Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903.

Bild:
<< vorherige Seite

Physik des Eisens seit 1871.
lität haben als in Mischungen, die diesem Verhältnisse nicht
entsprechen. Man kann diese "eutektischen" Legierungen nicht als
chemische Verbindungen ansehen und doch zeigen sie eine Verwandt-
schaft mit solchen.

Die eigentümlichen Erscheinungen, welche Stahl und Eisen bei
langsamem Erkalten zeigen, lassen sich am besten aus diesen Ana-
logien erklären. Dabei ist das Merkwürdige, dass diese Veränderungen,
die offenbar durch molekulare Umlagerungen bedingt sind, in erstarrten
Körpern, allerdings nur bei hohen Temperaturen, vor sich gehen.

Diese Veränderungen sind nicht leicht zu verstehen und sie sind
durch die genaueren Untersuchungen in den letzten Jahren nicht
verständlicher, sondern verwickelter geworden. Früher kannte man
nur einen "kritischen Punkt", der bei etwa 750° C. auftrat, jetzt
unterscheidet man bereits mindestens drei solcher kritischen oder
Haltepunkte, die bei verschiedenen Eisensorten keineswegs gleich sind.
Durch die wichtige Erfindung eines selbstregistrierenden Pyrometers,
der die Erhitzungs- und Abkühlungskurven (Rekalescenskurven) gra-
phisch darzustellen im stande ist, haben diese Beobachtungen sehr
an Deutlichkeit und Zuverlässigkeit gewonnen. Diese Registrierung
der Wärmelinien mit ihren Unregelmässigkeiten ist noch bestimmter
geworden, seitdem Roberts Austen dieselbe nicht mehr direkt, son-
dern in Verbindung mit der Wärmelinie eines auf die gleichen Tem-
peraturgrade erwärmten Platinstabes aufzeichnet. Wie verschieden
das Bild dieser Thermokurven ist, zeigen Fig. 140 und Fig. 141, von

[Abbildung] Fig. 140.
denen erstere die ältere Aufzeichnung Osmonds eines sehr reinen
elektrolytisch erzeugten Eisens, letztere die neuere Aufzeichnung
Roberts Austens eines ebensolchen Eisens darstellt. Die Kurven
und Haltepunkte sind verschieden bei verschiedenem Kohlenstoff-
gehalt. Auch der Wasserstoffgehalt hat einen Einfluss auf das mehr
oder weniger deutliche Hervortreten einzelner Haltepunkte, wobei die
bei den niedrigeren Temperaturen von 261° und 487° C. in Fig. 141
dargestellten erscheinen.

Nach der früheren Erklärung zerfällt Martensit bei langsamer

25*

Physik des Eisens seit 1871.
lität haben als in Mischungen, die diesem Verhältnisse nicht
entsprechen. Man kann diese „eutektischen“ Legierungen nicht als
chemische Verbindungen ansehen und doch zeigen sie eine Verwandt-
schaft mit solchen.

Die eigentümlichen Erscheinungen, welche Stahl und Eisen bei
langsamem Erkalten zeigen, lassen sich am besten aus diesen Ana-
logien erklären. Dabei ist das Merkwürdige, daſs diese Veränderungen,
die offenbar durch molekulare Umlagerungen bedingt sind, in erstarrten
Körpern, allerdings nur bei hohen Temperaturen, vor sich gehen.

Diese Veränderungen sind nicht leicht zu verstehen und sie sind
durch die genaueren Untersuchungen in den letzten Jahren nicht
verständlicher, sondern verwickelter geworden. Früher kannte man
nur einen „kritischen Punkt“, der bei etwa 750° C. auftrat, jetzt
unterscheidet man bereits mindestens drei solcher kritischen oder
Haltepunkte, die bei verschiedenen Eisensorten keineswegs gleich sind.
Durch die wichtige Erfindung eines selbstregistrierenden Pyrometers,
der die Erhitzungs- und Abkühlungskurven (Rekalescenskurven) gra-
phisch darzustellen im stande ist, haben diese Beobachtungen sehr
an Deutlichkeit und Zuverlässigkeit gewonnen. Diese Registrierung
der Wärmelinien mit ihren Unregelmäſsigkeiten ist noch bestimmter
geworden, seitdem Roberts Austen dieselbe nicht mehr direkt, son-
dern in Verbindung mit der Wärmelinie eines auf die gleichen Tem-
peraturgrade erwärmten Platinstabes aufzeichnet. Wie verschieden
das Bild dieser Thermokurven ist, zeigen Fig. 140 und Fig. 141, von

[Abbildung] Fig. 140.
denen erstere die ältere Aufzeichnung Osmonds eines sehr reinen
elektrolytisch erzeugten Eisens, letztere die neuere Aufzeichnung
Roberts Austens eines ebensolchen Eisens darstellt. Die Kurven
und Haltepunkte sind verschieden bei verschiedenem Kohlenstoff-
gehalt. Auch der Wasserstoffgehalt hat einen Einfluſs auf das mehr
oder weniger deutliche Hervortreten einzelner Haltepunkte, wobei die
bei den niedrigeren Temperaturen von 261° und 487° C. in Fig. 141
dargestellten erscheinen.

