Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903.

Bild:
<< vorherige Seite

Chemie 1861 bis 1870.
Stahlnatur nähme, und wies nach, dass Fremy mit unreinem Wasser-
stoff, der Wasserdampf enthielt, operiert hatte und dass durch
letzteren eine teilweise Entkohlung eingetreten war. Die chemische
Analyse bewies, dass ein geringer Stickstoffgehalt dem Stahl nicht
eigentümlich sei, sondern dass sich ein solcher auch in Roheisen und
Schmiedeeisen finde. Gruner, der Carons Ansicht gegenüber anführte,
dass weiches Eisen durch reines, ammoniakfreies Leuchtgas in Stahl
cementiert werde, behauptete, dass der Stickstoffgehalt im Stahl nur
aus dem Roheisen stammen könne. Dies griff Fremy auf. Gruner
widerlegte aber dessen Behauptung, dass die für die Stahlerzeugung
besonders geeigneten Roheisensorten mehr Stickstoff enthielten als
der daraus bereitete Stahl. Caron nahm dann an, dass der Stickstoff
im Eisen nicht direkt mit diesem, sondern mit Silicium oder Titan
verbunden sei.

Der Streit zwischen Fremy und Caron spann sich auch 1862 in
zahlreichen Aufsätzen in den Comptes rendus (Bd. 52 und 53) und
dem Repertoire de chimie appliquee fort. Eine ausführliche Zusammen-
stellung des Inhalts dieser Veröffentlichungen von Professor Werther
in Königsberg findet man im Journal für praktische Chemie von 1862.
Zum Austrag kam der Streit erst, als genaue und zuverlässige Analysen
mit genauen Angaben des Stickstoffgehaltes veröffentlicht wurden.
Solche lieferte namentlich Bouis 1), Boussingault 2) und Rammels-
berg
3).

Bouis untersuchte auf Veranlassung des Generals Morin Stahl,
Roheisen und Schmiedeeisen auf Stickstoff, indem er trockenes Wasser-
stoffgas über das rotglühende Metallpulver leitete. Er fand in allen
Eisensorten geringe Mengen von Stickstoff. Boussingault bediente
sich sowohl der oben erwähnten Methode der Verbrennung mit
Zinnober als des nassen Weges und fand auf beiden Wegen geringe
Mengen Stickstoff: in einem Stahl von Krupp 0,022, in Gussstahl
0,012 und 0,057, in Eisendraht 0,0075 Prozent. Bouis hatte in Stahl
von Krupp 0,085 und 0,011, in Draht 0,14, in weissem Roheisen
0,14 Prozent gefunden. Rammelsberg fand in einem Spiegeleisen
nur 0,002 Prozent.

Aus allen diesen Analysen geht hervor, dass der geringe Stick-
stoffgehalt in den verschiedenen Eisenarten keine Gesetzmässigkeit
zeigt und durchaus schwankt und dass er zu gering ist, um einen

1) Compt. rend. 1861, t. 52, p. 1195.
2) Compt. rend. 1861, t. 53, p. 77.
3) Monatsbericht der Kgl. Preuss. Akad. d. Wissensch. zu Berlin. Dezbr. 1862.

Chemie 1861 bis 1870.
Stahlnatur nähme, und wies nach, daſs Fremy mit unreinem Wasser-
stoff, der Wasserdampf enthielt, operiert hatte und daſs durch
letzteren eine teilweise Entkohlung eingetreten war. Die chemische
Analyse bewies, daſs ein geringer Stickstoffgehalt dem Stahl nicht
eigentümlich sei, sondern daſs sich ein solcher auch in Roheisen und
Schmiedeeisen finde. Gruner, der Carons Ansicht gegenüber anführte,
daſs weiches Eisen durch reines, ammoniakfreies Leuchtgas in Stahl
cementiert werde, behauptete, daſs der Stickstoffgehalt im Stahl nur
aus dem Roheisen stammen könne. Dies griff Fremy auf. Gruner
widerlegte aber dessen Behauptung, daſs die für die Stahlerzeugung
besonders geeigneten Roheisensorten mehr Stickstoff enthielten als
der daraus bereitete Stahl. Caron nahm dann an, daſs der Stickstoff
im Eisen nicht direkt mit diesem, sondern mit Silicium oder Titan
verbunden sei.

Der Streit zwischen Fremy und Caron spann sich auch 1862 in
zahlreichen Aufsätzen in den Comptes rendus (Bd. 52 und 53) und
dem Répertoire de chimie appliquée fort. Eine ausführliche Zusammen-
stellung des Inhalts dieser Veröffentlichungen von Professor Werther
in Königsberg findet man im Journal für praktische Chemie von 1862.
Zum Austrag kam der Streit erst, als genaue und zuverlässige Analysen
mit genauen Angaben des Stickstoffgehaltes veröffentlicht wurden.
Solche lieferte namentlich Bouis 1), Boussingault 2) und Rammels-
berg
3).

