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Becker, Bernhard: Wie Arbeiterwohnungen gut und gesund einzurichten und zu erhalten seien. Basel, 1860.

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Probe nicht gut bestehen und dabei doch eines guten Leumundes
genießen, wie z. B. die Kartoffeln, werden heruntergemacht.
Dr. Bock in Leipzig wird nicht müde in der Gartenlaube "Nieder
mit der Kartoffel!" zu rufen, und dagegen die köstlichen Halm-
früchte zu empfehlen und Milch. Die Kochkunst, die früher nur
ein Luxusartikel war, wird rationell betrieben. Ein gutes Koch-
buch darf nicht mehr geschrieben sein, ohne Liebig u. Moleschott
gründlich zu kennen. Jn der Bekleidung ist so viel noch nicht
geschehen. Doch sind schon Anfänge zum Bessern da. Die
weichen breitkrempigen grauen Filzhüte, die vor Regen und
Sonnenschein schützen, sind gesunder als der schmalrandige steife
und schwarze Röhrenhut. Der weiche, grobtuchige Ueberrock, der
nicht nach allen Winkelchen und Eckchen des oft nicht besonders
schön geformten Körpers geschnitten ist und um jedes Gelenk
ein besonderes Bändchen und Schnürchen hat, sondern sich weit
und frei um den Leib wirft, ist ein vernünftigeres Kleid als
z. B. der Frackrock. Den verrufenen Reifröcken wird von ernster
Seite aus der Krieg gemacht. Aerzte erklären, daß nichts Ge-
ringeres als schwere und Fehlgeburten vielfach der Lohn dieser
unsinnigen Hoffahrt seien. Jn Bezug der Wohnungen als
eines wichtigsten Theils geschieht viel durch Besprechung und
Anhandnahme des Gegenstandes.

Woher kommt es, daß man sich jetzt so auffallend
auf diese äußern Dinge wirft?
Das kommt wieder her von
der neuern Bildung, zumeist von den Naturwissenschaften. Man
faßt den Menschen nicht mehr, wie man das früher vielfach
gethan hat, als ein der Erde fremdes, entgegengesetztes, mit ihr
nicht verbundenes Geschöpf, das ein ganz eigenes, für sich be-
stehendes, von der Erde unabhängiges Leben leben könnte und
zu leben hätte, wie es etwa syrische Säulenheilige versucht haben;
nicht als einen Geist, der aus einer fremden Welt auf diese
Erde geworfen, von der Fessel eines Leibes beschwert, möglichst
bald aus diesem Jammerthal wegzukommen wünscht, sondern
als ein Theilchen dieser Erde, als ein Stückchen Erde -- ganz
wie es in der heil. Schrift Alten Testamentes steht, in der wir
überhaupt die prächtigsten Sachen hätten, wenn wir wollten --
in welchem aus einem Saamen, den Gott bei der Schöpfung

Probe nicht gut beſtehen und dabei doch eines guten Leumundes
genießen, wie z. B. die Kartoffeln, werden heruntergemacht.
Dr. Bock in Leipzig wird nicht müde in der Gartenlaube „Nieder
mit der Kartoffel!“ zu rufen, und dagegen die köſtlichen Halm-
früchte zu empfehlen und Milch. Die Kochkunſt, die früher nur
ein Luxusartikel war, wird rationell betrieben. Ein gutes Koch-
buch darf nicht mehr geſchrieben ſein, ohne Liebig u. Moleſchott
gründlich zu kennen. Jn der Bekleidung iſt ſo viel noch nicht
geſchehen. Doch ſind ſchon Anfänge zum Beſſern da. Die
weichen breitkrempigen grauen Filzhüte, die vor Regen und
Sonnenſchein ſchützen, ſind geſunder als der ſchmalrandige ſteife
und ſchwarze Röhrenhut. Der weiche, grobtuchige Ueberrock, der
nicht nach allen Winkelchen und Eckchen des oft nicht beſonders
ſchön geformten Körpers geſchnitten iſt und um jedes Gelenk
ein beſonderes Bändchen und Schnürchen hat, ſondern ſich weit
und frei um den Leib wirft, iſt ein vernünftigeres Kleid als
z. B. der Frackrock. Den verrufenen Reifröcken wird von ernſter
Seite aus der Krieg gemacht. Aerzte erklären, daß nichts Ge-
ringeres als ſchwere und Fehlgeburten vielfach der Lohn dieſer
unſinnigen Hoffahrt ſeien. Jn Bezug der Wohnungen als
eines wichtigſten Theils geſchieht viel durch Beſprechung und
Anhandnahme des Gegenſtandes.

