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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 3: Das XVIII. Jahrhundert. Braunschweig, 1897.

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Lavoisier und die antiphlogistische Chemie.

Durch diese wichtige Entdeckung beantwortete sich die schwierige
Frage, woher die Metalle bei der Auflösung in Säuren ihren Sauer-
stoff hernähmen, und woher der Wasserstoff, der sich dabei ent-
wickelte, stamme, leicht, und Lavoisier konnte nun (1785) mit
Bestimmtheit aussprechen, dass sich die Säuren nie direkt mit einem
Metall, sondern immer nur mit einem Oxyd desselben verbinden und
dass die Oxydation des Metalls entweder auf Kosten des Sauerstoff-
gehaltes der Säure oder des Wassers vor sich geht.

So war Lavoisiers Theorie zu einem vollkommenen Gebäude
angewachsen, das die Blicke aller Chemiker anzog, wenn auch anfangs
nur einzelne einzutreten wagten. Die Phlogistontheorie war Lavoisiers
Angriffen nicht gewachsen. Seine Abhandlungen über die Verbrennung
(1778) und über das Phlogiston (1783) waren unwiderleglich, denn sie
beruhten auf Wahrheit. Vom Jahre 1785 an fand seine Lehre
Anerkennung, und bedeutende Chemiker schlossen sich ihr an.

Durch Lavoisier entstand zunächst in Frankreich die anti-
phlogistische Schule, aus welcher eine Reihe der berühmtesten
Forscher auf dem Gebiete der Chemie hervorgegangen sind und diese
französische Schule oder la chimie Francaise, wie sie ihre Anhänger
mit Stolz nannten, war für mehrere Jahrzehnte tonangebend und
führend in Europa. Dabei unterstützte die französische Republik die
junge Wissenschaft der Zukunft, welche wie sie selbst und fast zu
gleicher Zeit auf französischem Boden durch eine Revolution gegen
das Alte erstanden war, auf das eifrigste.

Lavoisiers Arbeiten sind von unermesslicher Tragweite für die
Chemie und für alle Naturwissenschaften, für die Industrie und die
Kultur geworden. Die quantitative Untersuchungsweise gab ihr eine
Sicherheit und eine Beweiskraft, die der Chemie vorher gefehlt hatte
und die sie mit einem Male zu einer gleichberechtigten Wissenschaft
neben die Physik stellte, der sie bis dahin unterstellt gewesen war.
Die selbständige Weiterentwickelung dieser beiden verwandten Zweige
der Naturwissenschaft hat in der segensreichsten Weise beide gefördert.

Welche Folgen Lavoisiers Lehre zunächst für die Chemie hatte,
können wir nur andeuten.

Die Lehre von der Affinität, die man bisher nur qualitativ auf-
gefasst hatte, bekam durch die quantitative Untersuchung erst festen
Halt und erhöhte Bedeutung. Mit der Überzeugung von der Unver-
änderlichkeit des Gewichtes der Materie bekam die quantitative
Analyse
erst ihre richtige Stellung und Bedeutung. Durch die
quantitative Analyse lernte man die wirkliche Zusammensetzung zahl-

Lavoisier und die antiphlogistische Chemie.

Durch diese wichtige Entdeckung beantwortete sich die schwierige
Frage, woher die Metalle bei der Auflösung in Säuren ihren Sauer-
stoff hernähmen, und woher der Wasserstoff, der sich dabei ent-
wickelte, stamme, leicht, und Lavoisier konnte nun (1785) mit
Bestimmtheit aussprechen, daſs sich die Säuren nie direkt mit einem
Metall, sondern immer nur mit einem Oxyd desſelben verbinden und
daſs die Oxydation des Metalls entweder auf Kosten des Sauerstoff-
gehaltes der Säure oder des Wassers vor sich geht.

So war Lavoisiers Theorie zu einem vollkommenen Gebäude
angewachsen, das die Blicke aller Chemiker anzog, wenn auch anfangs
nur einzelne einzutreten wagten. Die Phlogistontheorie war Lavoisiers
Angriffen nicht gewachsen. Seine Abhandlungen über die Verbrennung
(1778) und über das Phlogiston (1783) waren unwiderleglich, denn sie
beruhten auf Wahrheit. Vom Jahre 1785 an fand seine Lehre
Anerkennung, und bedeutende Chemiker schlossen sich ihr an.