Nach der früheren Erklärung zerfällt Martensit bei langsamer

25*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0403" n="387"/><fw place="top" type="header">Physik des Eisens seit 1871.</fw><lb/>
lität haben als in Mischungen, die diesem Verhältnisse nicht<lb/>
entsprechen. Man kann diese &#x201E;eutektischen&#x201C; Legierungen nicht als<lb/>
chemische Verbindungen ansehen und doch zeigen sie eine Verwandt-<lb/>
schaft mit solchen.</p><lb/>
          <p>Die eigentümlichen Erscheinungen, welche Stahl und Eisen bei<lb/>
langsamem Erkalten zeigen, lassen sich am besten aus diesen Ana-<lb/>
logien erklären. Dabei ist das Merkwürdige, da&#x017F;s diese Veränderungen,<lb/>
die offenbar durch molekulare Umlagerungen bedingt sind, in erstarrten<lb/>
Körpern, allerdings nur bei hohen Temperaturen, vor sich gehen.</p><lb/>
          <p>Diese Veränderungen sind nicht leicht zu verstehen und sie sind<lb/>
durch die genaueren Untersuchungen in den letzten Jahren nicht<lb/>
verständlicher, sondern verwickelter geworden. Früher kannte man<lb/>
nur einen &#x201E;kritischen Punkt&#x201C;, der bei etwa 750° C. auftrat, jetzt<lb/>
unterscheidet man bereits mindestens drei solcher kritischen oder<lb/>
Haltepunkte, die bei verschiedenen Eisensorten keineswegs gleich sind.<lb/>
Durch die wichtige Erfindung eines selbstregistrierenden Pyrometers,<lb/>
der die Erhitzungs- und Abkühlungskurven (Rekalescenskurven) gra-<lb/>
phisch darzustellen im stande ist, haben diese Beobachtungen sehr<lb/>
an Deutlichkeit und Zuverlässigkeit gewonnen. Diese Registrierung<lb/>
der Wärmelinien mit ihren Unregelmä&#x017F;sigkeiten ist noch bestimmter<lb/>
geworden, seitdem <hi rendition="#g">Roberts Austen</hi> dieselbe nicht mehr direkt, son-<lb/>
dern in Verbindung mit der Wärmelinie eines auf die gleichen Tem-<lb/>
peraturgrade erwärmten Platinstabes aufzeichnet. Wie verschieden<lb/>
das Bild dieser Thermokurven ist, zeigen Fig. 140 und Fig. 141, von<lb/><figure><head>Fig. 140.</head></figure><lb/>
denen erstere die ältere Aufzeichnung <hi rendition="#g">Osmonds</hi> eines sehr reinen<lb/>
elektrolytisch erzeugten Eisens, letztere die neuere Aufzeichnung<lb/><hi rendition="#g">Roberts Austens</hi> eines ebensolchen Eisens darstellt. Die Kurven<lb/>
und Haltepunkte sind verschieden bei verschiedenem Kohlenstoff-<lb/>
gehalt. Auch der Wasserstoffgehalt hat einen Einflu&#x017F;s auf das mehr<lb/>
oder weniger deutliche Hervortreten einzelner Haltepunkte, wobei die<lb/>
bei den niedrigeren Temperaturen von 261° und 487° C. in Fig. 141<lb/>
dargestellten erscheinen.</p><lb/>
          <p>Nach der früheren Erklärung zerfällt Martensit bei langsamer<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">25*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[387/0403] Physik des Eisens seit 1871. lität haben als in Mischungen, die diesem Verhältnisse nicht entsprechen. Man kann diese „eutektischen“ Legierungen nicht als chemische Verbindungen ansehen und doch zeigen sie eine Verwandt- schaft mit solchen. Die eigentümlichen Erscheinungen, welche Stahl und Eisen bei langsamem Erkalten zeigen, lassen sich am besten aus diesen Ana- logien erklären. Dabei ist das Merkwürdige, daſs diese Veränderungen, die offenbar durch molekulare Umlagerungen bedingt sind, in erstarrten Körpern, allerdings nur bei hohen Temperaturen, vor sich gehen. Diese Veränderungen sind nicht leicht zu verstehen und sie sind durch die genaueren Untersuchungen in den letzten Jahren nicht verständlicher, sondern verwickelter geworden. Früher kannte man nur einen „kritischen Punkt“, der bei etwa 750° C. auftrat, jetzt unterscheidet man bereits mindestens drei solcher kritischen oder Haltepunkte, die bei verschiedenen Eisensorten keineswegs gleich sind. Durch die wichtige Erfindung eines selbstregistrierenden Pyrometers, der die Erhitzungs- und Abkühlungskurven (Rekalescenskurven) gra- phisch darzustellen im stande ist, haben diese Beobachtungen sehr an Deutlichkeit und Zuverlässigkeit gewonnen. Diese Registrierung der Wärmelinien mit ihren Unregelmäſsigkeiten ist noch bestimmter geworden, seitdem Roberts Austen dieselbe nicht mehr direkt, son- dern in Verbindung mit der Wärmelinie eines auf die gleichen Tem- peraturgrade erwärmten Platinstabes aufzeichnet. Wie verschieden das Bild dieser Thermokurven ist, zeigen Fig. 140 und Fig. 141, von [Abbildung Fig. 140.] denen erstere die ältere Aufzeichnung Osmonds eines sehr reinen elektrolytisch erzeugten Eisens, letztere die neuere Aufzeichnung Roberts Austens eines ebensolchen Eisens darstellt. Die Kurven und Haltepunkte sind verschieden bei verschiedenem Kohlenstoff- gehalt. Auch der Wasserstoffgehalt hat einen Einfluſs auf das mehr oder weniger deutliche Hervortreten einzelner Haltepunkte, wobei die bei den niedrigeren Temperaturen von 261° und 487° C. in Fig. 141 dargestellten erscheinen. Nach der früheren Erklärung zerfällt Martensit bei langsamer 25*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen05_1903
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen05_1903/403
Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen05_1903/403>, abgerufen am 03.05.2024.