Woher kommt es, daß man ſich jetzt ſo auffallend
auf dieſe äußern Dinge wirft?
Das kommt wieder her von
der neuern Bildung, zumeiſt von den Naturwiſſenſchaften. Man
faßt den Menſchen nicht mehr, wie man das früher vielfach
gethan hat, als ein der Erde fremdes, entgegengeſetztes, mit ihr
nicht verbundenes Geſchöpf, das ein ganz eigenes, für ſich be-
ſtehendes, von der Erde unabhängiges Leben leben könnte und
zu leben hätte, wie es etwa ſyriſche Säulenheilige verſucht haben;
nicht als einen Geiſt, der aus einer fremden Welt auf dieſe
Erde geworfen, von der Feſſel eines Leibes beſchwert, möglichſt
bald aus dieſem Jammerthal wegzukommen wünſcht, ſondern
als ein Theilchen dieſer Erde, als ein Stückchen Erde — ganz
wie es in der heil. Schrift Alten Teſtamentes ſteht, in der wir
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[10/0010] Probe nicht gut beſtehen und dabei doch eines guten Leumundes genießen, wie z. B. die Kartoffeln, werden heruntergemacht. Dr. Bock in Leipzig wird nicht müde in der Gartenlaube „Nieder mit der Kartoffel!“ zu rufen, und dagegen die köſtlichen Halm- früchte zu empfehlen und Milch. Die Kochkunſt, die früher nur ein Luxusartikel war, wird rationell betrieben. Ein gutes Koch- buch darf nicht mehr geſchrieben ſein, ohne Liebig u. Moleſchott gründlich zu kennen. Jn der Bekleidung iſt ſo viel noch nicht geſchehen. Doch ſind ſchon Anfänge zum Beſſern da. Die weichen breitkrempigen grauen Filzhüte, die vor Regen und Sonnenſchein ſchützen, ſind geſunder als der ſchmalrandige ſteife und ſchwarze Röhrenhut. Der weiche, grobtuchige Ueberrock, der nicht nach allen Winkelchen und Eckchen des oft nicht beſonders ſchön geformten Körpers geſchnitten iſt und um jedes Gelenk ein beſonderes Bändchen und Schnürchen hat, ſondern ſich weit und frei um den Leib wirft, iſt ein vernünftigeres Kleid als z. B. der Frackrock. Den verrufenen Reifröcken wird von ernſter Seite aus der Krieg gemacht. Aerzte erklären, daß nichts Ge- ringeres als ſchwere und Fehlgeburten vielfach der Lohn dieſer unſinnigen Hoffahrt ſeien. Jn Bezug der Wohnungen als eines wichtigſten Theils geſchieht viel durch Beſprechung und Anhandnahme des Gegenſtandes. Woher kommt es, daß man ſich jetzt ſo auffallend auf dieſe äußern Dinge wirft? Das kommt wieder her von der neuern Bildung, zumeiſt von den Naturwiſſenſchaften. Man faßt den Menſchen nicht mehr, wie man das früher vielfach gethan hat, als ein der Erde fremdes, entgegengeſetztes, mit ihr nicht verbundenes Geſchöpf, das ein ganz eigenes, für ſich be- ſtehendes, von der Erde unabhängiges Leben leben könnte und zu leben hätte, wie es etwa ſyriſche Säulenheilige verſucht haben; nicht als einen Geiſt, der aus einer fremden Welt auf dieſe Erde geworfen, von der Feſſel eines Leibes beſchwert, möglichſt bald aus dieſem Jammerthal wegzukommen wünſcht, ſondern als ein Theilchen dieſer Erde, als ein Stückchen Erde — ganz wie es in der heil. Schrift Alten Teſtamentes ſteht, in der wir überhaupt die prächtigſten Sachen hätten, wenn wir wollten — in welchem aus einem Saamen, den Gott bei der Schöpfung

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Zitationshilfe: Becker, Bernhard: Wie Arbeiterwohnungen gut und gesund einzurichten und zu erhalten seien. Basel, 1860, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/becker_arbeiter_1860/10>, abgerufen am 22.11.2024.