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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884.

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Einleitung zum Mittelalter.

Ist die älteste Geschichte Skandinaviens auch noch in vielfaches
Dunkel gehüllt, so hat doch der Eifer der Archäologen bereits manches
Licht über diese prähistorische Zeit verbreitet und wir haben uns des-
halb um so lieber bei diesen archäologischen Kontroversen aufgehalten,
weil die nordischen Gelehrten im Vordertreffen des Meinungskampfes
über die metallurgische Entwickelung stehen und weil die mitgeteilten
Ergebnisse auf den grössten Teil des übrigen Europas anwendbar sind.

Es ist deshalb nur ein scheinbarer Sprung, wenn wir uns von
Skandinavien der Schweiz zuwenden und die interessanten Ergebnisse
der Untersuchung der Pfahlbauten vom metallurgischen Standpunkte
aus beleuchten. Hier wie dort verdanken wir die Bereicherung unserer
Kenntnisse fast ausschliesslich der archäologischen Forschung.

Selten wohl hat eine archäologische Entdeckung solche Sensation
hervorgerufen, als diejenige des Pfahlbaues bei Meilen im Zürichersee
und die geniale Interpretation derselben durch Ferdinand Keller1).
Lange schon waren den Fischern die zahlreichen alten Pfahlstumpfen
in der Nähe der Seeufer bekannt, aber über ihren Ursprung wusste
man nichts und niemand gab sich die Mühe, danach zu forschen. Erst
als im Winter 1853/54 der Wasserspiegel des Zürichersees ungewöhn-
lich tief sank, so dass die Pfähle des Pfahlbaudorfes von Meilen bloss-
gelegt wurden, lenkte der Lehrer von Ober-Meilen, Herr Äppli, die
Aufmerksamkeit der antiquarischen Gesellschaft von Zürich und speziell
Ferdinand Kellers auf die mannigfachen Funde, die er innerhalb des
Pfahlgebietes gemacht hatte. Nach genauer Prüfung erkannte Keller,
dass die unscheinbaren Pfahlreste die Fundamente eines einstmals be-
wohnten Seedorfes gewesen sein mussten, und seine klare verständige
Erklärung wurde die Veranlassung zu rasch aufeinanderfolgenden Ent-
deckungen, die seine Theorie bestätigten und erweiterten. In fast allen
Seeen der Schweiz fanden sich die Reste ähnlicher Ansiedelungen,
welche eine so reiche Ausbeute von Fundobjekten gewährten, dass aus
ihnen in kurzer Zeit die Lebensweise einer vergessenen, unbekannten
Bewohnerschaft, der längst verschollenen Vorfahren eines grossen Teils
des Schweizervolkes bis zur Evidenz nachgewiesen werden konnte.
Weit in das Steinzeitalter, d. h. in die Zeit vor der Bekanntschaft mit
den Metallen, reichten diese Ansiedelungen zurück, die aber zum Teil
bis in die historische Zeit, bis in die Zeit der römischen Herrschaft
fortgedauert haben müssen.


1) Dr. Ferd. Keller, Die keltischen Pfahlbauten in den Schweizerseeen. Mit-
teilungen der antiq. Gesellschaft. Zürich 1854.
Einleitung zum Mittelalter.

Ist die älteste Geschichte Skandinaviens auch noch in vielfaches
Dunkel gehüllt, so hat doch der Eifer der Archäologen bereits manches
Licht über diese prähistorische Zeit verbreitet und wir haben uns des-
halb um so lieber bei diesen archäologischen Kontroversen aufgehalten,
weil die nordischen Gelehrten im Vordertreffen des Meinungskampfes
über die metallurgische Entwickelung stehen und weil die mitgeteilten
Ergebnisse auf den gröſsten Teil des übrigen Europas anwendbar sind.

Es ist deshalb nur ein scheinbarer Sprung, wenn wir uns von
Skandinavien der Schweiz zuwenden und die interessanten Ergebnisse
der Untersuchung der Pfahlbauten vom metallurgischen Standpunkte
aus beleuchten. Hier wie dort verdanken wir die Bereicherung unserer
Kenntnisse fast ausschlieſslich der archäologischen Forschung.