Bouis untersuchte auf Veranlassung des Generals Morin Stahl,
Roheisen und Schmiedeeisen auf Stickstoff, indem er trockenes Wasser-
stoffgas über das rotglühende Metallpulver leitete. Er fand in allen
Eisensorten geringe Mengen von Stickstoff. Boussingault bediente
sich sowohl der oben erwähnten Methode der Verbrennung mit
Zinnober als des nassen Weges und fand auf beiden Wegen geringe
Mengen Stickstoff: in einem Stahl von Krupp 0,022, in Guſsstahl
0,012 und 0,057, in Eisendraht 0,0075 Prozent. Bouis hatte in Stahl
von Krupp 0,085 und 0,011, in Draht 0,14, in weiſsem Roheisen
0,14 Prozent gefunden. Rammelsberg fand in einem Spiegeleisen
nur 0,002 Prozent.

Aus allen diesen Analysen geht hervor, daſs der geringe Stick-
stoffgehalt in den verschiedenen Eisenarten keine Gesetzmäſsigkeit
zeigt und durchaus schwankt und daſs er zu gering ist, um einen

1) Compt. rend. 1861, t. 52, p. 1195.
2) Compt. rend. 1861, t. 53, p. 77.
3) Monatsbericht der Kgl. Preuſs. Akad. d. Wissensch. zu Berlin. Dezbr. 1862.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0028" n="14"/><fw place="top" type="header">Chemie 1861 bis 1870.</fw><lb/>
Stahlnatur nähme, und wies nach, da&#x017F;s <hi rendition="#g">Fremy</hi> mit unreinem Wasser-<lb/>
stoff, der Wasserdampf enthielt, operiert hatte und da&#x017F;s durch<lb/>
letzteren eine teilweise Entkohlung eingetreten war. Die chemische<lb/>
Analyse bewies, da&#x017F;s ein geringer Stickstoffgehalt dem Stahl nicht<lb/>
eigentümlich sei, sondern da&#x017F;s sich ein solcher auch in Roheisen und<lb/>
Schmiedeeisen finde. <hi rendition="#g">Gruner</hi>, der <hi rendition="#g">Carons</hi> Ansicht gegenüber anführte,<lb/>
da&#x017F;s weiches Eisen durch reines, ammoniakfreies Leuchtgas in Stahl<lb/>
cementiert werde, behauptete, da&#x017F;s der Stickstoffgehalt im Stahl nur<lb/>
aus dem Roheisen stammen könne. Dies griff <hi rendition="#g">Fremy</hi> auf. <hi rendition="#g">Gruner</hi><lb/>
widerlegte aber dessen Behauptung, da&#x017F;s die für die Stahlerzeugung<lb/>
besonders geeigneten Roheisensorten mehr Stickstoff enthielten als<lb/>
der daraus bereitete Stahl. <hi rendition="#g">Caron</hi> nahm dann an, da&#x017F;s der Stickstoff<lb/>
im Eisen nicht direkt mit diesem, sondern mit Silicium oder Titan<lb/>
verbunden sei.</p><lb/>
          <p>Der Streit zwischen <hi rendition="#g">Fremy</hi> und <hi rendition="#g">Caron</hi> spann sich auch 1862 in<lb/>
zahlreichen Aufsätzen in den Comptes rendus (Bd. 52 und 53) und<lb/>
dem Répertoire de chimie appliquée fort. Eine ausführliche Zusammen-<lb/>
stellung des Inhalts dieser Veröffentlichungen von Professor <hi rendition="#g">Werther</hi><lb/>
in Königsberg findet man im Journal für praktische Chemie von 1862.<lb/>
Zum Austrag kam der Streit erst, als genaue und zuverlässige Analysen<lb/>
mit genauen Angaben des Stickstoffgehaltes veröffentlicht wurden.<lb/>
Solche lieferte namentlich <hi rendition="#g">Bouis</hi> <note place="foot" n="1)">Compt. rend. 1861, t. 52, p. 1195.</note>, <hi rendition="#g">Boussingault</hi> <note place="foot" n="2)">Compt. rend. 1861, t. 53, p. 77.</note> und <hi rendition="#g">Rammels-<lb/>
berg</hi> <note place="foot" n="3)">Monatsbericht der Kgl. Preu&#x017F;s. Akad. d. Wissensch. zu Berlin. Dezbr. 1862.</note>.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Bouis</hi> untersuchte auf Veranlassung des Generals <hi rendition="#g">Morin</hi> Stahl,<lb/>
Roheisen und Schmiedeeisen auf Stickstoff, indem er trockenes Wasser-<lb/>
stoffgas über das rotglühende Metallpulver leitete. Er fand in allen<lb/>
