wenige Tage über-
lebte; dass damals ein unmündiger Spross des Hauses Kii auf den
Thron erhoben, der Fürst von Mito seiner Würde beraubt und auf
seine Güter verbannt wurde, und dass die Leitung des Staates dem
erblichen Regenten Ikamo-no-kami anheimfiel, welcher im Frühjahr
1860 — einige Monate vor Ankunft des preussischen Geschwaders —
von den Bravo’s des Fürsten von Mito auf offener Strasse ermordet
wurde. Alle übrigen Nachrichten sind mehr oder minder unver-
bürgt. Die in Japan verbreiteten Gerüchte mögen viel Wahres
enthalten 180), widersprechen einander aber in den Einzelnheiten
180) Um dem Leser einen Begriff sowohl von dem Charakter der Ereignisse, als
von der Unvereinbarkeit der in Japan selbst den Fremden bekannt gewordenen Ge-
rüchte zu geben, mögen hier kurze Auszüge von zwei Darstellungen der Begebenheiten
seit Perry’s Ankunft stehen, die beide auf an Ort und Stelle gesammelten Nachrichten
basiren. Die erste ist dem Buche des englischen Gesandten Sir Rutherford Alcock
»The Capital of the Tycoon« entnommen, welcher selbst sagt, dass er nur Gerüchte
wieder erzählt; die zweite ist zuerst in der Revue des deux mondes abgedruckt
worden. Der Verfasser der letzteren hat seine Berichte später in einem besonderen
Bande zusammengefasst, welchen Lebendigkeit der Auffassung des Gesehenen und
Erlebten, Treue der Schilderungen, Humanität der Anschauung, Wohlwollen und
Gewissenhaftigkeit zu einem der anziehendsten und nützlichsten Bücher über Japan
machen; in allem Historischen dagegen ist er ohne Kritik verfahren, und berichtet,
auf die Zuverlässigkeit seiner Gewährsmänner bauend, neben vielem Phantastischen auch
Dinge, die nachweisbar unrichtig, und andere, von denen Niemand etwas wissen kann.
Nach der Version des Herrn Alcock scheint man bei Perry’s erster Ankunft die
Absicht gehabt zu haben, seine Anträge zurückzuweisen. Die für die Vertheidigung
des Golfes von Yeddo verantwortlichen Daïmio’s brachten in zwei Tagen ein Heer
von 10,000 Mann und eine grosse Anzahl Geschütze bei Uraga zusammen. Man
beschloss jedoch, den Brief des Präsidenten in Empfang zu nehmen. — Der erste
Minister des Siogun Iye-yosi, Midsuno Yetsizen-no-kami, ein Anhänger des
alten Systems, soll sich damals mit mehreren Daïmio’s in Yeddo verschworen haben,
durch Vergiftung des Iye-yosi, eines anerkannt tüchtigen und erfahrenen Herrschers,
das Land vom Einfluss der Fremden zu retten, mit der Nebenabsicht, wie man sagt,
die Herrschaft an sich zu reissen, da der Thronfolger schwachsinnig war. Der Siogun
schöpft Verdacht und wirft den Giftbecher dem Diener, der ihn überreicht, in das
Gesicht; dieser durchbohrt ihn mit dem Schwerte und vollzieht dann sogleich das
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |