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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903.

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Die Erfindung und Einführung des Thomasprozesses.
Verfahren bei ihm im grossen zu versuchen. Durch diese treffliche
Unterstützung erweiterte sich rasch der Gesichtskreis von Sidney
G. Thomas
und der Prozess wurde von ihm zu solcher Höhe
gebracht, dass er ihn auf dem nächsten Meeting des Iron and Steel
Institute im Frühjahr 1879 als etwas Fertiges und Erprobtes nicht
nur vortragen, sondern auch vorzeigen konnte.

Ehe wir aber die weitere Entwickelung des Thomasprozesses be-
trachten, ist es nötig, einiges über die Vorgeschichte desselben zu
berichten.

Der Gedanke, durch eine basische Auskleidung des Konverters
die Abscheidung von Phosphor und Schwefel herbeizuführen, lag zu
nahe, als dass er nicht schon vor dem Jahre 1878 gemacht worden
wäre. Der erste Vorschlag derart rührte von Peter Tunner aus
dem Anfang der sechziger Jahre her, der eine Auskleidung von ge-
branntem Magnesit, also ein Magnesiafutter empfahl. H. Wedding
und Daelen schlugen Eisenoxydfutter wie bei den Danksöfen vor.
Ausgeführt wurden diese Vorschläge aber nicht. Dagegen machte
Wilhelm Siemens auf Chateliers Anregung hin im Jahre 1863
Versuche mit basischem Futter in seinem Regenerativflammofen, die
jedoch nicht den gehofften Erfolg hatten.

Lencauchez nahm 1865 in Frankreich ein Patent auf basische
Ziegel aus gebranntem Kalk unter Zusatz von schweren Kohlenwasser-
stoffölen, Zinkoxyd, Borax, Glas oder Sand. Das Gemisch sollte in
Formen gepresst, mit Chlorcalcium getränkt werden und zur Aus-
kleidung der Bessemerbirnen dienen. Seine Idee kam aber ebenso
wenig wie die 1869 von Müller in Paris, der Magnesia empfahl, oder
die von Tessie du Motay und Pourcel zur Anwendung. Ein ähn-
liches Patent nahm Jacob Reese in Amerika 1866.

Auch Emil Andre, der 1865 bei den Versuchen des Bessemer-
prozesses auf der Königshütte in Schlesien mit thätig war, schlug schon
damals zur Entphosphorung des einheimischen Roheisens ein basisches
Birnenfutter aus gebranntem Kalk oder Dolomit mit Zusatz eines
Sinterungsmittels vor. Die Bergbehörde lehnte aber die Anstellung
eines Versuches ab.

Von grösserem Erfolg waren die Versuche und das Patent von
George J. Snelus im Jahre 1872. Er war wirklich auf dem richtigen
Wege zur Herstellung eines basischen Konverterfutters aus Ätzkalk,
setzte aber seine angefangenen Versuche infolge seiner Versetzung in
eine andere Stelle nicht fort und liess die Sache fallen. Auf den
grossen Erfolg von Thomas hin reklamierte er die Priorität der Er-

Die Erfindung und Einführung des Thomasprozesses.
Verfahren bei ihm im groſsen zu versuchen. Durch diese treffliche
Unterstützung erweiterte sich rasch der Gesichtskreis von Sidney
G. Thomas
und der Prozeſs wurde von ihm zu solcher Höhe
gebracht, daſs er ihn auf dem nächsten Meeting des Iron and Steel
Institute im Frühjahr 1879 als etwas Fertiges und Erprobtes nicht
nur vortragen, sondern auch vorzeigen konnte.

Ehe wir aber die weitere Entwickelung des Thomasprozesses be-
trachten, ist es nötig, einiges über die Vorgeschichte desselben zu
berichten.

Der Gedanke, durch eine basische Auskleidung des Konverters
die Abscheidung von Phosphor und Schwefel herbeizuführen, lag zu
nahe, als daſs er nicht schon vor dem Jahre 1878 gemacht worden
wäre. Der erste Vorschlag derart rührte von Peter Tunner aus
dem Anfang der sechziger Jahre her, der eine Auskleidung von ge-
branntem Magnesit, also ein Magnesiafutter empfahl. H. Wedding
und Daelen schlugen Eisenoxydfutter wie bei den Danksöfen vor.
Ausgeführt wurden diese Vorschläge aber nicht. Dagegen machte
Wilhelm Siemens auf Chateliers Anregung hin im Jahre 1863
Versuche mit basischem Futter in seinem Regenerativflammofen, die
jedoch nicht den gehofften Erfolg hatten.