Durch Lavoisier entstand zunächst in Frankreich die anti-
phlogistische Schule, aus welcher eine Reihe der berühmtesten
Forscher auf dem Gebiete der Chemie hervorgegangen sind und diese
französische Schule oder la chimie Française, wie sie ihre Anhänger
mit Stolz nannten, war für mehrere Jahrzehnte tonangebend und
führend in Europa. Dabei unterstützte die französische Republik die
junge Wissenschaft der Zukunft, welche wie sie selbst und fast zu
gleicher Zeit auf französischem Boden durch eine Revolution gegen
das Alte erstanden war, auf das eifrigste.

Lavoisiers Arbeiten sind von unermeſslicher Tragweite für die
Chemie und für alle Naturwissenschaften, für die Industrie und die
Kultur geworden. Die quantitative Untersuchungsweise gab ihr eine
Sicherheit und eine Beweiskraft, die der Chemie vorher gefehlt hatte
und die sie mit einem Male zu einer gleichberechtigten Wissenschaft
neben die Physik stellte, der sie bis dahin unterstellt gewesen war.
Die selbständige Weiterentwickelung dieser beiden verwandten Zweige
der Naturwissenschaft hat in der segensreichsten Weise beide gefördert.

Welche Folgen Lavoisiers Lehre zunächst für die Chemie hatte,
können wir nur andeuten.

Die Lehre von der Affinität, die man bisher nur qualitativ auf-
gefaſst hatte, bekam durch die quantitative Untersuchung erst festen
Halt und erhöhte Bedeutung. Mit der Überzeugung von der Unver-
änderlichkeit des Gewichtes der Materie bekam die quantitative
Analyse
erst ihre richtige Stellung und Bedeutung. Durch die
quantitative Analyse lernte man die wirkliche Zusammensetzung zahl-

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[634/0648] Lavoisier und die antiphlogistische Chemie. Durch diese wichtige Entdeckung beantwortete sich die schwierige Frage, woher die Metalle bei der Auflösung in Säuren ihren Sauer- stoff hernähmen, und woher der Wasserstoff, der sich dabei ent- wickelte, stamme, leicht, und Lavoisier konnte nun (1785) mit Bestimmtheit aussprechen, daſs sich die Säuren nie direkt mit einem Metall, sondern immer nur mit einem Oxyd desſelben verbinden und daſs die Oxydation des Metalls entweder auf Kosten des Sauerstoff- gehaltes der Säure oder des Wassers vor sich geht. So war Lavoisiers Theorie zu einem vollkommenen Gebäude angewachsen, das die Blicke aller Chemiker anzog, wenn auch anfangs nur einzelne einzutreten wagten. Die Phlogistontheorie war Lavoisiers Angriffen nicht gewachsen. Seine Abhandlungen über die Verbrennung (1778) und über das Phlogiston (1783) waren unwiderleglich, denn sie beruhten auf Wahrheit. Vom Jahre 1785 an fand seine Lehre Anerkennung, und bedeutende Chemiker schlossen sich ihr an. Durch Lavoisier entstand zunächst in Frankreich die anti- phlogistische Schule, aus welcher eine Reihe der berühmtesten Forscher auf dem Gebiete der Chemie hervorgegangen sind und diese französische Schule oder la chimie Française, wie sie ihre Anhänger mit Stolz nannten, war für mehrere Jahrzehnte tonangebend und führend in Europa. Dabei unterstützte die französische Republik die junge Wissenschaft der Zukunft, welche wie sie selbst und fast zu gleicher Zeit auf französischem Boden durch eine Revolution gegen das Alte erstanden war, auf das eifrigste. Lavoisiers Arbeiten sind von unermeſslicher Tragweite für die Chemie und für alle Naturwissenschaften, für die Industrie und die Kultur geworden. Die quantitative Untersuchungsweise gab ihr eine Sicherheit und eine Beweiskraft, die der Chemie vorher gefehlt hatte und die sie mit einem Male zu einer gleichberechtigten Wissenschaft neben die Physik stellte, der sie bis dahin unterstellt gewesen war. Die selbständige Weiterentwickelung dieser beiden verwandten Zweige der Naturwissenschaft hat in der segensreichsten Weise beide gefördert. Welche Folgen Lavoisiers Lehre zunächst für die Chemie hatte, können wir nur andeuten. Die Lehre von der Affinität, die man bisher nur qualitativ auf- gefaſst hatte, bekam durch die quantitative Untersuchung erst festen Halt und erhöhte Bedeutung. Mit der Überzeugung von der Unver- änderlichkeit des Gewichtes der Materie bekam die quantitative Analyse erst ihre richtige Stellung und Bedeutung. Durch die quantitative Analyse lernte man die wirkliche Zusammensetzung zahl-

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 3: Das XVIII. Jahrhundert. Braunschweig, 1897, S. 634. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen03_1897/648>, abgerufen am 22.11.2024.