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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884.

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Hufschmiede.
Mitbürger entziehen wollten. Der Hufschmied, als Wunderdoktor ein
schlauer Patron, war aber auch ein Gelegenheitsmacher, und da die
Schmiede ein günstiger Platz für geheime Begegnungen war, so hatte
die Hufschmiede meist auch den Ruf eines liederlichen Hauses. Daraus
entwickelte sich denn wohl auch der geläufige Euphemismus, "sie hat ein
Eisen verloren oder abgerennt" (infolgedessen sie bei der Schmiede
einkehren musste) in der Bedeutung, sie hat ihre Unschuld verloren.
Zu den "abgeritten Eysen" heisst die Hufschmiede im Sinne eines
Bordells 1). In den Fastnachtsspielen heisst es:

"Da sprach einer, der mir Arges gunt,
Ich hett ein Eisen abgerennt"

und an einer anderen Stelle:

"Da kam einer, der mir viel guts gonnt
Und sprach, sie hat ein Eisen abgerannt."

Die Hufschmiede bildeten mit den Grobschmieden eine Zunft und
hatten deshalb dieselben Handwerksgebräuche, dieselben Vorschriften
für die Lehrlinge und Gesellen. Hatte der Geselle nach beendeter
Wanderschaft keine Schmiede von seinem Vater ererbt und wollte
selbständiger Meister werden, so musste er erst in der Stadt, in der er
sich niederlassen wollte, sein "Mutjahr" abdienen. Dann musste er eine
ehrbare Jungfer freien, auf der kein Makel ruhte, und diese der Zunft
als seine Zukünftige bezeichnen, sodann musste er sein ziemlich
schwieriges Meisterstück machen. Dies bestand bei den Hufschmieden
darin, einen vollständigen Hufbeschlag für ein Pferd zu machen, ohne
das Mass zu nehmen und den Huf näher besehen zu dürfen. Das
Pferd wurde nur zwei- bis dreimal an ihm vorbeigeritten.

In Koblenz z. B. 2) war das Meisterstück "ein Pferd zu beschlagen,
ohne das Mass des Hufes genommen zu haben. Das Eisen musste in
zwei Hitzen verfertigt werden. Ferner hatte er ein breites Zimmer-
mannsbeil von einem Werkschuh in seinen drei Angeln zu machen,
wovon das Ohr 5 Zoll hoch sein soll und endlich einen zwei Fuder
Wein tragenden Wagen zu beschlagen, bei jedem Rade nur von einer
Schiene das Mass zu nehmen und die Rädernägel dazu selbst mit ge-
stämpftem Kopfe zu schmieden." Hatte der Schmied sein Meisterstück
bestanden, so musste er ein Haus erwerben, auf dem die Schmiede-
gerechtsame ruhte 3). Man nannte deshalb solche Häuser "Eheschmie-
den", weil sie meist durch die Ehe erworben wurden. Dann erst durfte

1) Fastnachtsspiele 793, 14.
2) W. A. Günther, topograph. Geschichte der
Stadt Koblenz, S. 244.
3) Nürnberger Gesetz von 1399 in Siebenkees, Mate-
rialien zur Nürnberger Geschichte Bd. IV, S. 687.

Hufschmiede.
Mitbürger entziehen wollten. Der Hufschmied, als Wunderdoktor ein
schlauer Patron, war aber auch ein Gelegenheitsmacher, und da die
Schmiede ein günstiger Platz für geheime Begegnungen war, so hatte
die Hufschmiede meist auch den Ruf eines liederlichen Hauses. Daraus
entwickelte sich denn wohl auch der geläufige Euphemismus, „sie hat ein
Eisen verloren oder abgerennt“ (infolgedessen sie bei der Schmiede
einkehren muſste) in der Bedeutung, sie hat ihre Unschuld verloren.
Zu den „abgeritten Eysen“ heiſst die Hufschmiede im Sinne eines
Bordells 1). In den Fastnachtsspielen heiſst es:

„Da sprach einer, der mir Arges gunt,
Ich hett ein Eisen abgerennt“

und an einer anderen Stelle:

„Da kam einer, der mir viel guts gonnt
Und sprach, sie hat ein Eisen abgerannt.“

Die Hufschmiede bildeten mit den Grobschmieden eine Zunft und
hatten deshalb dieselben Handwerksgebräuche, dieselben Vorschriften
für die Lehrlinge und Gesellen. Hatte der Geselle nach beendeter
Wanderschaft keine Schmiede von seinem Vater ererbt und wollte
selbständiger Meister werden, so muſste er erst in der Stadt, in der er
sich niederlassen wollte, sein „Mutjahr“ abdienen. Dann muſste er eine
ehrbare Jungfer freien, auf der kein Makel ruhte, und diese der Zunft
als seine Zukünftige bezeichnen, sodann muſste er sein ziemlich
schwieriges Meisterstück machen. Dies bestand bei den Hufschmieden
darin, einen vollständigen Hufbeschlag für ein Pferd zu machen, ohne
das Maſs zu nehmen und den Huf näher besehen zu dürfen. Das
Pferd wurde nur zwei- bis dreimal an ihm vorbeigeritten.

