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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903.

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Flammofenstahlschmelzen.
seien die kostspieligen Bessemeranlagen einfach überflüssig. Dies
erwies sich aber sehr bald als Täuschung. Schwefel und Phosphor
wurden auch bei diesem Verfahren ebensowenig wie beim Bessemer-
verfahren abgeschieden. Schwefel- und phosphorhaltige Roheisen-
sorten waren also auch bei diesem Prozess ausgeschlossen und ebenso
sorgfältig musste man bei der Auswahl des zugesetzten Schmiede-
eisens und Stahls sein, deren Unreinigkeiten alle in das Produkt über-
gingen. Der neue Prozess war mehr geeignet zur Ergänzung als zur
Bekämpfung des Bessemerprozesses. Lange Zeit schien sein Nutzen
nur darin zu bestehen, dass man mit ihm die massenhaften Abfälle
der Walzwerke, namentlich auch der Bessemerwerke, verwerten konnte,
und einen weiteren grossen Vorteil fand man darin, dass er keine so
grossen und kostspieligen Anlagen erforderte als der Bessemerprozess,
dass man den Betrieb nach Bedürfnis in kleinerem oder grösserem
Umfange betreiben konnte, dass er also allen, auch kleineren Verhält-
nissen leichter angepasst werden konnte. Diesen grossen Vorzug erkannte
Tunner sofort und empfahl deshalb die Einführung des Prozesses für
Österreich. Kuppelwieser veröffentlichte 1868 eine vergleichende
Berechnung zwischen dem Bessemer- und dem Martinverfahren 1), aus
der hervorging, dass bei gleicher Produktion die Anlagekosten eines
Martinwerkes billiger, Kohlenverbrauch und Arbeitslöhne ziemlich
gleich zu stehen kommen. Hierzu kam noch der weitere Vorteil, dass
man bei dem Martinprozess weisses Roheisen verwenden konnte, und
dass man den Verlauf des Prozesses durch Schöpfproben leichter zu
kontrollieren und im richtigen Augenblick zu unterbrechen vermochte.

Geringe Roheisensorten konnte man, wie erwähnt, beim Martin-
verfahren so wenig anwenden wie beim Bessemern. Zu Firminy
schmolz man nur das aus den guten algerischen Moktaerzen erblasene
Roheisen ein. In den Newport-Stahlwerken bei Middlesborough, wo
der Prozess zuerst in England zur Anwendung kam, schmolz man
schwedisches Roheisen ein und setzte Hämatiteisen zu. Ausser auf
den genannten Werken war 1868 das Verfahren eingeführt zu Creusot,
auf den Model oder Sample Steel Works zu Birmingham und den
Bolton Steel Works von v. Mayr in Leoben, von Barber und
Klusemann in Floridsdorf bei Wien und von Borsig in Berlin.

Creusot hatte vom 1. Juli bis zum 20. August 1869 eine Million
Kilogramm Eisenbahnschienen aus Martinstahl zum Preise von
208 Mark die Tonne geliefert. Verdie in Firminy machte haupt-

1) Siehe Österreich. Zeitschr. 1868, Nr. 26.

Flammofenstahlschmelzen.
seien die kostspieligen Bessemeranlagen einfach überflüssig. Dies
erwies sich aber sehr bald als Täuschung. Schwefel und Phosphor
wurden auch bei diesem Verfahren ebensowenig wie beim Bessemer-
verfahren abgeschieden. Schwefel- und phosphorhaltige Roheisen-
sorten waren also auch bei diesem Prozeſs ausgeschlossen und ebenso
sorgfältig muſste man bei der Auswahl des zugesetzten Schmiede-
eisens und Stahls sein, deren Unreinigkeiten alle in das Produkt über-
gingen. Der neue Prozeſs war mehr geeignet zur Ergänzung als zur
Bekämpfung des Bessemerprozesses. Lange Zeit schien sein Nutzen
nur darin zu bestehen, daſs man mit ihm die massenhaften Abfälle
der Walzwerke, namentlich auch der Bessemerwerke, verwerten konnte,
und einen weiteren groſsen Vorteil fand man darin, daſs er keine so
groſsen und kostspieligen Anlagen erforderte als der Bessemerprozeſs,
daſs man den Betrieb nach Bedürfnis in kleinerem oder gröſserem
Umfange betreiben konnte, daſs er also allen, auch kleineren Verhält-
nissen leichter angepaſst werden konnte. Diesen groſsen Vorzug erkannte
Tunner sofort und empfahl deshalb die Einführung des Prozesses für
Österreich. Kuppelwieser veröffentlichte 1868 eine vergleichende
Berechnung zwischen dem Bessemer- und dem Martinverfahren 1), aus
der hervorging, daſs bei gleicher Produktion die Anlagekosten eines
Martinwerkes billiger, Kohlenverbrauch und Arbeitslöhne ziemlich
gleich zu stehen kommen. Hierzu kam noch der weitere Vorteil, daſs
man bei dem Martinprozeſs weiſses Roheisen verwenden konnte, und
daſs man den Verlauf des Prozesses durch Schöpfproben leichter zu
kontrollieren und im richtigen Augenblick zu unterbrechen vermochte.

