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Becker, Bernhard: Wie Arbeiterwohnungen gut und gesund einzurichten und zu erhalten seien. Basel, 1860.

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und umgekehrt machen wollte. Jn England besteht eine Par-
lamentsakte, von der wir bereits gesprochen haben. Die bel-
gische Regierung giebt denen Prämien, welche die reinlichsten
und am besten besorgten Häuser haben. Jn Rotterdam besteht
eine Gemeindeverordnung, nach welcher es geradezu verboten
ist, ungesunde Häuser zu bewohnen. Die dänische Gesetzgebung
bestimmt, wie viel Zimmer auf's wenigste ein lediger und wie
viel ein verheiratheter Arbeiter haben müsse; sie bestimmt das
Verhältniß zwischen dem das Haus umgebenden Platz und dem
Platz, auf welchem das Haus steht, die Höhe der einzelnen
Theile, den Zeitpunkt, innerhalb dessen ein neues Haus be-
zogen werden darf.*)

Jn Bezug auf die Luft, dieses wichtigste Stück in unsern
Wohnungen, ist nur eins schade, daß die verschiedenen Stoffe
und Gase, die in engen Wohnungen und Gassen, über Abtritten,
offenen Gossen, um Ställe herum vorhanden sind, nicht jedes
eine Farbe und zwar eine besondere Farbe haben. Wir wür-
den sehen oder richtiger nicht sehen (denn manchmal sähe man
gewiß keine Hand vor sich), was wir für saubere Geschichten
in unsern Leib, und zwar nicht etwa nur so in den Vorhof
des Leibes aufnehmen, in den Mund, wo man's wieder aus-
spucken kann, wenn es einen nicht gut dünkt, sondern ins Jnnerste
des Leibes, in die Lunge, in das dünne, flüssige Blut, in die
Nerven, in das Gehirn. Aber freilich, die vielen Krankheiten,
die tausend und aber tausend Leiden und Schwächezustände sind
auch nicht umsonst da. Sie haben eben auch ihre Ursachen.
Kein Wunder, daß wir manchmal nicht essen mögen, wenn so
schwere Dünste und Gase, so viel Gestank in uns eingeht.
Kein Wunder, daß wir oft so trübselige Gedanken haben, wenn
wir so mit Schmutz und Unrath den stinkenden Docht der er-
löschenden Lampe speisen, statt daß wir frisches, reines Oel auf-
gießen sollten. Die Luft hat einen unendlichen Einfluß auf
unser Leben. Man kann ja sterben in geschlossenen Räumen;
es kann einem zum Sterben schlecht werden in einem Zimmer,
wo viel Menschen beisammen sind und Niemand ein Fensterchen

*) Verhandl. der schweiz. gemeinnütz. Gesellschaft vom J. 1857. Bericht
von Lochmann.

und umgekehrt machen wollte. Jn England beſteht eine Par-
lamentsakte, von der wir bereits geſprochen haben. Die bel-
giſche Regierung giebt denen Prämien, welche die reinlichſten
und am beſten beſorgten Häuſer haben. Jn Rotterdam beſteht
eine Gemeindeverordnung, nach welcher es geradezu verboten
iſt, ungeſunde Häuſer zu bewohnen. Die däniſche Geſetzgebung
beſtimmt, wie viel Zimmer auf's wenigſte ein lediger und wie
viel ein verheiratheter Arbeiter haben müſſe; ſie beſtimmt das
Verhältniß zwiſchen dem das Haus umgebenden Platz und dem
Platz, auf welchem das Haus ſteht, die Höhe der einzelnen
Theile, den Zeitpunkt, innerhalb deſſen ein neues Haus be-
zogen werden darf.*)