Eisensorten geringe Mengen von Stickstoff. <hi rendition="#g">Boussingault</hi> bediente<lb/>
sich sowohl der oben erwähnten Methode der Verbrennung mit<lb/>
Zinnober als des nassen Weges und fand auf beiden Wegen geringe<lb/>
Mengen Stickstoff: in einem Stahl von <hi rendition="#g">Krupp</hi> 0,022, in Gu&#x017F;sstahl<lb/>
0,012 und 0,057, in Eisendraht 0,0075 Prozent. <hi rendition="#g">Bouis</hi> hatte in Stahl<lb/>
von <hi rendition="#g">Krupp</hi> 0,085 und 0,011, in Draht 0,14, in wei&#x017F;sem Roheisen<lb/>
0,14 Prozent gefunden. <hi rendition="#g">Rammelsberg</hi> fand in einem Spiegeleisen<lb/>
nur 0,002 Prozent.</p><lb/>
          <p>Aus allen diesen Analysen geht hervor, da&#x017F;s der geringe Stick-<lb/>
stoffgehalt in den verschiedenen Eisenarten keine Gesetzmä&#x017F;sigkeit<lb/>
zeigt und durchaus schwankt und da&#x017F;s er zu gering ist, um einen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[14/0028] Chemie 1861 bis 1870. Stahlnatur nähme, und wies nach, daſs Fremy mit unreinem Wasser- stoff, der Wasserdampf enthielt, operiert hatte und daſs durch letzteren eine teilweise Entkohlung eingetreten war. Die chemische Analyse bewies, daſs ein geringer Stickstoffgehalt dem Stahl nicht eigentümlich sei, sondern daſs sich ein solcher auch in Roheisen und Schmiedeeisen finde. Gruner, der Carons Ansicht gegenüber anführte, daſs weiches Eisen durch reines, ammoniakfreies Leuchtgas in Stahl cementiert werde, behauptete, daſs der Stickstoffgehalt im Stahl nur aus dem Roheisen stammen könne. Dies griff Fremy auf. Gruner widerlegte aber dessen Behauptung, daſs die für die Stahlerzeugung besonders geeigneten Roheisensorten mehr Stickstoff enthielten als der daraus bereitete Stahl. Caron nahm dann an, daſs der Stickstoff im Eisen nicht direkt mit diesem, sondern mit Silicium oder Titan verbunden sei. Der Streit zwischen Fremy und Caron spann sich auch 1862 in zahlreichen Aufsätzen in den Comptes rendus (Bd. 52 und 53) und dem Répertoire de chimie appliquée fort. Eine ausführliche Zusammen- stellung des Inhalts dieser Veröffentlichungen von Professor Werther in Königsberg findet man im Journal für praktische Chemie von 1862. Zum Austrag kam der Streit erst, als genaue und zuverlässige Analysen mit genauen Angaben des Stickstoffgehaltes veröffentlicht wurden. Solche lieferte namentlich Bouis 1), Boussingault 2) und Rammels- berg 3). Bouis untersuchte auf Veranlassung des Generals Morin Stahl, Roheisen und Schmiedeeisen auf Stickstoff, indem er trockenes Wasser- stoffgas über das rotglühende Metallpulver leitete. Er fand in allen Eisensorten geringe Mengen von Stickstoff. Boussingault bediente sich sowohl der oben erwähnten Methode der Verbrennung mit Zinnober als des nassen Weges und fand auf beiden Wegen geringe Mengen Stickstoff: in einem Stahl von Krupp 0,022, in Guſsstahl 0,012 und 0,057, in Eisendraht 0,0075 Prozent. Bouis hatte in Stahl von Krupp 0,085 und 0,011, in Draht 0,14, in weiſsem Roheisen 0,14 Prozent gefunden. Rammelsberg fand in einem Spiegeleisen nur 0,002 Prozent. Aus allen diesen Analysen geht hervor, daſs der geringe Stick- stoffgehalt in den verschiedenen Eisenarten keine Gesetzmäſsigkeit zeigt und durchaus schwankt und daſs er zu gering ist, um einen 1) Compt. rend. 1861, t. 52, p. 1195. 2) Compt. rend. 1861, t. 53, p. 77. 3) Monatsbericht der Kgl. Preuſs. Akad. d. Wissensch. zu Berlin. Dezbr. 1862.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen05_1903
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen05_1903/28
Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen05_1903/28>, abgerufen am 28.03.2024.