Geringe Roheisensorten konnte man, wie erwähnt, beim Martin-
verfahren so wenig anwenden wie beim Bessemern. Zu Firminy
schmolz man nur das aus den guten algerischen Moktaerzen erblasene
Roheisen ein. In den Newport-Stahlwerken bei Middlesborough, wo
der Prozeſs zuerst in England zur Anwendung kam, schmolz man
schwedisches Roheisen ein und setzte Hämatiteisen zu. Auſser auf
den genannten Werken war 1868 das Verfahren eingeführt zu Creusot,
auf den Model oder Sample Steel Works zu Birmingham und den
Bolton Steel Works von v. Mayr in Leoben, von Barber und
Klusemann in Floridsdorf bei Wien und von Borsig in Berlin.

Creusot hatte vom 1. Juli bis zum 20. August 1869 eine Million
Kilogramm Eisenbahnschienen aus Martinstahl zum Preise von
208 Mark die Tonne geliefert. Verdié in Firminy machte haupt-

1) Siehe Österreich. Zeitschr. 1868, Nr. 26.
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[178/0194] Flammofenstahlschmelzen. seien die kostspieligen Bessemeranlagen einfach überflüssig. Dies erwies sich aber sehr bald als Täuschung. Schwefel und Phosphor wurden auch bei diesem Verfahren ebensowenig wie beim Bessemer- verfahren abgeschieden. Schwefel- und phosphorhaltige Roheisen- sorten waren also auch bei diesem Prozeſs ausgeschlossen und ebenso sorgfältig muſste man bei der Auswahl des zugesetzten Schmiede- eisens und Stahls sein, deren Unreinigkeiten alle in das Produkt über- gingen. Der neue Prozeſs war mehr geeignet zur Ergänzung als zur Bekämpfung des Bessemerprozesses. Lange Zeit schien sein Nutzen nur darin zu bestehen, daſs man mit ihm die massenhaften Abfälle der Walzwerke, namentlich auch der Bessemerwerke, verwerten konnte, und einen weiteren groſsen Vorteil fand man darin, daſs er keine so groſsen und kostspieligen Anlagen erforderte als der Bessemerprozeſs, daſs man den Betrieb nach Bedürfnis in kleinerem oder gröſserem Umfange betreiben konnte, daſs er also allen, auch kleineren Verhält- nissen leichter angepaſst werden konnte. Diesen groſsen Vorzug erkannte Tunner sofort und empfahl deshalb die Einführung des Prozesses für Österreich. Kuppelwieser veröffentlichte 1868 eine vergleichende Berechnung zwischen dem Bessemer- und dem Martinverfahren 1), aus der hervorging, daſs bei gleicher Produktion die Anlagekosten eines Martinwerkes billiger, Kohlenverbrauch und Arbeitslöhne ziemlich gleich zu stehen kommen. Hierzu kam noch der weitere Vorteil, daſs man bei dem Martinprozeſs weiſses Roheisen verwenden konnte, und daſs man den Verlauf des Prozesses durch Schöpfproben leichter zu kontrollieren und im richtigen Augenblick zu unterbrechen vermochte. Geringe Roheisensorten konnte man, wie erwähnt, beim Martin- verfahren so wenig anwenden wie beim Bessemern. Zu Firminy schmolz man nur das aus den guten algerischen Moktaerzen erblasene Roheisen ein. In den Newport-Stahlwerken bei Middlesborough, wo der Prozeſs zuerst in England zur Anwendung kam, schmolz man schwedisches Roheisen ein und setzte Hämatiteisen zu. Auſser auf den genannten Werken war 1868 das Verfahren eingeführt zu Creusot, auf den Model oder Sample Steel Works zu Birmingham und den Bolton Steel Works von v. Mayr in Leoben, von Barber und Klusemann in Floridsdorf bei Wien und von Borsig in Berlin. Creusot hatte vom 1. Juli bis zum 20. August 1869 eine Million Kilogramm Eisenbahnschienen aus Martinstahl zum Preise von 208 Mark die Tonne geliefert. Verdié in Firminy machte haupt- 1) Siehe Österreich. Zeitschr. 1868, Nr. 26.

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen05_1903/194>, abgerufen am 29.03.2024.