Valentin Borgia allen seinen Platzingenieuren, sich nach den Anord- nungen des Leonardo zu richten. Unser höchstes Interesse erregt Leonardo als Maschinenkonstrukteur. Er geht bei der Konstruktion seiner Maschinen meist synthetisch zu Werke, indem er zuerst die ein- zelnen Teile skizzierte. Grothe schreibt hierüber 1):
Ist dem Leonardo eine Aufgabe gestellt gewesen, so hat er sich eine allgemeine Idee der Lösung gebildet und meistens diese flüchtig skizziert, und dann beginnt er die Details zu durchdenken und alle Momente ins Auge zu fassen. Dies zeigen die zahlreichen Details und Variationen derselben, von denen die meisten seiner Hauptblätter entouriert sind, ferner mathematische Figuren und Rechnungen und eingeschriebene Bemerkungen, zuweilen speziellere Erklärungen der Figuren. War er dann mit seiner Konstruktion zu Ende gelangt, war sie in allen Teilen fertig, so nahm Leonardo ein frisches Blatt, und in sicheren Strichen steht dann die Zeichnung da. Hat ihm die Lösung nicht gefallen oder ist ihm die ganze Sache langweilig geworden, so zeichnet er mitten zwischen diese Details wohl eine Fratze oder eine Arabeske. Für die Reinzeichnungen muss man rühmend erwähnen, dass sie sich gegen die späteren Zeichnungen, wie sie Vegetius Renatus, Salomon de Caus, Besson, Ramelli, Reimondus Montus, Zeising, Veran- tius, Branca, Nicolai Zucchio, Paulo Casato, Jungenickel, Kircher, Furttenbach, Böckler, Leupold, Gallon u. s. w. geben, vorteilhaft aus- zeichnen durch Richtigkeit der Perspektive und Wirksamkeit der Schattenprojektion, sowie durch proportionierte Formen der Gestelle, Getriebsteile u. s. w. Als Beispiel hierfür führe ich die in dem Codex Atlanticus in Mailand auf Blatt 195 (Nr. II) dargestellte Maschine zum Zersägen der Steine resp. des Marmors an. Leonardo giebt hier- von auf der Mitte des Blattes eine kleine, flüchtige Skizze, nebenher und darunter noch mehrere, dann beschäftigt ihn die Befestigung der beiden Sägeblätter in einem Rahmen speziell, sodann die Bewegung dieses Rahmens. In einigen Sätzen, die er zwischen diese Details schrieb, setzt er seine Ideeen über die Balance der Säge auseinander und über die gleichmässige Einführung der Schmirgelmaterieen in die Schnitt- löcher. Er kommt zu der Überzeugung, dass die Sägeblätter doppelt so lang sein müssten als der Stein selbst, wenn der Zug der Säge die Steineslänge betragen solle und dass die Zugstangen auf festen, aber je nach der vorgerückten Tiefe des Schnittes versetzbaren Unterlagen sich bewegen müssten, die auch nach der Seite hin die Bewegung
1) Grothe a. a. O. S. 68.
Leonardo da Vinci.
