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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884.

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Griechenland.
ganz speziell die erste Auffindung und Verarbeitung des Eisens zuge-
schrieben. Die bezüglichen Darstellungen verschiedener Dichter sind
indessen unter sich voller Widersprüche. Zweierlei Daktylen werden
als erste Erfinder des Eisens genannt, die Daktylen, welche am Idäischen
Gebirge in Kreta wohnten, und die phrygischen Daktylen, die am
Abhang des gleichnamigen Berges in Kleinasien -- nicht weit von
Troja -- hausten. Sophokles gedenkt der fünf Daktylen, welche auf
Kreta zuerst das Eisen schmiedeten. Sie waren nach Diodor die ersten
Bewohner von Kreta, die Kinder der Sonne und der Minerva, nach
anderen des Saturn und der Alkiope. Pausanias führt gleichfalls fünf
Daktylen auf, während Strabo ihre Zahl auf hundert angiebt. Nach
des Pausanias' Erzählung habe Rhea nach der Geburt des Zeus die
Bewachung des Kindes den idäischen Daktylen, die aus Kreta gekom-
men seien, dem Herakles, Päonäos, Epimedes, Jasios und Idas
anvertraut. -- Nach anderen Schriftstellern waren es die phrygischen
Daktylen, denen zuerst die Bearbeitung des Eisens bekannt war. Dies
erzählt Diodor, indem er hinzufügt, der Blitz habe einen Wald in Brand
gesteckt, welcher auf Eisenerz stand, dieses sei geschmolzen und auf
diese Weise den Daktylen das Geheimnis offenbart worden. Die
Parische Marmorchronik bestimmt sogar die Zeit dieses Ereignisses,
nämlich 215 Jahre vor dem trojanischen Krieg, also im Jahre 1409 v. Chr.
(nach der Zeitbestimmung des Eratosthenes). Apollonius giebt die Zahl
der phrygischen Daktylen auf drei an, die er namentlich aufführt:

Illic habitabant
Montigenae Phryges Idaei, gens arte celebris,
Celmis, Damnamenusque ingens, Acmanque superbus,
Montanae ducti cultores Adrasteae,
A quibus ars Vulcania prima fuisse reperta
Dicitur et nigrum nemoroso in monte repertum
In varios usus monstravit cudere ferrum
Impositumque igni miro splendescere cultu.

Die Namen der Daktylen Kelmis, Damnameneus und Akmon sind,
wie leicht erkenntlich, symbolische. Sie bedeuten Esse, Hammer 1) und
Ambos. Akmon ist übrigens auch ein phönizischer Name des Herkules,
des Baal Melkart. Jedenfalls darf aus diesen Sagen gefolgert werden,
dass die Kunst der Gewinnung und Verarbeitung des Eisens zuerst
durch phönizische Einwanderer nach den griechischen Inseln gebracht
worden ist; denn die Daktylen sind ebenso wie die verwandten Tel-
chinen
auf Rhodos, welche nach Strabos Angabe zuerst das Eisen er-
fanden und die Sichel des Saturn schmiedeten, oder wie die Kureten

1) Damnameneus, der Bezwinger.

Griechenland.
ganz speziell die erste Auffindung und Verarbeitung des Eisens zuge-
schrieben. Die bezüglichen Darstellungen verschiedener Dichter sind
indessen unter sich voller Widersprüche. Zweierlei Daktylen werden
als erste Erfinder des Eisens genannt, die Daktylen, welche am Idäischen
Gebirge in Kreta wohnten, und die phrygischen Daktylen, die am
Abhang des gleichnamigen Berges in Kleinasien — nicht weit von
Troja — hausten. Sophokles gedenkt der fünf Daktylen, welche auf
Kreta zuerst das Eisen schmiedeten. Sie waren nach Diodor die ersten
Bewohner von Kreta, die Kinder der Sonne und der Minerva, nach
anderen des Saturn und der Alkiope. Pausanias führt gleichfalls fünf
Daktylen auf, während Strabo ihre Zahl auf hundert angiebt. Nach
des Pausanias’ Erzählung habe Rhea nach der Geburt des Zeus die
Bewachung des Kindes den idäischen Daktylen, die aus Kreta gekom-
men seien, dem Herakles, Päonäos, Epimedes, Jasios und Idas
anvertraut. — Nach anderen Schriftstellern waren es die phrygischen
Daktylen, denen zuerst die Bearbeitung des Eisens bekannt war. Dies
erzählt Diodor, indem er hinzufügt, der Blitz habe einen Wald in Brand
gesteckt, welcher auf Eisenerz stand, dieses sei geschmolzen und auf
diese Weise den Daktylen das Geheimnis offenbart worden. Die
Parische Marmorchronik bestimmt sogar die Zeit dieses Ereigniſses,
nämlich 215 Jahre vor dem trojanischen Krieg, also im Jahre 1409 v. Chr.
(nach der Zeitbestimmung des Eratosthenes). Apollonius giebt die Zahl
der phrygischen Daktylen auf drei an, die er namentlich aufführt:

