stahl, in alter Zeit mussten aber die Zieheisen geschmiedet werden. Um aber für die Löcher ein ganz besonders hartes Material zu er- halten, bediente man sich in der Mark (Sauerland) eines eigentüm- lichen Verfahrens, durch welches bereits, lange vor der Erfindung der eigentlichen Gussstahlfabrikation, eine Art von Gussstahl erzeugt wurde. Um ein Zieheisen zu machen 1), schmiedete man erst eine Eisenform in Gestalt eines Kästchens, etwa 36 cm lang, 9 cm breit und 1,5 cm dick, mit einem 3 cm hohen Rand aus. In dieses Kästchen setzte man Stücke von sehr hartem, sogenanntem wildem Stahl (Willer- stahl), oder auch von kohlenstoffarmem, weissem Roheisen ein und bestreute dieses mit Borax. Das möglichst dicht angefüllte Kästchen wurde dann mit Leinwand, welche in dickem Lehmwasser eingeweicht war, bedeckt und in einer Esse vor dem Gebläse so stark erhitzt, dass der Stahl oder das Roheisen flüssig wurden. Die Leinwand bildete eine Decke zur Abhaltung der Kohle, und das dicke Lehm- wasser, mit welchem es angefeuchtet war, verursachte, dass sich die Leinwand erst sehr spät zerstörte und dass sich, wenn dieses ge- schehen war, eine dünne Schlackenkruste bildete, welche man beim Herausnehmen des Eisens sorgfältig abzog. Oft war man genötigt, das Eisen vor dem Schmelzen des Stahls oder Roheisens mehrere Male aus dem Feuer zu nehmen und die einzelnen Stückchen mit dem Hammer auf einem Amboss fest zusammenzuschlagen. Wenn das stahlartige Roheisen oder der roheisenartige Stahl völlig geschmolzen waren und sich aufs Genaueste mit dem Eisenkasten verbunden hatten, nahm man das Eisen aus dem Feuer, um es vorsichtig zu schmieden. In den Zustand der völligen Flüssigkeit pflegte das Roheisen oder der Stahl nur selten zu kommen, obgleich die Masse vollkommen weich und leicht verschiebbar wurde. Die ganze Masse wurde dann bis zur doppelten Länge ausgeschmiedet, und die Zieheisen waren bis zum Einbohren der Löcher fertig. Diese Operation erforderte genaue Kenntnis des Eisens, Vorsicht und Gewandtheit, damit die Zieheisen nicht zu hart, zu spröde, oder durch Luftzutritt entkohlt, zu weich wurden. Letztere waren ganz unbrauchbar, während sich erstere wohl noch durch längeres Glühen unter einem dünnen Thonüberzug verbessern liessen. Es folgte nun das Einbohren der Löcher. Be- kanntlich haben die Ziehlöcher eine trichterförmige Gestalt. Die engste Öffnung, welche den Durchmesser des zu verjüngenden Drahtes giebt, also am meisten in Anspruch genommen wird, muss am härtesten
1) Siehe Karsten, Handbuch der Eisenhüttenkunde IV, S. 356.
Draht- und Nadelfabrikation.
stahl, in alter Zeit muſsten aber die Zieheisen geschmiedet werden. Um aber für die Löcher ein ganz besonders hartes Material zu er- halten, bediente man sich in der Mark (Sauerland) eines eigentüm- lichen Verfahrens, durch welches bereits, lange vor der Erfindung der eigentlichen Guſsstahlfabrikation, eine Art von Guſsstahl erzeugt wurde. Um ein Zieheisen zu machen 1), schmiedete man erst eine Eisenform in Gestalt eines Kästchens, etwa 36 cm lang, 9 cm breit und 1,5 cm dick, mit einem 3 cm hohen Rand aus. In dieses Kästchen setzte man Stücke von sehr hartem, sogenanntem wildem Stahl (Willer- stahl), oder auch von kohlenstoffarmem, weiſsem Roheisen ein und bestreute dieses mit Borax. Das möglichst dicht angefüllte Kästchen wurde dann mit Leinwand, welche in dickem Lehmwasser eingeweicht war, bedeckt und in einer Esse vor dem Gebläse so stark erhitzt, daſs der Stahl oder das Roheisen flüssig wurden. Die Leinwand bildete eine Decke zur Abhaltung der Kohle, und das dicke Lehm- wasser, mit welchem es angefeuchtet war, verursachte, daſs sich die Leinwand erst sehr spät zerstörte und daſs sich, wenn dieses ge- schehen war, eine dünne Schlackenkruste bildete, welche man beim Herausnehmen des Eisens sorgfältig abzog. Oft war man genötigt, das Eisen vor dem Schmelzen des Stahls oder Roheisens mehrere Male aus dem Feuer zu nehmen und die einzelnen Stückchen mit dem Hammer auf einem Amboſs