Selten wohl hat eine archäologische Entdeckung solche Sensation
hervorgerufen, als diejenige des Pfahlbaues bei Meilen im Zürichersee
und die geniale Interpretation derselben durch Ferdinand Keller1).
Lange schon waren den Fischern die zahlreichen alten Pfahlstumpfen
in der Nähe der Seeufer bekannt, aber über ihren Ursprung wuſste
man nichts und niemand gab sich die Mühe, danach zu forschen. Erst
als im Winter 1853/54 der Wasserspiegel des Zürichersees ungewöhn-
lich tief sank, so daſs die Pfähle des Pfahlbaudorfes von Meilen bloſs-
gelegt wurden, lenkte der Lehrer von Ober-Meilen, Herr Äppli, die
Aufmerksamkeit der antiquarischen Gesellschaft von Zürich und speziell
Ferdinand Kellers auf die mannigfachen Funde, die er innerhalb des
Pfahlgebietes gemacht hatte. Nach genauer Prüfung erkannte Keller,
daſs die unscheinbaren Pfahlreste die Fundamente eines einstmals be-
wohnten Seedorfes gewesen sein muſsten, und seine klare verständige
Erklärung wurde die Veranlassung zu rasch aufeinanderfolgenden Ent-
deckungen, die seine Theorie bestätigten und erweiterten. In fast allen
Seeen der Schweiz fanden sich die Reste ähnlicher Ansiedelungen,
welche eine so reiche Ausbeute von Fundobjekten gewährten, daſs aus
ihnen in kurzer Zeit die Lebensweise einer vergessenen, unbekannten
Bewohnerschaft, der längst verschollenen Vorfahren eines groſsen Teils
des Schweizervolkes bis zur Evidenz nachgewiesen werden konnte.
Weit in das Steinzeitalter, d. h. in die Zeit vor der Bekanntschaft mit
den Metallen, reichten diese Ansiedelungen zurück, die aber zum Teil
bis in die historische Zeit, bis in die Zeit der römischen Herrschaft
fortgedauert haben müssen.


1) Dr. Ferd. Keller, Die keltischen Pfahlbauten in den Schweizerseeen. Mit-
teilungen der antiq. Gesellschaft. Zürich 1854.
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[605/0627] Einleitung zum Mittelalter. Ist die älteste Geschichte Skandinaviens auch noch in vielfaches Dunkel gehüllt, so hat doch der Eifer der Archäologen bereits manches Licht über diese prähistorische Zeit verbreitet und wir haben uns des- halb um so lieber bei diesen archäologischen Kontroversen aufgehalten, weil die nordischen Gelehrten im Vordertreffen des Meinungskampfes über die metallurgische Entwickelung stehen und weil die mitgeteilten Ergebnisse auf den gröſsten Teil des übrigen Europas anwendbar sind. Es ist deshalb nur ein scheinbarer Sprung, wenn wir uns von Skandinavien der Schweiz zuwenden und die interessanten Ergebnisse der Untersuchung der Pfahlbauten vom metallurgischen Standpunkte aus beleuchten. Hier wie dort verdanken wir die Bereicherung unserer Kenntnisse fast ausschlieſslich der archäologischen Forschung. Selten wohl hat eine archäologische Entdeckung solche Sensation hervorgerufen, als diejenige des Pfahlbaues bei Meilen im Zürichersee und die geniale Interpretation derselben durch Ferdinand Keller 1). Lange schon waren den Fischern die zahlreichen alten Pfahlstumpfen in der Nähe der Seeufer bekannt, aber über ihren Ursprung wuſste man nichts und niemand gab sich die Mühe, danach zu forschen. Erst als im Winter 1853/54 der Wasserspiegel des Zürichersees ungewöhn- lich tief sank, so daſs die Pfähle des Pfahlbaudorfes von Meilen bloſs- gelegt wurden, lenkte der Lehrer von Ober-Meilen, Herr Äppli, die Aufmerksamkeit der antiquarischen Gesellschaft von Zürich und speziell Ferdinand Kellers auf die mannigfachen Funde, die er innerhalb des Pfahlgebietes gemacht hatte. Nach genauer Prüfung erkannte Keller, daſs die unscheinbaren Pfahlreste die Fundamente eines einstmals be- wohnten Seedorfes gewesen sein muſsten, und seine klare verständige Erklärung wurde die Veranlassung zu rasch aufeinanderfolgenden Ent- deckungen, die seine Theorie bestätigten und erweiterten. In fast allen Seeen der Schweiz fanden sich die Reste ähnlicher Ansiedelungen, welche eine so reiche Ausbeute von Fundobjekten gewährten, daſs aus ihnen in kurzer Zeit die Lebensweise einer vergessenen, unbekannten Bewohnerschaft, der längst verschollenen Vorfahren eines groſsen Teils des Schweizervolkes bis zur Evidenz nachgewiesen werden konnte. Weit in das Steinzeitalter, d. h. in die Zeit vor der Bekanntschaft mit den Metallen, reichten diese Ansiedelungen zurück, die aber zum Teil bis in die historische Zeit, bis in die Zeit der römischen Herrschaft fortgedauert haben müssen. 1) Dr. Ferd. Keller, Die keltischen Pfahlbauten in den Schweizerseeen. Mit- teilungen der antiq. Gesellschaft. Zürich 1854.

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 605. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/627>, abgerufen am 16.06.2024.