Erde entsprossen und die Überlieferungen der Israeliten nennen in Übereinstimmung hiermit Sidon "den Erstgeborenen Kanaans 1)". In frühester Zeit lebte das Volk wahrscheinlich vom Fischfange, denn "Sidon" heisst in der phönizischen Sprache "Fischfang". Diese Be- schäftigung führte naturgemäss zur Schiffahrt und der Handelsgeist, der um so mehr bei ihnen geweckt werden musste, weil die grosse Handelsstrasse von Asien nach Ägypten und Arabien durch ihr Gebiet führte, veranlasste sie zu Wagnissen zur See von solcher Kühnheit, wie sie vor ihnen kein anderes Volk unternommen hatte. Während die Ackerbaubevölkerung Israels eine entschieden monarchische Gesinnung hatte und sich, wenn auch unter verschiedenen Formen um eine Person zu scharen suchte, herrschte bei den Phöniziern gerade das Gegenteil dieser nationalen Einheitsbestrebung. Wie die Kananiter zu Abrahams Zeit in unzählige kleine Diminutivkönigreiche zerteilt waren, so herrschte auch bei den Phöniziern nie eine geschlossene Einheit, sondern jede der grossen Städte hatte autonome Selbständigkeit und einen eigenen Fürsten. Ja, so gänzlich zuwider war dem phönizischen Kaufmanns- volke die Allgewalt des Einzelnen, dass sie selbst in einzelnen Städten den König noch unter einen "hohen Rat" angesehener Bürger stellten, wodurch die monarchische Spitze so geschwächt wurde, dass die späteren Koloniestädte der Phönizier ganz davon abstrahierten und eine voll- ständig republikanische Staatsform in ihren Gemeinwesen einführten.
Die phönizischen und syrischen Städte sind von hohem Alter. Viele derselben werden bereits in Inschriften aus der Zeit Thutmosis III. (1591 bis 1565) erwähnt. Sanchuniathon, ein Hierophant, der um die Zeit des trojanischen Krieges lebte und aus dessen Schriften Bruchstücke von Philon von Byblos erhalten sind, nennt Byblos die älteste Stadt der Welt. Sidon bestand schon vor der Einwanderung Abrahams, ebenso Damaskus, das nach Berosus von Kain selbst gegründet wurde. Tyrus ist zwar jünger als Sidon, doch sicherlich älter als das Jahr 1209, welches als das Jahr seiner Gründung angegeben wird, denn Zor, d. h. Tyrus, wurde bereits von Sethos I. in Ägypten (1440 bis 1400 v. Chr.) er- obert. Zur Zeit, als Israel zuerst mit den Phöniziern in Verbindung trat, war Sidon die herrschende Stadt. Jakob erwähnt sterbend die Stadt und ihren Hafen 2). Damals war sie bereits eine blühende Handelsstadt. Als Verwandte und Nachbarn der Chetiter teilten sie jedenfalls deren Kultur und dürfen wir sicher annehmen, dass auch ihre metallurgischen Kenntnisse bereits auf derselben hohen Stufe standen,
1) 1. Mos. 10, 15.
2) 1. Mos. 49, 13.
Syrien.
Erde entsprossen und die Überlieferungen der Israeliten nennen in Übereinstimmung hiermit Sidon „den Erstgeborenen Kanaans 1)“. In frühester Zeit lebte das Volk wahrscheinlich vom Fischfange, denn „Sidon“ heiſst in der phönizischen Sprache „Fischfang“. Diese Be- schäftigung führte naturgemäſs zur Schiffahrt und der Handelsgeist, der um so mehr bei ihnen geweckt werden muſste, weil die groſse Handelsstraſse von Asien nach Ägypten und Arabien durch ihr Gebiet führte, veranlaſste sie zu Wagnissen zur See von solcher Kühnheit, wie sie vor ihnen kein anderes Volk unternommen hatte. Während die Ackerbaubevölkerung Israels eine entschieden monarchische Gesinnung hatte und sich, wenn auch unter verschiedenen Formen um eine Person zu scharen suchte, herrschte bei den Phöniziern gerade das Gegenteil dieser nationalen Einheitsbestrebung. Wie die Kananiter zu Abrahams Zeit in unzählige kleine Diminutivkönigreiche zerteilt waren, so herrschte auch bei den Phöniziern nie eine geschlossene Einheit, sondern jede der groſsen Städte hatte autonome Selbständigkeit und einen eigenen Fürsten. Ja, so gänzlich zuwider war dem phönizischen Kaufmanns- volke die Allgewalt des Einzelnen, daſs sie selbst in einzelnen Städten den König noch unter einen „hohen Rat“ angesehener Bürger stellten, wodurch die monarchische Spitze so geschwächt wurde, daſs die späteren Koloniestädte der Phönizier ganz davon abstrahierten und eine voll- ständig republikanische Staatsform in ihren Gemeinwesen einführten.
