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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884.

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Arbeiterverhältnisse.

Die Korporationen der Ordensgeistlichen waren ein anregendes
Beispiel zur Bildung ähnlicher Genossenschaften auf anderen Gebieten.
Unmittelbar aber führte die Kirche zu der sozialen Umwälzung noch
dadurch, dass die Klöster, die aller Orten entstanden, Grundbesitzer
wurden und als solche auf dieselbe Stufe und in dieselben Rechte wie
die adeligen Grundbesitzer traten. Sie übten indes ihre Herrenrechte
gegen die ansässigen Hörigen mit viel grösserer Milde als die ange-
sessenen Grundbesitzer aus. Dies geschah schon aus Klugheit, um
Arbeiter auf ihre Besitzungen zu locken und sie verfuhren gegen diese
mit solcher Schonung, dass sogar viele ärmere Freie sich ihrer Frei-
heit begaben und aus eigenem Entschluss in den Dienst der Klöster
und Kirchen traten. Denn durch die Centralisation der Gewalt, durch
die strenge Regierung kaiserlicher Beamter und durch die vermehrte
Besteuerung waren für die weniger begüterten Freien ihre Privilegien
mehr eine Last als ein Vorzug geworden. Der Heerbann, welchen der
Freie zu leisten hatte, wurde durch die erhöhte Anforderung der Be-
waffnung eine kostspielige und beschwerliche Verpflichtung, die dem
kleinen Grundbesitzer zu einer grossen Bürde wurde. So kam es, dass
der freie Bauernstand sich minderte und ihr Besitz teils dem Adel,
teils der Kirche anheimfiel. Der Bauer trat aber lieber in ein Hörig-
keitsverhältnis zu der Geistlichkeit als zu dem Adel, wie dies schon
die alte Redensart bezeugt: "Unter dem Krummstab ist gut wohnen."
Die Kirche schützte den abhängigen Teil der Gesellschaft gegen die
Vergewaltigung des Adels und sorgte für ihn in mannigfacher Art.
Wie aber die kleinen Freien sich gern um Kirchen und Klöster an-
siedelten und so Gemeinden und Kirchdörfer gründen halfen, so wurden
andererseits die Kirchen an den Feiertagen die Veranlassung des Zu-
sammenströmens der ganzen Nachbarschaft, auch der entlegeneren Hof-
bauern. Dass diese dabei zugleich ihre notwendigen Einkäufe machten,
war natürlich und es fanden sich deshalb an solchen Tagen hausierende
Händler, die ihre Waren feilboten, in grösserer Zahl ein. So entstanden
die Märkte, die man wegen der kirchlichen Feier, durch die sie ver-
anlasst waren, selbst "Messen" nannte. Diese "Messen", die anfangs
von den Geistlichen nur geduldet, später aber sogar ausgebeutet wur-
den, waren ein wichtiges Erziehungsmittel für das Volk. Karl der
Grosse suchte vergeblich dagegen anzukämpfen, dass die Märkte Sams-
tags abgehalten wurden.

Auch waren es schon um jene Zeit bereits die Juden, die haupt-
sächlich den Hausierhandel in Deutschland betrieben; selbst bei den
freien Sachsen trieben sie den Kleinhandel und noch mehr das Wechsel-

Arbeiterverhältnisse.

Die Korporationen der Ordensgeistlichen waren ein anregendes
Beispiel zur Bildung ähnlicher Genossenschaften auf anderen Gebieten.
Unmittelbar aber führte die Kirche zu der sozialen Umwälzung noch
dadurch, daſs die Klöster, die aller Orten entstanden, Grundbesitzer
wurden und als solche auf dieselbe Stufe und in dieselben Rechte wie
die adeligen Grundbesitzer traten. Sie übten indes ihre Herrenrechte
gegen die ansäſsigen Hörigen mit viel gröſserer Milde als die ange-
sessenen Grundbesitzer aus. Dies geschah schon aus Klugheit, um
Arbeiter auf ihre Besitzungen zu locken und sie verfuhren gegen diese
mit solcher Schonung, daſs sogar viele ärmere Freie sich ihrer Frei-
heit begaben und aus eigenem Entschluſs in den Dienst der Klöster
und Kirchen traten. Denn durch die Centralisation der Gewalt, durch
die strenge Regierung kaiserlicher Beamter und durch die vermehrte
Besteuerung waren für die weniger begüterten Freien ihre Privilegien
mehr eine Last als ein Vorzug geworden. Der Heerbann, welchen der
Freie zu leisten hatte, wurde durch die erhöhte Anforderung der Be-
waffnung eine kostspielige und beschwerliche Verpflichtung, die dem
kleinen Grundbesitzer zu einer groſsen Bürde wurde. So kam es, daſs
der freie Bauernstand sich minderte und ihr Besitz teils dem Adel,
teils der Kirche anheimfiel. Der Bauer trat aber lieber in ein Hörig-
keitsverhältnis zu der Geistlichkeit als zu dem Adel, wie dies schon
die alte Redensart bezeugt: „Unter dem Krummstab ist gut wohnen.“
Die Kirche schützte den abhängigen Teil der Gesellschaft gegen die
Vergewaltigung des Adels und sorgte für ihn in mannigfacher Art.
Wie aber die kleinen Freien sich gern um Kirchen und Klöster an-
siedelten und so Gemeinden und Kirchdörfer gründen halfen, so wurden
andererseits die Kirchen an den Feiertagen die Veranlassung des Zu-
sammenströmens der ganzen Nachbarschaft, auch der entlegeneren Hof-
bauern. Daſs diese dabei zugleich ihre notwendigen Einkäufe machten,
war natürlich und es fanden sich deshalb an solchen Tagen hausierende
Händler, die ihre Waren feilboten, in gröſserer Zahl ein. So entstanden
die Märkte, die man wegen der kirchlichen Feier, durch die sie ver-
anlaſst waren, selbst „Messen“ nannte. Diese „Messen“, die anfangs
von den Geistlichen nur geduldet, später aber sogar ausgebeutet wur-
den, waren ein wichtiges Erziehungsmittel für das Volk. Karl der
Groſse suchte vergeblich dagegen anzukämpfen, daſs die Märkte Sams-
tags abgehalten wurden.

