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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 3: Das XVIII. Jahrhundert. Braunschweig, 1897.

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Westfalen und die Rheinlande.
schmiede 1757 eine bessere Lohnordnung, aber ohne Mitwirkung der
Kaufleute. Nach Beendigung des Krieges traten auch für die Messer-
schmiede günstigere Zeiten ein. Den Schleifern und den Gabel-
machern gelang es 1770, einen besseren Lohnsatz zu erringen; aber
die Kaufleute wollten nicht darauf eingehen, und so kam es 1776 zu
Zusammenrottungen und Arbeitsverweigerungen. Dagegen schlossen
die Kaufleute ein Bündnis und sperrten nicht nur die Schleifer,
sondern auch die Messerschmiede und Reider aus. Ein regelmässiger
Strike brach aus. Die Regierung musste intervenieren und verbot den
Ausstand bei 25 Thlr. Strafe. Am 16. April 1776 kam eine Verein-
barung zu stande, durch welche die Hungerlöhne um 25 Proz. und
mehr erhöht wurden1). Bestätigt wurde dieselbe durch die Lohn-
satzung vom 14. März 1777, welche gleichzeitig die unprivilegierten
Kaufleute und die Fertigmacher fast ganz vom Handel ausschloss.
Die Vereinbarung wurde aber nicht gehalten; in dem Wechsel der
Geschäftslage suchte jeder Teil von neuem Vorteile zu erringen. Der
Krieg zwischen Arbeiter und Arbeitgeber wurde permanent. Es ent-
stand der sogen. 10jährige Solinger Messer-Satzordnungs-Prozess,
welcher 24000 Thlr. kostete und schliesslich dahin führte, dass 1786
die Ordnung gänzlich aufgehoben und freier Handel und freie Lohn-
vereinbarung ausbedungen wurden. So ging die alte Zunftordnung,
die jahrhundertelang eine Wohlthat gewesen war, durch die ver-
änderten Verhältnisse von selbst zu grunde. Daran konnte auch der
letzte Versuch, die Lohnsatzordnung vom 8. Oktober 1789, nichts
mehr ändern. -- Nur den Scherenmachern gelang es noch, vor dem
Zusammenbruch aller Brüderschaften 1794 sich zu einer besonderen
Zunft zusammenzuschliessen.

Die Fabrikzeichen erlangten grössere Bedeutung nicht mehr in
dem ursprünglichen Sinne als Beschauzeichen, sondern als Zeichen
der grösseren Fertigmacher und Kaufleute. Nicht der Schmied führte
das Zeichen, sondern der Händler, und das Zeichen wurde zu einem
wertvollen Vermögensrecht, das in der Familie auch auf Frauen und
Kinder sich vererbte und öfter ein Gegenstand des Kaufes (vgl. Bd. II,
S. 397) wurde. Die grösste Rolle spielte jetzt das Zeichenwesen bei
der Messerschmiederei. Hier führten die Schmiede, welche meistens
zu Hause arbeiteten, nur die Zeichenstempel ihrer Arbeitgeber. Jedes
Fabrikzeichen musste in den doppelt geführten Zeichenrollen einge-
tragen und jedes neue Zeichen beim vollen Handwerksgericht aus-

1) Siehe Thun, die Industrie am Niederrhein, II, S. 34.

Westfalen und die Rheinlande.
schmiede 1757 eine bessere Lohnordnung, aber ohne Mitwirkung der
Kaufleute. Nach Beendigung des Krieges traten auch für die Messer-
schmiede günstigere Zeiten ein. Den Schleifern und den Gabel-
machern gelang es 1770, einen besseren Lohnsatz zu erringen; aber
die Kaufleute wollten nicht darauf eingehen, und so kam es 1776 zu
Zusammenrottungen und Arbeitsverweigerungen. Dagegen schlossen
die Kaufleute ein Bündnis und sperrten nicht nur die Schleifer,
sondern auch die Messerschmiede und Reider aus. Ein regelmäſsiger
Strike brach aus. Die Regierung muſste intervenieren und verbot den
Ausstand bei 25 Thlr. Strafe. Am 16. April 1776 kam eine Verein-
barung zu stande, durch welche die Hungerlöhne um 25 Proz. und
mehr erhöht wurden1). Bestätigt wurde dieselbe durch die Lohn-
satzung vom 14. März 1777, welche gleichzeitig die unprivilegierten
Kaufleute und die Fertigmacher fast ganz vom Handel ausschloſs.
Die Vereinbarung wurde aber nicht gehalten; in dem Wechsel der
Geschäftslage suchte jeder Teil von neuem Vorteile zu erringen. Der
Krieg zwischen Arbeiter und Arbeitgeber wurde permanent. Es ent-
stand der sogen. 10jährige Solinger Messer-Satzordnungs-Prozeſs,
welcher 24000 Thlr. kostete und schlieſslich dahin führte, daſs 1786
die Ordnung gänzlich aufgehoben und freier Handel und freie Lohn-
vereinbarung ausbedungen wurden. So ging die alte Zunftordnung,
die jahrhundertelang eine Wohlthat gewesen war, durch die ver-
änderten Verhältnisse von selbst zu grunde. Daran konnte auch der
letzte Versuch, die Lohnsatzordnung vom 8. Oktober 1789, nichts
mehr ändern. — Nur den Scherenmachern gelang es noch, vor dem
Zusammenbruch aller Brüderschaften 1794 sich zu einer besonderen
Zunft zusammenzuschlieſsen.