Valentin Borgia allen seinen Platzingenieuren, sich nach den Anord- nungen des Leonardo zu richten. Unser höchstes Interesse erregt Leonardo als Maschinenkonstrukteur. Er geht bei der Konstruktion seiner Maschinen meist synthetisch zu Werke, indem er zuerst die ein- zelnen Teile skizzierte. Grothe schreibt hierüber 1):
Ist dem Leonardo eine Aufgabe gestellt gewesen, so hat er sich eine allgemeine Idee der Lösung gebildet und meistens diese flüchtig skizziert, und dann beginnt er die Details zu durchdenken und alle Momente ins Auge zu fassen. Dies zeigen die zahlreichen Details und Variationen derselben, von denen die meisten seiner Hauptblätter entouriert sind, ferner mathematische Figuren und Rechnungen und eingeschriebene Bemerkungen, zuweilen speziellere Erklärungen der Figuren. War er dann mit seiner Konstruktion zu Ende gelangt, war sie in allen Teilen fertig, so nahm Leonardo ein frisches Blatt, und in sicheren Strichen steht dann die Zeichnung da. Hat ihm die Lösung nicht gefallen oder ist ihm die ganze Sache langweilig geworden, so zeichnet er mitten zwischen diese Details wohl eine Fratze oder eine Arabeske. Für die Reinzeichnungen muſs man rühmend erwähnen, daſs sie sich gegen die späteren Zeichnungen, wie sie Vegetius Renatus, Salomon de Caus, Besson, Ramelli, Reimondus Montus, Zeising, Veran- tius, Branca, Nicolai Zucchio, Paulo Casato, Jungenickel, Kircher, Furttenbach, Böckler, Leupold, Gallon u. s. w. geben, vorteilhaft aus- zeichnen durch Richtigkeit der Perspektive und Wirksamkeit der Schattenprojektion, sowie durch proportionierte Formen der Gestelle, Getriebsteile u. s. w. Als Beispiel hierfür führe ich die in dem Codex Atlanticus in Mailand auf Blatt 195 (Nr. II) dargestellte Maschine zum Zersägen der Steine resp. des Marmors an. Leonardo giebt hier- von auf der Mitte des Blattes eine kleine, flüchtige Skizze, nebenher und darunter noch mehrere, dann beschäftigt ihn die Befestigung der beiden Sägeblätter in einem Rahmen speziell, sodann die Bewegung dieses Rahmens. In einigen Sätzen, die er zwischen diese Details schrieb, setzt er seine Ideeen über die Balance der Säge auseinander und über die gleichmäſsige Einführung der Schmirgelmaterieen in die Schnitt- löcher. Er kommt zu der Überzeugung, daſs die Sägeblätter doppelt so lang sein müſsten als der Stein selbst, wenn der Zug der Säge die Steineslänge betragen solle und daſs die Zugstangen auf festen, aber je nach der vorgerückten Tiefe des Schnittes versetzbaren Unterlagen sich bewegen müſsten, die auch nach der Seite hin die Bewegung
1) Grothe a. a. O. S. 68.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f1016"n="994"/><fwplace="top"type="header">Leonardo da Vinci.</fw><lb/>
Valentin Borgia allen seinen Platzingenieuren, sich nach den Anord-<lb/>
nungen des Leonardo zu richten. Unser höchstes Interesse erregt<lb/>
Leonardo als Maschinenkonstrukteur. Er geht bei der Konstruktion<lb/>
seiner Maschinen meist synthetisch zu Werke, indem er zuerst die ein-<lb/>
zelnen Teile skizzierte. Grothe schreibt hierüber <noteplace="foot"n="1)">Grothe a. a. O. S. 68.</note>:</p><lb/><p>Ist dem Leonardo eine Aufgabe gestellt gewesen, so hat er sich<lb/>
eine allgemeine Idee der Lösung gebildet und meistens diese flüchtig<lb/>
skizziert, und dann beginnt er die Details zu durchdenken und alle<lb/>
Momente ins Auge zu fassen. Dies zeigen die zahlreichen Details und<lb/>
Variationen derselben, von denen die meisten seiner Hauptblätter<lb/>
entouriert sind, ferner mathematische Figuren und Rechnungen und<lb/>
eingeschriebene Bemerkungen, zuweilen speziellere Erklärungen der<lb/>
Figuren. War er dann mit seiner Konstruktion zu Ende gelangt, war<lb/>
sie in allen Teilen fertig, so nahm Leonardo ein frisches Blatt, und in<lb/>
sicheren Strichen steht dann die Zeichnung da. Hat ihm die Lösung<lb/>
nicht gefallen oder ist ihm die ganze Sache langweilig geworden,<lb/>
so zeichnet er mitten zwischen diese Details wohl eine Fratze oder eine<lb/>
Arabeske. Für die Reinzeichnungen muſs man rühmend erwähnen,<lb/>
daſs sie sich gegen die späteren Zeichnungen, wie sie Vegetius Renatus,<lb/>
Salomon de Caus, Besson, Ramelli, Reimondus Montus, Zeising, Veran-<lb/>
tius, Branca, Nicolai Zucchio, Paulo Casato, Jungenickel, Kircher,<lb/>
Furttenbach, Böckler, Leupold, Gallon u. s. w. geben, vorteilhaft aus-<lb/>
zeichnen durch Richtigkeit der Perspektive und Wirksamkeit der<lb/>
Schattenprojektion, sowie durch proportionierte Formen der Gestelle,<lb/>
Getriebsteile u. s. w. Als Beispiel hierfür führe ich die in dem Codex<lb/>
Atlanticus in Mailand auf Blatt 195 (Nr. II) dargestellte Maschine<lb/>
zum Zersägen der Steine resp. des Marmors an. Leonardo giebt hier-<lb/>
von auf der Mitte des Blattes eine kleine, flüchtige Skizze, nebenher<lb/>
und darunter noch mehrere, dann beschäftigt ihn die Befestigung der<lb/>
beiden Sägeblätter in einem Rahmen speziell, sodann die Bewegung dieses<lb/>
Rahmens. In einigen Sätzen, die er zwischen diese Details schrieb,<lb/>
setzt er seine Ideeen über die Balance der Säge auseinander und über<lb/>
die gleichmäſsige Einführung der Schmirgelmaterieen in die Schnitt-<lb/>
löcher. Er kommt zu der Überzeugung, daſs die Sägeblätter doppelt<lb/>
so lang sein müſsten als der Stein selbst, wenn der Zug der Säge die<lb/>
Steineslänge betragen solle und daſs die Zugstangen auf festen, aber<lb/>
je nach der vorgerückten Tiefe des Schnittes versetzbaren Unterlagen<lb/>
sich bewegen müſsten, die auch nach der Seite hin die Bewegung<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[994/1016]
Leonardo da Vinci.