Jn Bezug auf die Luft, dieſes wichtigſte Stück in unſern
Wohnungen, iſt nur eins ſchade, daß die verſchiedenen Stoffe
und Gaſe, die in engen Wohnungen und Gaſſen, über Abtritten,
offenen Goſſen, um Ställe herum vorhanden ſind, nicht jedes
eine Farbe und zwar eine beſondere Farbe haben. Wir wür-
den ſehen oder richtiger nicht ſehen (denn manchmal ſähe man
gewiß keine Hand vor ſich), was wir für ſaubere Geſchichten
in unſern Leib, und zwar nicht etwa nur ſo in den Vorhof
des Leibes aufnehmen, in den Mund, wo man's wieder aus-
ſpucken kann, wenn es einen nicht gut dünkt, ſondern ins Jnnerſte
des Leibes, in die Lunge, in das dünne, flüſſige Blut, in die
Nerven, in das Gehirn. Aber freilich, die vielen Krankheiten,
die tauſend und aber tauſend Leiden und Schwächezuſtände ſind
auch nicht umſonſt da. Sie haben eben auch ihre Urſachen.
Kein Wunder, daß wir manchmal nicht eſſen mögen, wenn ſo
ſchwere Dünſte und Gaſe, ſo viel Geſtank in uns eingeht.
Kein Wunder, daß wir oft ſo trübſelige Gedanken haben, wenn
wir ſo mit Schmutz und Unrath den ſtinkenden Docht der er-
löſchenden Lampe ſpeiſen, ſtatt daß wir friſches, reines Oel auf-
gießen ſollten. Die Luft hat einen unendlichen Einfluß auf
unſer Leben. Man kann ja ſterben in geſchloſſenen Räumen;
es kann einem zum Sterben ſchlecht werden in einem Zimmer,
wo viel Menſchen beiſammen ſind und Niemand ein Fenſterchen

*) Verhandl. der ſchweiz. gemeinnütz. Geſellſchaft vom J. 1857. Bericht
von Lochmann.
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[56/0056] und umgekehrt machen wollte. Jn England beſteht eine Par- lamentsakte, von der wir bereits geſprochen haben. Die bel- giſche Regierung giebt denen Prämien, welche die reinlichſten und am beſten beſorgten Häuſer haben. Jn Rotterdam beſteht eine Gemeindeverordnung, nach welcher es geradezu verboten iſt, ungeſunde Häuſer zu bewohnen. Die däniſche Geſetzgebung beſtimmt, wie viel Zimmer auf's wenigſte ein lediger und wie viel ein verheiratheter Arbeiter haben müſſe; ſie beſtimmt das Verhältniß zwiſchen dem das Haus umgebenden Platz und dem Platz, auf welchem das Haus ſteht, die Höhe der einzelnen Theile, den Zeitpunkt, innerhalb deſſen ein neues Haus be- zogen werden darf. *) Jn Bezug auf die Luft, dieſes wichtigſte Stück in unſern Wohnungen, iſt nur eins ſchade, daß die verſchiedenen Stoffe und Gaſe, die in engen Wohnungen und Gaſſen, über Abtritten, offenen Goſſen, um Ställe herum vorhanden ſind, nicht jedes eine Farbe und zwar eine beſondere Farbe haben. Wir wür- den ſehen oder richtiger nicht ſehen (denn manchmal ſähe man gewiß keine Hand vor ſich), was wir für ſaubere Geſchichten in unſern Leib, und zwar nicht etwa nur ſo in den Vorhof des Leibes aufnehmen, in den Mund, wo man's wieder aus- ſpucken kann, wenn es einen nicht gut dünkt, ſondern ins Jnnerſte des Leibes, in die Lunge, in das dünne, flüſſige Blut, in die Nerven, in das Gehirn. Aber freilich, die vielen Krankheiten, die tauſend und aber tauſend Leiden und Schwächezuſtände ſind auch nicht umſonſt da. Sie haben eben auch ihre Urſachen. Kein Wunder, daß wir manchmal nicht eſſen mögen, wenn ſo ſchwere Dünſte und Gaſe, ſo viel Geſtank in uns eingeht. Kein Wunder, daß wir oft ſo trübſelige Gedanken haben, wenn wir ſo mit Schmutz und Unrath den ſtinkenden Docht der er- löſchenden Lampe ſpeiſen, ſtatt daß wir friſches, reines Oel auf- gießen ſollten. Die Luft hat einen unendlichen Einfluß auf unſer Leben. Man kann ja ſterben in geſchloſſenen Räumen; es kann einem zum Sterben ſchlecht werden in einem Zimmer, wo viel Menſchen beiſammen ſind und Niemand ein Fenſterchen *) Verhandl. der ſchweiz. gemeinnütz. Geſellſchaft vom J. 1857. Bericht von Lochmann.

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Zitationshilfe: Becker, Bernhard: Wie Arbeiterwohnungen gut und gesund einzurichten und zu erhalten seien. Basel, 1860, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/becker_arbeiter_1860/56>, abgerufen am 23.11.2024.