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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884.

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Syrien.
Babylons zu vergleichen sind. So würden wir von diesem merkwürdigen
Volke, wenn wir auf ihre eigenen Überlieferungen beschränkt wären, so
gut als nichts wissen, obgleich vielleicht kein Volk auf die Zivilisation so
mächtig eingewirkt hat wie dieses. Dafür aber haben wir die Zeugnisse
der Israeliten, der griechischen und römischen Schriftsteller. Aus diesen
müssen wir unsere Belehrung schöpfen, die freilich, da sie aus zweiter
Hand kommt und aus meist viel späterer Zeit, nicht die Zuverlässigkeit
der unmittelbaren Mitteilungen der oben angeführten Geschichtsquellen
hat. Einstimmig preisen alle Quellen den grossartigen Seehandel der
Phönizier. Die Griechen leiten ganz direkt einen grossen Teil ihrer
Kultur und selbst ihre Religion von den phönizischen Städten ab und
ebenso einstimmig sind Strabo und Plinius darin, dass die Zivilisation
sämtlicher Küstenländer des Mittelmeeres auf die Einwirkung der
Phönizier zurückzuführen ist. Es ist unendlich zu beklagen, dass die
Werke des Mochos, der vor dem trojanischen Kriege lebte 1) und des
Sanchuniathon der um oder nicht lange nach dieser Epoche lebte, ver-
loren gegangen sind, die anderen Bruchstücke des uns erhaltenen Aus-
zuges des Philon von Byblos aus den Schriften des letzteren bieten uns
weniges. Über die Gewerbe der Phönizier, über ihre technische Bildung,
über ihre Verwendung der Metalle fehlen uns die direkten Zeugnisse,
wir können hierüber nur Vermutungen aufstellen. Jedenfalls aber
haben wir ein Recht anzunehmen, dass ihre Technik sehr ähnlich und
nicht geringer war, als die der Kananiter, die ihre Stammesbrüder
waren und deren Gebiet sie zum Teil beherrschten. Die Metallindustrie
der Phönizier wird demnach zur Zeit der Herrschaft der Chetiter in
der Mitte des 15. Jahrhunderts v. Chr. und später zur Zeit der Eroberung
von Kanaan durch die Israeliten zum mindesten auf der Höhe ge-
standen haben, die wir bereits früher geschildert haben. Nördlich der
Cheta wohnten nach den Inschriften Thutmosis III. die Retenu, die
reich an gutem Eisen waren. Wir dürfen annehmen, dass dies Volk
am Südabhange des Libanon wohnte und wenn nicht mit den Phöniziern
identisch, so doch verwandt und benachbart war. Die grösste zivilisa-
torische Einwirkung übten die Phönizier durch ihre Schiffahrt, ihren
Handel und ihre Kolonisation aus und zwar erstreckt sich diese Wirkung
nicht allein auf das ganze Mittelmeerbecken, sondern auch auf die
Küste des Schwarzen Meeres und des Atlantischen Ozeans, bis
nach England hin. Ihre Götter zogen mit ihnen, besonders Baal-
Melkart, der Gott der männlichen Kraft, welchen wir als Herkules

1) Siehe Strabo, S. 756.

Syrien.
Babylons zu vergleichen sind. So würden wir von diesem merkwürdigen
Volke, wenn wir auf ihre eigenen Überlieferungen beschränkt wären, so
gut als nichts wissen, obgleich vielleicht kein Volk auf die Zivilisation so
mächtig eingewirkt hat wie dieses. Dafür aber haben wir die Zeugnisse
der Israeliten, der griechischen und römischen Schriftsteller. Aus diesen
müssen wir unsere Belehrung schöpfen, die freilich, da sie aus zweiter
Hand kommt und aus meist viel späterer Zeit, nicht die Zuverlässigkeit
der unmittelbaren Mitteilungen der oben angeführten Geschichtsquellen
hat. Einstimmig preisen alle Quellen den groſsartigen Seehandel der
Phönizier. Die Griechen leiten ganz direkt einen groſsen Teil ihrer
Kultur und selbst ihre Religion von den phönizischen Städten ab und
ebenso einstimmig sind Strabo und Plinius darin, daſs die Zivilisation
sämtlicher Küstenländer des Mittelmeeres auf die Einwirkung der
Phönizier zurückzuführen ist. Es ist unendlich zu beklagen, daſs die
Werke des Mochos, der vor dem trojanischen Kriege lebte 1) und des
Sanchuniathon der um oder nicht lange nach dieser Epoche lebte, ver-
loren gegangen sind, die anderen Bruchstücke des uns erhaltenen Aus-
zuges des Philon von Byblos aus den Schriften des letzteren bieten uns
weniges. Über die Gewerbe der Phönizier, über ihre technische Bildung,
über ihre Verwendung der Metalle fehlen uns die direkten Zeugnisse,
wir können hierüber nur Vermutungen aufstellen. Jedenfalls aber
haben wir ein Recht anzunehmen, daſs ihre Technik sehr ähnlich und
nicht geringer war, als die der Kananiter, die ihre Stammesbrüder
waren und deren Gebiet sie zum Teil beherrschten. Die Metallindustrie
der Phönizier wird demnach zur Zeit der Herrschaft der Chetiter in
der Mitte des 15. Jahrhunderts v. Chr. und später zur Zeit der Eroberung
von Kanaan durch die Israeliten zum mindesten auf der Höhe ge-
standen haben, die wir bereits früher geschildert haben. Nördlich der
Cheta wohnten nach den Inschriften Thutmosis III. die Retenu, die
reich an gutem Eisen waren. Wir dürfen annehmen, daſs dies Volk
am Südabhange des Libanon wohnte und wenn nicht mit den Phöniziern
identisch, so doch verwandt und benachbart war. Die gröſste zivilisa-
torische Einwirkung übten die Phönizier durch ihre Schiffahrt, ihren
Handel und ihre Kolonisation aus und zwar erstreckt sich diese Wirkung
nicht allein auf das ganze Mittelmeerbecken, sondern auch auf die
Küste des Schwarzen Meeres und des Atlantischen Ozeans, bis
nach England hin. Ihre Götter zogen mit ihnen, besonders Baal-
Melkart, der Gott der männlichen Kraft, welchen wir als Herkules