Valentin Borgia allen seinen Platzingenieuren, sich nach den Anord-
nungen des Leonardo zu richten. Unser höchstes Interesse erregt
Leonardo als Maschinenkonstrukteur. Er geht bei der Konstruktion
seiner Maschinen meist synthetisch zu Werke, indem er zuerst die ein-
zelnen Teile skizzierte. Grothe schreibt hierüber 1):
Ist dem Leonardo eine Aufgabe gestellt gewesen, so hat er sich
eine allgemeine Idee der Lösung gebildet und meistens diese flüchtig
skizziert, und dann beginnt er die Details zu durchdenken und alle
Momente ins Auge zu fassen. Dies zeigen die zahlreichen Details und
Variationen derselben, von denen die meisten seiner Hauptblätter
entouriert sind, ferner mathematische Figuren und Rechnungen und
eingeschriebene Bemerkungen, zuweilen speziellere Erklärungen der
Figuren. War er dann mit seiner Konstruktion zu Ende gelangt, war
sie in allen Teilen fertig, so nahm Leonardo ein frisches Blatt, und in
sicheren Strichen steht dann die Zeichnung da. Hat ihm die Lösung
nicht gefallen oder ist ihm die ganze Sache langweilig geworden,
so zeichnet er mitten zwischen diese Details wohl eine Fratze oder eine
Arabeske. Für die Reinzeichnungen muſs man rühmend erwähnen,
daſs sie sich gegen die späteren Zeichnungen, wie sie Vegetius Renatus,
Salomon de Caus, Besson, Ramelli, Reimondus Montus, Zeising, Veran-
tius, Branca, Nicolai Zucchio, Paulo Casato, Jungenickel, Kircher,
Furttenbach, Böckler, Leupold, Gallon u. s. w. geben, vorteilhaft aus-
zeichnen durch Richtigkeit der Perspektive und Wirksamkeit der
Schattenprojektion, sowie durch proportionierte Formen der Gestelle,
Getriebsteile u. s. w. Als Beispiel hierfür führe ich die in dem Codex
Atlanticus in Mailand auf Blatt 195 (Nr. II) dargestellte Maschine
zum Zersägen der Steine resp. des Marmors an. Leonardo giebt hier-
von auf der Mitte des Blattes eine kleine, flüchtige Skizze, nebenher
und darunter noch mehrere, dann beschäftigt ihn die Befestigung der
beiden Sägeblätter in einem Rahmen speziell, sodann die Bewegung dieses
Rahmens. In einigen Sätzen, die er zwischen diese Details schrieb,
setzt er seine Ideeen über die Balance der Säge auseinander und über
die gleichmäſsige Einführung der Schmirgelmaterieen in die Schnitt-
löcher. Er kommt zu der Überzeugung, daſs die Sägeblätter doppelt
so lang sein müſsten als der Stein selbst, wenn der Zug der Säge die
Steineslänge betragen solle und daſs die Zugstangen auf festen, aber
je nach der vorgerückten Tiefe des Schnittes versetzbaren Unterlagen
sich bewegen müſsten, die auch nach der Seite hin die Bewegung
1) Grothe a. a. O. S. 68.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 994. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/1016>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.