[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.Gute Eigenschaften der Japaner. Ihr Verhältniss zu den Ausländern. aufopfernder Freundschaft 133) und Nächstenliebe, des feinsten Ehr-und Pflichtgefühls, der rührendsten Selbstverleugnung finden. Wenn sie den Fremden gegenüber misstrauisch geworden sind, und sie oft mit Argwohn und Trug behandeln, so tragen diese selbst den grössten Theil der Schuld, wie die Holländer vielfach eingestanden haben. Diese haben sich freilich während ihrer zweihundertjährigen Ge- fangenschaft auf Desima viele Unbilden und Kränkungen von der japanischen Regierung und besonders von den Beamten gefallen lassen müssen, durch welche sie beaufsichtigt wurden; -- sie klagen bitter über deren Willkühr, Härte und Unredlichkeit, und über die starre Tyrannei der kaiserlichen Regierung, welche sich in den letz- ten Jahren auch gegen die Vertreter der übrigen westlichen Nationen vielfach unzuverlässig und zweideutig gezeigt hat; -- wenn man aber auf der anderen Seite das Benehmen der holländischen Factorei- beamten betrachtet, die sich vom höchsten bis zum niedrigsten an dem verbotenen Schleichhandel und anderen Ungesetzlichkeiten betheiligten, und durch die schärfsten Verweise und die schmach- vollste Behandlung nicht davon abbringen liessen, wenn man ferner bedenkt, welche Verlegenheiten der Fremdenverkehr der japanischen Regierung besonders seit 1858 bereitet hat, -- so ist kaum zu ver- wundern, dass sie die Holländer zu Zeiten als Nichtswürdige be- handelte, und dass sie die Fremden heutigen Tages als ihre Feinde ansieht. Gegen den Feind aber, und zur Erreichung ehrenhafter und patriotischer Zwecke ist nach japanischen Begriffen jede List, Verstellung und Lüge erlaubt. -- Gegründet sind die vielen Klagen der europäischen Kaufleute über die Unzuverlässigkeit der japani- schen im Handelsverkehr, aber es wäre Unrecht ein Volk nach derjenigen Classe zu beurtheilen, die von ihm selbst am geringsten geachtet wird. Eine gewisse Verschlagenheit und Vorsicht hat sich in Folge der allgemeinen Verantwortlichkeit bei allen Japanern aus- gebildet; dass aber -- und nicht allein unter den höheren Ständen -- Redlichkeit, Treue, Ehrenhaftigkeit, Selbstverleugnung, Herzens- güte und Grossmuth sehr verbreitete Tugenden sind, hat sich in hundert Fällen gezeigt, wo Europäer mit Japanern in näheren und dauernden Verkehr getreten sind. Der Grad der Gesittung eines Volkes sollte niemals nach vereinzelten Thatsachen beurtheilt wer- den, sondern nach seinem Ideal, nach dem Maassstabe von Tugend und Laster, von Ehre und Schande, der bei seinen Besseren gültig 133) Treue unter Freunden bis in den Tod rühmt schon Caron an den Japanern.
Gute Eigenschaften der Japaner. Ihr Verhältniss zu den Ausländern. aufopfernder Freundschaft 133) und Nächstenliebe, des feinsten Ehr-und Pflichtgefühls, der rührendsten Selbstverleugnung finden. Wenn sie den Fremden gegenüber misstrauisch geworden sind, und sie oft mit Argwohn und Trug behandeln, so tragen diese selbst den grössten Theil der Schuld, wie die Holländer vielfach eingestanden haben. Diese haben sich freilich während ihrer zweihundertjährigen Ge- fangenschaft auf Desima viele Unbilden und Kränkungen von der japanischen Regierung und besonders von den Beamten gefallen lassen müssen, durch welche sie beaufsichtigt wurden; — sie klagen bitter über deren Willkühr, Härte und Unredlichkeit, und über die starre Tyrannei der kaiserlichen Regierung, welche sich in den letz- ten Jahren auch gegen die Vertreter der übrigen westlichen Nationen vielfach unzuverlässig und zweideutig gezeigt hat; — wenn man aber auf der anderen Seite das Benehmen der holländischen Factorei- beamten betrachtet, die sich vom höchsten bis zum niedrigsten an dem verbotenen Schleichhandel und anderen Ungesetzlichkeiten betheiligten, und durch die schärfsten Verweise und die schmach- vollste Behandlung nicht davon abbringen liessen, wenn man ferner bedenkt, welche Verlegenheiten der Fremdenverkehr