Die Fabrikzeichen erlangten gröſsere Bedeutung nicht mehr in
dem ursprünglichen Sinne als Beschauzeichen, sondern als Zeichen
der gröſseren Fertigmacher und Kaufleute. Nicht der Schmied führte
das Zeichen, sondern der Händler, und das Zeichen wurde zu einem
wertvollen Vermögensrecht, das in der Familie auch auf Frauen und
Kinder sich vererbte und öfter ein Gegenstand des Kaufes (vgl. Bd. II,
S. 397) wurde. Die gröſste Rolle spielte jetzt das Zeichenwesen bei
der Messerschmiederei. Hier führten die Schmiede, welche meistens
zu Hause arbeiteten, nur die Zeichenstempel ihrer Arbeitgeber. Jedes
Fabrikzeichen muſste in den doppelt geführten Zeichenrollen einge-
tragen und jedes neue Zeichen beim vollen Handwerksgericht aus-

1) Siehe Thun, die Industrie am Niederrhein, II, S. 34.
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[970/0984] Westfalen und die Rheinlande. schmiede 1757 eine bessere Lohnordnung, aber ohne Mitwirkung der Kaufleute. Nach Beendigung des Krieges traten auch für die Messer- schmiede günstigere Zeiten ein. Den Schleifern und den Gabel- machern gelang es 1770, einen besseren Lohnsatz zu erringen; aber die Kaufleute wollten nicht darauf eingehen, und so kam es 1776 zu Zusammenrottungen und Arbeitsverweigerungen. Dagegen schlossen die Kaufleute ein Bündnis und sperrten nicht nur die Schleifer, sondern auch die Messerschmiede und Reider aus. Ein regelmäſsiger Strike brach aus. Die Regierung muſste intervenieren und verbot den Ausstand bei 25 Thlr. Strafe. Am 16. April 1776 kam eine Verein- barung zu stande, durch welche die Hungerlöhne um 25 Proz. und mehr erhöht wurden 1). Bestätigt wurde dieselbe durch die Lohn- satzung vom 14. März 1777, welche gleichzeitig die unprivilegierten Kaufleute und die Fertigmacher fast ganz vom Handel ausschloſs. Die Vereinbarung wurde aber nicht gehalten; in dem Wechsel der Geschäftslage suchte jeder Teil von neuem Vorteile zu erringen. Der Krieg zwischen Arbeiter und Arbeitgeber wurde permanent. Es ent- stand der sogen. 10jährige Solinger Messer-Satzordnungs-Prozeſs, welcher 24000 Thlr. kostete und schlieſslich dahin führte, daſs 1786 die Ordnung gänzlich aufgehoben und freier Handel und freie Lohn- vereinbarung ausbedungen wurden. So ging die alte Zunftordnung, die jahrhundertelang eine Wohlthat gewesen war, durch die ver- änderten Verhältnisse von selbst zu grunde. Daran konnte auch der letzte Versuch, die Lohnsatzordnung vom 8. Oktober 1789, nichts mehr ändern. — Nur den Scherenmachern gelang es noch, vor dem Zusammenbruch aller Brüderschaften 1794 sich zu einer besonderen Zunft zusammenzuschlieſsen. Die Fabrikzeichen erlangten gröſsere Bedeutung nicht mehr in dem ursprünglichen Sinne als Beschauzeichen, sondern als Zeichen der gröſseren Fertigmacher und Kaufleute. Nicht der Schmied führte das Zeichen, sondern der Händler, und das Zeichen wurde zu einem wertvollen Vermögensrecht, das in der Familie auch auf Frauen und Kinder sich vererbte und öfter ein Gegenstand des Kaufes (vgl. Bd. II, S. 397) wurde. Die gröſste Rolle spielte jetzt das Zeichenwesen bei der Messerschmiederei. Hier führten die Schmiede, welche meistens zu Hause arbeiteten, nur die Zeichenstempel ihrer Arbeitgeber. Jedes Fabrikzeichen muſste in den doppelt geführten Zeichenrollen einge- tragen und jedes neue Zeichen beim vollen Handwerksgericht aus- 1) Siehe Thun, die Industrie am Niederrhein, II, S. 34.

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 3: Das XVIII. Jahrhundert. Braunschweig, 1897, S. 970. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen03_1897/984>, abgerufen am 22.11.2024.