fest zusammenzuschlagen. Wenn das stahlartige Roheisen oder der roheisenartige Stahl völlig geschmolzen waren und sich aufs Genaueste mit dem Eisenkasten verbunden hatten, nahm man das Eisen aus dem Feuer, um es vorsichtig zu schmieden. In den Zustand der völligen Flüssigkeit pflegte das Roheisen oder der Stahl nur selten zu kommen, obgleich die Masse vollkommen weich und leicht verschiebbar wurde. Die ganze Masse wurde dann bis zur doppelten Länge ausgeschmiedet, und die Zieheisen waren bis zum Einbohren der Löcher fertig. Diese Operation erforderte genaue Kenntnis des Eisens, Vorsicht und Gewandtheit, damit die Zieheisen nicht zu hart, zu spröde, oder durch Luftzutritt entkohlt, zu weich wurden. Letztere waren ganz unbrauchbar, während sich erstere wohl noch durch längeres Glühen unter einem dünnen Thonüberzug verbessern lieſsen. Es folgte nun das Einbohren der Löcher. Be- kanntlich haben die Ziehlöcher eine trichterförmige Gestalt. Die engste Öffnung, welche den Durchmesser des zu verjüngenden Drahtes giebt, also am meisten in Anspruch genommen wird, muſs am härtesten
1) Siehe Karsten, Handbuch der Eisenhüttenkunde IV, S. 356.
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Draht- und Nadelfabrikation.
stahl, in alter Zeit muſsten aber die Zieheisen geschmiedet werden.
Um aber für die Löcher ein ganz besonders hartes Material zu er-
halten, bediente man sich in der Mark (Sauerland) eines eigentüm-
lichen Verfahrens, durch welches bereits, lange vor der Erfindung der
eigentlichen Guſsstahlfabrikation, eine Art von Guſsstahl erzeugt
wurde. Um ein Zieheisen zu machen 1), schmiedete man erst eine
Eisenform in Gestalt eines Kästchens, etwa 36 cm lang, 9 cm breit
und 1,5 cm dick, mit einem 3 cm hohen Rand aus. In dieses Kästchen
setzte man Stücke von sehr hartem, sogenanntem wildem Stahl (Willer-
stahl), oder auch von kohlenstoffarmem, weiſsem Roheisen ein und
bestreute dieses mit Borax. Das möglichst dicht angefüllte Kästchen
wurde dann mit Leinwand, welche in dickem Lehmwasser eingeweicht
war, bedeckt und in einer Esse vor dem Gebläse so stark erhitzt,
daſs der Stahl oder das Roheisen flüssig wurden. Die Leinwand
bildete eine Decke zur Abhaltung der Kohle, und das dicke Lehm-
wasser, mit welchem es angefeuchtet war, verursachte, daſs sich die
Leinwand erst sehr spät zerstörte und daſs sich, wenn dieses ge-
schehen war, eine dünne Schlackenkruste bildete, welche man beim
Herausnehmen des Eisens sorgfältig abzog. Oft war man genötigt,
das Eisen vor dem Schmelzen des Stahls oder Roheisens mehrere
Male aus dem Feuer zu nehmen und die einzelnen Stückchen mit
dem Hammer auf einem Amboſs fest zusammenzuschlagen. Wenn das
stahlartige Roheisen oder der roheisenartige Stahl völlig geschmolzen
waren und sich aufs Genaueste mit dem Eisenkasten verbunden hatten,
nahm man das Eisen aus dem Feuer, um es vorsichtig zu schmieden.
In den Zustand der völligen Flüssigkeit pflegte das Roheisen oder der
Stahl nur selten zu kommen, obgleich die Masse vollkommen weich
und leicht verschiebbar wurde. Die ganze Masse wurde dann bis zur
doppelten Länge ausgeschmiedet, und die Zieheisen waren bis zum
Einbohren der Löcher fertig. Diese Operation erforderte genaue
Kenntnis des Eisens, Vorsicht und Gewandtheit, damit die Zieheisen
nicht zu hart, zu spröde, oder durch Luftzutritt entkohlt, zu weich
wurden. Letztere waren ganz unbrauchbar, während sich erstere
wohl noch durch längeres Glühen unter einem dünnen Thonüberzug
verbessern lieſsen. Es folgte nun das Einbohren der Löcher. Be-
kanntlich haben die Ziehlöcher eine trichterförmige Gestalt. Die
engste Öffnung, welche den Durchmesser des zu verjüngenden Drahtes
giebt, also am meisten in Anspruch genommen wird, muſs am härtesten
1) Siehe Karsten, Handbuch der Eisenhüttenkunde IV, S. 356.
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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen02_1895/531>, abgerufen am 22.11.2024.
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