Auch waren es schon um jene Zeit bereits die Juden, die haupt-
sächlich den Hausierhandel in Deutschland betrieben; selbst bei den
freien Sachsen trieben sie den Kleinhandel und noch mehr das Wechsel-

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[743/0765] Arbeiterverhältnisse. Die Korporationen der Ordensgeistlichen waren ein anregendes Beispiel zur Bildung ähnlicher Genossenschaften auf anderen Gebieten. Unmittelbar aber führte die Kirche zu der sozialen Umwälzung noch dadurch, daſs die Klöster, die aller Orten entstanden, Grundbesitzer wurden und als solche auf dieselbe Stufe und in dieselben Rechte wie die adeligen Grundbesitzer traten. Sie übten indes ihre Herrenrechte gegen die ansäſsigen Hörigen mit viel gröſserer Milde als die ange- sessenen Grundbesitzer aus. Dies geschah schon aus Klugheit, um Arbeiter auf ihre Besitzungen zu locken und sie verfuhren gegen diese mit solcher Schonung, daſs sogar viele ärmere Freie sich ihrer Frei- heit begaben und aus eigenem Entschluſs in den Dienst der Klöster und Kirchen traten. Denn durch die Centralisation der Gewalt, durch die strenge Regierung kaiserlicher Beamter und durch die vermehrte Besteuerung waren für die weniger begüterten Freien ihre Privilegien mehr eine Last als ein Vorzug geworden. Der Heerbann, welchen der Freie zu leisten hatte, wurde durch die erhöhte Anforderung der Be- waffnung eine kostspielige und beschwerliche Verpflichtung, die dem kleinen Grundbesitzer zu einer groſsen Bürde wurde. So kam es, daſs der freie Bauernstand sich minderte und ihr Besitz teils dem Adel, teils der Kirche anheimfiel. Der Bauer trat aber lieber in ein Hörig- keitsverhältnis zu der Geistlichkeit als zu dem Adel, wie dies schon die alte Redensart bezeugt: „Unter dem Krummstab ist gut wohnen.“ Die Kirche schützte den abhängigen Teil der Gesellschaft gegen die Vergewaltigung des Adels und sorgte für ihn in mannigfacher Art. Wie aber die kleinen Freien sich gern um Kirchen und Klöster an- siedelten und so Gemeinden und Kirchdörfer gründen halfen, so wurden andererseits die Kirchen an den Feiertagen die Veranlassung des Zu- sammenströmens der ganzen Nachbarschaft, auch der entlegeneren Hof- bauern. Daſs diese dabei zugleich ihre notwendigen Einkäufe machten, war natürlich und es fanden sich deshalb an solchen Tagen hausierende Händler, die ihre Waren feilboten, in gröſserer Zahl ein. So entstanden die Märkte, die man wegen der kirchlichen Feier, durch die sie ver- anlaſst waren, selbst „Messen“ nannte. Diese „Messen“, die anfangs von den Geistlichen nur geduldet, später aber sogar ausgebeutet wur- den, waren ein wichtiges Erziehungsmittel für das Volk. Karl der Groſse suchte vergeblich dagegen anzukämpfen, daſs die Märkte Sams- tags abgehalten wurden. Auch waren es schon um jene Zeit bereits die Juden, die haupt- sächlich den Hausierhandel in Deutschland betrieben; selbst bei den freien Sachsen trieben sie den Kleinhandel und noch mehr das Wechsel-

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 743. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/765>, abgerufen am 22.11.2024.