der japanischen Regierung besonders seit 1858 bereitet hat, — so ist kaum zu ver- wundern, dass sie die Holländer zu Zeiten als Nichtswürdige be- handelte, und dass sie die Fremden heutigen Tages als ihre Feinde ansieht. Gegen den Feind aber, und zur Erreichung ehrenhafter und patriotischer Zwecke ist nach japanischen Begriffen jede List, Verstellung und Lüge erlaubt. — Gegründet sind die vielen Klagen der europäischen Kaufleute über die Unzuverlässigkeit der japani- schen im Handelsverkehr, aber es wäre Unrecht ein Volk nach derjenigen Classe zu beurtheilen, die von ihm selbst am geringsten geachtet wird. Eine gewisse Verschlagenheit und Vorsicht hat sich in Folge der allgemeinen Verantwortlichkeit bei allen Japanern aus- gebildet; dass aber — und nicht allein unter den höheren Ständen — Redlichkeit, Treue, Ehrenhaftigkeit, Selbstverleugnung, Herzens- güte und Grossmuth sehr verbreitete Tugenden sind, hat sich in hundert Fällen gezeigt, wo Europäer mit Japanern in näheren und dauernden Verkehr getreten sind. Der Grad der Gesittung eines Volkes sollte niemals nach vereinzelten Thatsachen beurtheilt wer- den, sondern nach seinem Ideal, nach dem Maassstabe von Tugend und Laster, von Ehre und Schande, der bei seinen Besseren gültig 133) Treue unter Freunden bis in den Tod rühmt schon Caron an den Japanern.
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Gute Eigenschaften der Japaner. Ihr Verhältniss zu den Ausländern.
aufopfernder Freundschaft 133) und Nächstenliebe, des feinsten Ehr-
und Pflichtgefühls, der rührendsten Selbstverleugnung finden. Wenn
sie den Fremden gegenüber misstrauisch geworden sind, und sie oft
mit Argwohn und Trug behandeln, so tragen diese selbst den grössten
Theil der Schuld, wie die Holländer vielfach eingestanden haben.
Diese haben sich freilich während ihrer zweihundertjährigen Ge-
fangenschaft auf Desima viele Unbilden und Kränkungen von der
japanischen Regierung und besonders von den Beamten gefallen
lassen müssen, durch welche sie beaufsichtigt wurden; — sie klagen
bitter über deren Willkühr, Härte und Unredlichkeit, und über die
starre Tyrannei der kaiserlichen Regierung, welche sich in den letz-
ten Jahren auch gegen die Vertreter der übrigen westlichen Nationen
vielfach unzuverlässig und zweideutig gezeigt hat; — wenn man
aber auf der anderen Seite das Benehmen der holländischen Factorei-
beamten betrachtet, die sich vom höchsten bis zum niedrigsten
an dem verbotenen Schleichhandel und anderen Ungesetzlichkeiten
betheiligten, und durch die schärfsten Verweise und die schmach-
vollste Behandlung nicht davon abbringen liessen, wenn man ferner
bedenkt, welche Verlegenheiten der Fremdenverkehr der japanischen
Regierung besonders seit 1858 bereitet hat, — so ist kaum zu ver-
wundern, dass sie die Holländer zu Zeiten als Nichtswürdige be-
handelte, und dass sie die Fremden heutigen Tages als ihre Feinde
ansieht. Gegen den Feind aber, und zur Erreichung ehrenhafter
und patriotischer Zwecke ist nach japanischen Begriffen jede List,
Verstellung und Lüge erlaubt. — Gegründet sind die vielen Klagen
der europäischen Kaufleute über die Unzuverlässigkeit der japani-
schen im Handelsverkehr, aber es wäre Unrecht ein Volk nach
derjenigen Classe zu beurtheilen, die von ihm selbst am geringsten
geachtet wird. Eine gewisse Verschlagenheit und Vorsicht hat sich
in Folge der allgemeinen Verantwortlichkeit bei allen Japanern aus-
gebildet; dass aber — und nicht allein unter den höheren Ständen —
Redlichkeit, Treue, Ehrenhaftigkeit, Selbstverleugnung, Herzens-
güte und Grossmuth sehr verbreitete Tugenden sind, hat sich in
hundert Fällen gezeigt, wo Europäer mit Japanern in näheren und
dauernden Verkehr getreten sind. Der Grad der Gesittung eines
Volkes sollte niemals nach vereinzelten Thatsachen beurtheilt wer-
den, sondern nach seinem Ideal, nach dem Maassstabe von Tugend
und Laster, von Ehre und Schande, der bei seinen Besseren gültig
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