In Koblenz z. B. 2) war das Meisterstück „ein Pferd zu beschlagen,
ohne das Maſs des Hufes genommen zu haben. Das Eisen muſste in
zwei Hitzen verfertigt werden. Ferner hatte er ein breites Zimmer-
mannsbeil von einem Werkschuh in seinen drei Angeln zu machen,
wovon das Ohr 5 Zoll hoch sein soll und endlich einen zwei Fuder
Wein tragenden Wagen zu beschlagen, bei jedem Rade nur von einer
Schiene das Maſs zu nehmen und die Rädernägel dazu selbst mit ge-
stämpftem Kopfe zu schmieden.“ Hatte der Schmied sein Meisterstück
bestanden, so muſste er ein Haus erwerben, auf dem die Schmiede-
gerechtsame ruhte 3). Man nannte deshalb solche Häuser „Eheschmie-
den“, weil sie meist durch die Ehe erworben wurden. Dann erst durfte

1) Fastnachtsspiele 793, 14.
2) W. A. Günther, topograph. Geschichte der
Stadt Koblenz, S. 244.
3) Nürnberger Gesetz von 1399 in Siebenkees, Mate-
rialien zur Nürnberger Geschichte Bd. IV, S. 687.
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[880/0902] Hufschmiede. Mitbürger entziehen wollten. Der Hufschmied, als Wunderdoktor ein schlauer Patron, war aber auch ein Gelegenheitsmacher, und da die Schmiede ein günstiger Platz für geheime Begegnungen war, so hatte die Hufschmiede meist auch den Ruf eines liederlichen Hauses. Daraus entwickelte sich denn wohl auch der geläufige Euphemismus, „sie hat ein Eisen verloren oder abgerennt“ (infolgedessen sie bei der Schmiede einkehren muſste) in der Bedeutung, sie hat ihre Unschuld verloren. Zu den „abgeritten Eysen“ heiſst die Hufschmiede im Sinne eines Bordells 1). In den Fastnachtsspielen heiſst es: „Da sprach einer, der mir Arges gunt, Ich hett ein Eisen abgerennt“ und an einer anderen Stelle: „Da kam einer, der mir viel guts gonnt Und sprach, sie hat ein Eisen abgerannt.“ Die Hufschmiede bildeten mit den Grobschmieden eine Zunft und hatten deshalb dieselben Handwerksgebräuche, dieselben Vorschriften für die Lehrlinge und Gesellen. Hatte der Geselle nach beendeter Wanderschaft keine Schmiede von seinem Vater ererbt und wollte selbständiger Meister werden, so muſste er erst in der Stadt, in der er sich niederlassen wollte, sein „Mutjahr“ abdienen. Dann muſste er eine ehrbare Jungfer freien, auf der kein Makel ruhte, und diese der Zunft als seine Zukünftige bezeichnen, sodann muſste er sein ziemlich schwieriges Meisterstück machen. Dies bestand bei den Hufschmieden darin, einen vollständigen Hufbeschlag für ein Pferd zu machen, ohne das Maſs zu nehmen und den Huf näher besehen zu dürfen. Das Pferd wurde nur zwei- bis dreimal an ihm vorbeigeritten. In Koblenz z. B. 2) war das Meisterstück „ein Pferd zu beschlagen, ohne das Maſs des Hufes genommen zu haben. Das Eisen muſste in zwei Hitzen verfertigt werden. Ferner hatte er ein breites Zimmer- mannsbeil von einem Werkschuh in seinen drei Angeln zu machen, wovon das Ohr 5 Zoll hoch sein soll und endlich einen zwei Fuder Wein tragenden Wagen zu beschlagen, bei jedem Rade nur von einer Schiene das Maſs zu nehmen und die Rädernägel dazu selbst mit ge- stämpftem Kopfe zu schmieden.“ Hatte der Schmied sein Meisterstück bestanden, so muſste er ein Haus erwerben, auf dem die Schmiede- gerechtsame ruhte 3). Man nannte deshalb solche Häuser „Eheschmie- den“, weil sie meist durch die Ehe erworben wurden. Dann erst durfte 1) Fastnachtsspiele 793, 14. 2) W. A. Günther, topograph. Geschichte der Stadt Koblenz, S. 244. 3) Nürnberger Gesetz von 1399 in Siebenkees, Mate- rialien zur Nürnberger Geschichte Bd. IV, S. 687.

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 880. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/902>, abgerufen am 22.11.2024.