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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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Ludwigs Falkenblick erkannte den Erbherrn, wie er auf dem Bug seines Schiffes stand und durch das Fernrohr nach der "vergulden Rose" blickte. Ludwig drehte sich, da er nicht wünschte, von Jenem gesehen und erkannt zu werden, rasch um und verließ das Steuerbord, und zwar mit einem sehr frohen Dankgefühl und einem verklärten Blick gen Himmel. Er gedachte mit tiefer Empfindung der leidenden Erbherrin, und konnte sich getrost sagen, daß ihr Zustand sich merklich gebessert haben müsse, sonst werde Graf Wilhelm sie gewiß nicht unter der Pflege fremder Hände zurückgelassen haben. Der überaus günstige Nordostwind, der den ganzen Morgen über geweht, hatte die gut segelnde schöne Susanne überaus rasch vorwärts gebracht und südwestwärts getrieben; sie hatte erst am frühen Morgen des heutigen Tages den Jahdebusen verlassen, freilich aber durch ihren nicht tiefen Gang den für leichtere Fahrzeuge kürzeren Wasserweg zwischen der Küste und dem Wangerland einschlagen können. Als die schöne Susanne der "vergulden Rose" ziemlich nahe vorbei rauschte, erfolgten die üblichen Grüße, die der Brauch vorschrieb, und bevor noch zwei Stunden vergingen, war die Jacht, die stricten Curs nach Amsterdam zu hielt, der vergulden Rose außer Sicht. Dieser Kauffahrer, eine einmastige Pinke, schwebte jetzt in ziemlicher Nähe der sechs Seemeilen langen und fast zwei Meilen breiten Untiefe, die einst ein bevölkertes, blühendes Land gewesen war. Nicht ohne geheimes Grauen sieht der Schiffer, wie über diesen weit gedehnten Meeresstrich die Wellen eine andere Gestalt annehmen, sich eigenthümlicher kräuseln, als auf offener See, oder im günstigen tiefen Fahrwasser. Immer ist ein unheimliches Rollen und Rauschen, stärker als an andern Strichen der See vernehmbar, und es ist gar kein Wunder, wenn ein nervösgereiztes Ohr, zumal das eines Sagengläubigen, die Glocken aus der Tiefe von den Kirchthürmen der versunkenen Dörfer mit grellem und schauerlichem Klange läuten hört. Sinnend und ernst blickten die Freunde auf das schöne unermeßlich lang gedehnte, wogenüberströmte, tiefliegende Riff, das bis nach Stavoren hinauf sich erstreckte, und der Kapitän murmelte, gleichsam als trauriger kummerbeschwerter Cicerone halblaut vor sich hin: al daar verdronken -- verdronken en't jaaren van een duizend twee honderd en zeventwintig, en een duizend twee honderd en zeventachtig. -- Dort breitete sich

Ludwigs Falkenblick erkannte den Erbherrn, wie er auf dem Bug seines Schiffes stand und durch das Fernrohr nach der „vergulden Rose“ blickte. Ludwig drehte sich, da er nicht wünschte, von Jenem gesehen und erkannt zu werden, rasch um und verließ das Steuerbord, und zwar mit einem sehr frohen Dankgefühl und einem verklärten Blick gen Himmel. Er gedachte mit tiefer Empfindung der leidenden Erbherrin, und konnte sich getrost sagen, daß ihr Zustand sich merklich gebessert haben müsse, sonst werde Graf Wilhelm sie gewiß nicht unter der Pflege fremder Hände zurückgelassen haben. Der überaus günstige Nordostwind, der den ganzen Morgen über geweht, hatte die gut segelnde schöne Susanne überaus rasch vorwärts gebracht und südwestwärts getrieben; sie hatte erst am frühen Morgen des heutigen Tages den Jahdebusen verlassen, freilich aber durch ihren nicht tiefen Gang den für leichtere Fahrzeuge kürzeren Wasserweg zwischen der Küste und dem Wangerland einschlagen können. Als die schöne Susanne der „vergulden Rose“ ziemlich nahe vorbei rauschte, erfolgten die üblichen Grüße, die der Brauch vorschrieb, und bevor noch zwei Stunden vergingen, war die Jacht, die stricten Curs nach Amsterdam zu hielt, der vergulden Rose außer Sicht. Dieser Kauffahrer, eine einmastige Pinke, schwebte jetzt in ziemlicher Nähe der sechs Seemeilen langen und fast zwei Meilen breiten Untiefe, die einst ein bevölkertes, blühendes Land gewesen war. Nicht ohne geheimes Grauen sieht der Schiffer, wie über diesen weit gedehnten Meeresstrich die Wellen eine andere Gestalt annehmen, sich eigenthümlicher kräuseln, als auf offener See, oder im günstigen tiefen Fahrwasser. Immer ist ein unheimliches Rollen und Rauschen, stärker als an andern Strichen der See vernehmbar, und es ist gar kein Wunder, wenn ein nervösgereiztes Ohr, zumal das eines Sagengläubigen, die Glocken aus der Tiefe von den Kirchthürmen der versunkenen Dörfer mit grellem und schauerlichem Klange läuten hört. Sinnend und ernst blickten die Freunde auf das schöne unermeßlich lang gedehnte, wogenüberströmte, tiefliegende Riff, das bis nach Stavoren hinauf sich erstreckte, und der Kapitän murmelte, gleichsam als trauriger kummerbeschwerter Cicerone halblaut vor sich hin: al daar verdronken — verdronken en’t jaaren van een duizend twee honderd en zeventwintig, en een duizend twee honderd en zeventachtig. — Dort breitete sich