Illic habitabant
Montigenae Phryges Idaei, gens arte celebris,
Celmis, Damnamenusque ingens, Acmanque superbus,
Montanae ducti cultores Adrasteae,
A quibus ars Vulcania prima fuisse reperta
Dicitur et nigrum nemoroso in monte repertum
In varios usus monstravit cudere ferrum
Impositumque igni miro splendescere cultu.

Die Namen der Daktylen Kelmis, Damnameneus und Akmon sind,
wie leicht erkenntlich, symbolische. Sie bedeuten Esse, Hammer 1) und
Ambos. Akmon ist übrigens auch ein phönizischer Name des Herkules,
des Baal Melkart. Jedenfalls darf aus diesen Sagen gefolgert werden,
daſs die Kunst der Gewinnung und Verarbeitung des Eisens zuerst
durch phönizische Einwanderer nach den griechischen Inseln gebracht
worden ist; denn die Daktylen sind ebenso wie die verwandten Tel-
chinen
auf Rhodos, welche nach Strabos Angabe zuerst das Eisen er-
fanden und die Sichel des Saturn schmiedeten, oder wie die Kureten

1) Δαμναμενεύς, der Bezwinger.
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[377/0399] Griechenland. ganz speziell die erste Auffindung und Verarbeitung des Eisens zuge- schrieben. Die bezüglichen Darstellungen verschiedener Dichter sind indessen unter sich voller Widersprüche. Zweierlei Daktylen werden als erste Erfinder des Eisens genannt, die Daktylen, welche am Idäischen Gebirge in Kreta wohnten, und die phrygischen Daktylen, die am Abhang des gleichnamigen Berges in Kleinasien — nicht weit von Troja — hausten. Sophokles gedenkt der fünf Daktylen, welche auf Kreta zuerst das Eisen schmiedeten. Sie waren nach Diodor die ersten Bewohner von Kreta, die Kinder der Sonne und der Minerva, nach anderen des Saturn und der Alkiope. Pausanias führt gleichfalls fünf Daktylen auf, während Strabo ihre Zahl auf hundert angiebt. Nach des Pausanias’ Erzählung habe Rhea nach der Geburt des Zeus die Bewachung des Kindes den idäischen Daktylen, die aus Kreta gekom- men seien, dem Herakles, Päonäos, Epimedes, Jasios und Idas anvertraut. — Nach anderen Schriftstellern waren es die phrygischen Daktylen, denen zuerst die Bearbeitung des Eisens bekannt war. Dies erzählt Diodor, indem er hinzufügt, der Blitz habe einen Wald in Brand gesteckt, welcher auf Eisenerz stand, dieses sei geschmolzen und auf diese Weise den Daktylen das Geheimnis offenbart worden. Die Parische Marmorchronik bestimmt sogar die Zeit dieses Ereigniſses, nämlich 215 Jahre vor dem trojanischen Krieg, also im Jahre 1409 v. Chr. (nach der Zeitbestimmung des Eratosthenes). Apollonius giebt die Zahl der phrygischen Daktylen auf drei an, die er namentlich aufführt: Illic habitabant Montigenae Phryges Idaei, gens arte celebris, Celmis, Damnamenusque ingens, Acmanque superbus, Montanae ducti cultores Adrasteae, A quibus ars Vulcania prima fuisse reperta Dicitur et nigrum nemoroso in monte repertum In varios usus monstravit cudere ferrum Impositumque igni miro splendescere cultu. Die Namen der Daktylen Kelmis, Damnameneus und Akmon sind, wie leicht erkenntlich, symbolische. Sie bedeuten Esse, Hammer 1) und Ambos. Akmon ist übrigens auch ein phönizischer Name des Herkules, des Baal Melkart. Jedenfalls darf aus diesen Sagen gefolgert werden, daſs die Kunst der Gewinnung und Verarbeitung des Eisens zuerst durch phönizische Einwanderer nach den griechischen Inseln gebracht worden ist; denn die Daktylen sind ebenso wie die verwandten Tel- chinen auf Rhodos, welche nach Strabos Angabe zuerst das Eisen er- fanden und die Sichel des Saturn schmiedeten, oder wie die Kureten 1) Δαμναμενεύς, der Bezwinger.

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/399>, abgerufen am 22.11.2024.