Lencauchez nahm 1865 in Frankreich ein Patent auf basische
Ziegel aus gebranntem Kalk unter Zusatz von schweren Kohlenwasser-
stoffölen, Zinkoxyd, Borax, Glas oder Sand. Das Gemisch sollte in
Formen gepreſst, mit Chlorcalcium getränkt werden und zur Aus-
kleidung der Bessemerbirnen dienen. Seine Idee kam aber ebenso
wenig wie die 1869 von Müller in Paris, der Magnesia empfahl, oder
die von Tessié du Motay und Pourcel zur Anwendung. Ein ähn-
liches Patent nahm Jacob Reese in Amerika 1866.

Auch Emil Andre, der 1865 bei den Versuchen des Bessemer-
prozesses auf der Königshütte in Schlesien mit thätig war, schlug schon
damals zur Entphosphorung des einheimischen Roheisens ein basisches
Birnenfutter aus gebranntem Kalk oder Dolomit mit Zusatz eines
Sinterungsmittels vor. Die Bergbehörde lehnte aber die Anstellung
eines Versuches ab.

Von gröſserem Erfolg waren die Versuche und das Patent von
George J. Snelus im Jahre 1872. Er war wirklich auf dem richtigen
Wege zur Herstellung eines basischen Konverterfutters aus Ätzkalk,
setzte aber seine angefangenen Versuche infolge seiner Versetzung in
eine andere Stelle nicht fort und lieſs die Sache fallen. Auf den
groſsen Erfolg von Thomas hin reklamierte er die Priorität der Er-

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[638/0654] Die Erfindung und Einführung des Thomasprozesses. Verfahren bei ihm im groſsen zu versuchen. Durch diese treffliche Unterstützung erweiterte sich rasch der Gesichtskreis von Sidney G. Thomas und der Prozeſs wurde von ihm zu solcher Höhe gebracht, daſs er ihn auf dem nächsten Meeting des Iron and Steel Institute im Frühjahr 1879 als etwas Fertiges und Erprobtes nicht nur vortragen, sondern auch vorzeigen konnte. Ehe wir aber die weitere Entwickelung des Thomasprozesses be- trachten, ist es nötig, einiges über die Vorgeschichte desselben zu berichten. Der Gedanke, durch eine basische Auskleidung des Konverters die Abscheidung von Phosphor und Schwefel herbeizuführen, lag zu nahe, als daſs er nicht schon vor dem Jahre 1878 gemacht worden wäre. Der erste Vorschlag derart rührte von Peter Tunner aus dem Anfang der sechziger Jahre her, der eine Auskleidung von ge- branntem Magnesit, also ein Magnesiafutter empfahl. H. Wedding und Daelen schlugen Eisenoxydfutter wie bei den Danksöfen vor. Ausgeführt wurden diese Vorschläge aber nicht. Dagegen machte Wilhelm Siemens auf Chateliers Anregung hin im Jahre 1863 Versuche mit basischem Futter in seinem Regenerativflammofen, die jedoch nicht den gehofften Erfolg hatten. Lencauchez nahm 1865 in Frankreich ein Patent auf basische Ziegel aus gebranntem Kalk unter Zusatz von schweren Kohlenwasser- stoffölen, Zinkoxyd, Borax, Glas oder Sand. Das Gemisch sollte in Formen gepreſst, mit Chlorcalcium getränkt werden und zur Aus- kleidung der Bessemerbirnen dienen. Seine Idee kam aber ebenso wenig wie die 1869 von Müller in Paris, der Magnesia empfahl, oder die von Tessié du Motay und Pourcel zur Anwendung. Ein ähn- liches Patent nahm Jacob Reese in Amerika 1866. Auch Emil Andre, der 1865 bei den Versuchen des Bessemer- prozesses auf der Königshütte in Schlesien mit thätig war, schlug schon damals zur Entphosphorung des einheimischen Roheisens ein basisches Birnenfutter aus gebranntem Kalk oder Dolomit mit Zusatz eines Sinterungsmittels vor. Die Bergbehörde lehnte aber die Anstellung eines Versuches ab. Von gröſserem Erfolg waren die Versuche und das Patent von George J. Snelus im Jahre 1872. Er war wirklich auf dem richtigen Wege zur Herstellung eines basischen Konverterfutters aus Ätzkalk, setzte aber seine angefangenen Versuche infolge seiner Versetzung in eine andere Stelle nicht fort und lieſs die Sache fallen. Auf den groſsen Erfolg von Thomas hin reklamierte er die Priorität der Er-

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903, S. 638. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen05_1903/654>, abgerufen am 16.07.2024.