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[94/0098] Ludwigs Falkenblick erkannte den Erbherrn, wie er auf dem Bug seines Schiffes stand und durch das Fernrohr nach der „vergulden Rose“ blickte. Ludwig drehte sich, da er nicht wünschte, von Jenem gesehen und erkannt zu werden, rasch um und verließ das Steuerbord, und zwar mit einem sehr frohen Dankgefühl und einem verklärten Blick gen Himmel. Er gedachte mit tiefer Empfindung der leidenden Erbherrin, und konnte sich getrost sagen, daß ihr Zustand sich merklich gebessert haben müsse, sonst werde Graf Wilhelm sie gewiß nicht unter der Pflege fremder Hände zurückgelassen haben. Der überaus günstige Nordostwind, der den ganzen Morgen über geweht, hatte die gut segelnde schöne Susanne überaus rasch vorwärts gebracht und südwestwärts getrieben; sie hatte erst am frühen Morgen des heutigen Tages den Jahdebusen verlassen, freilich aber durch ihren nicht tiefen Gang den für leichtere Fahrzeuge kürzeren Wasserweg zwischen der Küste und dem Wangerland einschlagen können. Als die schöne Susanne der „vergulden Rose“ ziemlich nahe vorbei rauschte, erfolgten die üblichen Grüße, die der Brauch vorschrieb, und bevor noch zwei Stunden vergingen, war die Jacht, die stricten Curs nach Amsterdam zu hielt, der vergulden Rose außer Sicht. Dieser Kauffahrer, eine einmastige Pinke, schwebte jetzt in ziemlicher Nähe der sechs Seemeilen langen und fast zwei Meilen breiten Untiefe, die einst ein bevölkertes, blühendes Land gewesen war. Nicht ohne geheimes Grauen sieht der Schiffer, wie über diesen weit gedehnten Meeresstrich die Wellen eine andere Gestalt annehmen, sich eigenthümlicher kräuseln, als auf offener See, oder im günstigen tiefen Fahrwasser. Immer ist ein unheimliches Rollen und Rauschen, stärker als an andern Strichen der See vernehmbar, und es ist gar kein Wunder, wenn ein nervösgereiztes Ohr, zumal das eines Sagengläubigen, die Glocken aus der Tiefe von den Kirchthürmen der versunkenen Dörfer mit grellem und schauerlichem Klange läuten hört. Sinnend und ernst blickten die Freunde auf das schöne unermeßlich lang gedehnte, wogenüberströmte, tiefliegende Riff, das bis nach Stavoren hinauf sich erstreckte, und der Kapitän murmelte, gleichsam als trauriger kummerbeschwerter Cicerone halblaut vor sich hin: al daar verdronken — verdronken en’t jaaren van een duizend twee honderd en zeventwintig, en een duizend twee honderd en zeventachtig. — Dort breitete sich

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/98>, abgerufen am 17.05.2024.