Die phönizischen und syrischen Städte sind von hohem Alter. Viele derselben werden bereits in Inschriften aus der Zeit Thutmosis III. (1591 bis 1565) erwähnt. Sanchuniathon, ein Hierophant, der um die Zeit des trojanischen Krieges lebte und aus dessen Schriften Bruchstücke von Philon von Byblos erhalten sind, nennt Byblos die älteste Stadt der Welt. Sidon bestand schon vor der Einwanderung Abrahams, ebenso Damaskus, das nach Berosus von Kain selbst gegründet wurde. Tyrus ist zwar jünger als Sidon, doch sicherlich älter als das Jahr 1209, welches als das Jahr seiner Gründung angegeben wird, denn Zor, d. h. Tyrus, wurde bereits von Sethos I. in Ägypten (1440 bis 1400 v. Chr.) er- obert. Zur Zeit, als Israel zuerst mit den Phöniziern in Verbindung trat, war Sidon die herrschende Stadt. Jakob erwähnt sterbend die Stadt und ihren Hafen 2). Damals war sie bereits eine blühende Handelsstadt. Als Verwandte und Nachbarn der Chetiter teilten sie jedenfalls deren Kultur und dürfen wir sicher annehmen, daſs auch ihre metallurgischen Kenntnisse bereits auf derselben hohen Stufe standen,
1) 1. Mos. 10, 15.
2) 1. Mos. 49, 13.
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Syrien.
Erde entsprossen und die Überlieferungen der Israeliten nennen in
Übereinstimmung hiermit Sidon „den Erstgeborenen Kanaans 1)“. In
frühester Zeit lebte das Volk wahrscheinlich vom Fischfange, denn
„Sidon“ heiſst in der phönizischen Sprache „Fischfang“. Diese Be-
schäftigung führte naturgemäſs zur Schiffahrt und der Handelsgeist,
der um so mehr bei ihnen geweckt werden muſste, weil die groſse
Handelsstraſse von Asien nach Ägypten und Arabien durch ihr Gebiet
führte, veranlaſste sie zu Wagnissen zur See von solcher Kühnheit, wie
sie vor ihnen kein anderes Volk unternommen hatte. Während die
Ackerbaubevölkerung Israels eine entschieden monarchische Gesinnung
hatte und sich, wenn auch unter verschiedenen Formen um eine Person
zu scharen suchte, herrschte bei den Phöniziern gerade das Gegenteil
dieser nationalen Einheitsbestrebung. Wie die Kananiter zu Abrahams
Zeit in unzählige kleine Diminutivkönigreiche zerteilt waren, so herrschte
auch bei den Phöniziern nie eine geschlossene Einheit, sondern jede
der groſsen Städte hatte autonome Selbständigkeit und einen eigenen
Fürsten. Ja, so gänzlich zuwider war dem phönizischen Kaufmanns-
volke die Allgewalt des Einzelnen, daſs sie selbst in einzelnen Städten
den König noch unter einen „hohen Rat“ angesehener Bürger stellten,
wodurch die monarchische Spitze so geschwächt wurde, daſs die späteren
Koloniestädte der Phönizier ganz davon abstrahierten und eine voll-
ständig republikanische Staatsform in ihren Gemeinwesen einführten.
Die phönizischen und syrischen Städte sind von hohem Alter.
Viele derselben werden bereits in Inschriften aus der Zeit Thutmosis III.
(1591 bis 1565) erwähnt. Sanchuniathon, ein Hierophant, der um die
Zeit des trojanischen Krieges lebte und aus dessen Schriften Bruchstücke
von Philon von Byblos erhalten sind, nennt Byblos die älteste Stadt
der Welt. Sidon bestand schon vor der Einwanderung Abrahams, ebenso
Damaskus, das nach Berosus von Kain selbst gegründet wurde.
Tyrus ist zwar jünger als Sidon, doch sicherlich älter als das Jahr 1209,
welches als das Jahr seiner Gründung angegeben wird, denn Zor, d. h.
Tyrus, wurde bereits von Sethos I. in Ägypten (1440 bis 1400 v. Chr.) er-
obert. Zur Zeit, als Israel zuerst mit den Phöniziern in Verbindung
trat, war Sidon die herrschende Stadt. Jakob erwähnt sterbend die
Stadt und ihren Hafen 2). Damals war sie bereits eine blühende
Handelsstadt. Als Verwandte und Nachbarn der Chetiter teilten sie
jedenfalls deren Kultur und dürfen wir sicher annehmen, daſs auch ihre
metallurgischen Kenntnisse bereits auf derselben hohen Stufe standen,
1) 1. Mos. 10, 15.
2) 1. Mos. 49, 13.
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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/194>, abgerufen am 28.11.2024.
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