1) Siehe Strabo, S. 756.
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[174/0196] Syrien. Babylons zu vergleichen sind. So würden wir von diesem merkwürdigen Volke, wenn wir auf ihre eigenen Überlieferungen beschränkt wären, so gut als nichts wissen, obgleich vielleicht kein Volk auf die Zivilisation so mächtig eingewirkt hat wie dieses. Dafür aber haben wir die Zeugnisse der Israeliten, der griechischen und römischen Schriftsteller. Aus diesen müssen wir unsere Belehrung schöpfen, die freilich, da sie aus zweiter Hand kommt und aus meist viel späterer Zeit, nicht die Zuverlässigkeit der unmittelbaren Mitteilungen der oben angeführten Geschichtsquellen hat. Einstimmig preisen alle Quellen den groſsartigen Seehandel der Phönizier. Die Griechen leiten ganz direkt einen groſsen Teil ihrer Kultur und selbst ihre Religion von den phönizischen Städten ab und ebenso einstimmig sind Strabo und Plinius darin, daſs die Zivilisation sämtlicher Küstenländer des Mittelmeeres auf die Einwirkung der Phönizier zurückzuführen ist. Es ist unendlich zu beklagen, daſs die Werke des Mochos, der vor dem trojanischen Kriege lebte 1) und des Sanchuniathon der um oder nicht lange nach dieser Epoche lebte, ver- loren gegangen sind, die anderen Bruchstücke des uns erhaltenen Aus- zuges des Philon von Byblos aus den Schriften des letzteren bieten uns weniges. Über die Gewerbe der Phönizier, über ihre technische Bildung, über ihre Verwendung der Metalle fehlen uns die direkten Zeugnisse, wir können hierüber nur Vermutungen aufstellen. Jedenfalls aber haben wir ein Recht anzunehmen, daſs ihre Technik sehr ähnlich und nicht geringer war, als die der Kananiter, die ihre Stammesbrüder waren und deren Gebiet sie zum Teil beherrschten. Die Metallindustrie der Phönizier wird demnach zur Zeit der Herrschaft der Chetiter in der Mitte des 15. Jahrhunderts v. Chr. und später zur Zeit der Eroberung von Kanaan durch die Israeliten zum mindesten auf der Höhe ge- standen haben, die wir bereits früher geschildert haben. Nördlich der Cheta wohnten nach den Inschriften Thutmosis III. die Retenu, die reich an gutem Eisen waren. Wir dürfen annehmen, daſs dies Volk am Südabhange des Libanon wohnte und wenn nicht mit den Phöniziern identisch, so doch verwandt und benachbart war. Die gröſste zivilisa- torische Einwirkung übten die Phönizier durch ihre Schiffahrt, ihren Handel und ihre Kolonisation aus und zwar erstreckt sich diese Wirkung nicht allein auf das ganze Mittelmeerbecken, sondern auch auf die Küste des Schwarzen Meeres und des Atlantischen Ozeans, bis nach England hin. Ihre Götter zogen mit ihnen, besonders Baal- Melkart, der Gott der männlichen Kraft, welchen wir als Herkules 1) Siehe Strabo, S. 756.

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/196>, abgerufen am 27.04.2024.