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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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4. Eine Lebensrettung


Eine Zeitlang ritt Graf Ludwig in trüben Gedanken durch die frühlingsknospende Waldung im stummen Schweigen dahin. Er fühlte, daß seine erste Jugendzeit mit jedem Schritt seines Rosses weiter hinter ihn zurücktrete, wie ein schöner Traum, daß eine eigenthümliche Welt hinter ihm sinke, in der er heimisch und glücklich gewesen war, und mit dem heutigen Tage eine neue fremde Welt sich ihm aufthue, die er noch nicht kannte und die keineswegs geneigt sein werde, ihn mit Liebe zu empfangen und auf Rosen zu betten. Bald genug erinnerte schon der immer schlechtere Weg durch das Gehölz an den rauhen Boden der Wirklichkeit, und störte gewaltsam die Erinnerungen an das entschwundene Jugendglück. Es galt, dem Schritt der Pferde mit Aufmerksamkeit zu folgen und sie so zu lenken, daß sie nicht allzutief in die zahllosen Moraststellen traten. Hie und da lagen noch von Buschwerk geschützte und gehäufte Schneemassen, die weder Sonne noch Regen bisher zu überwältigen vermochten, und so waren Herr und Diener herzlich froh, als nach einem langsamen und beschwerlichen Ritt der Waldweg ein Ende nahm und ein Gehöft erreicht wurde, das aus nur wenigen Häusern bestand und den Namen Clus führte; es saß ein gräflicher Zinsbauer dort und hielt eine kleine Schankwirthschaft.

Dort stieg der junge Graf mit Philipp ab, damit der Knecht des Bauern die Füße der Pferde ein wenig wasche und reinige. Ludwig erging sich in seinen Gedanken, die auf's Neue brütend und trübe wurden, in der Nähe des Gehöfts, während Philipp dem Knechte behülflich war und mit diesem und dem Bauer schwatzte, und da war ringsum nichts, was aufheiternd auf des Jünglings Seele zu wirken vermocht hätte. Selbst der klare blaue Morgenhimmel hatte getäuscht, den zahllosen Mooren des Landes waren so viele und starke Nebel entdampft, daß sie emporziehend den Himmel wieder völlig verdüstert hatten. So hemmten sie zwar die Aussicht und Fernsicht nicht ganz,

4. Eine Lebensrettung


Eine Zeitlang ritt Graf Ludwig in trüben Gedanken durch die frühlingsknospende Waldung im stummen Schweigen dahin. Er fühlte, daß seine erste Jugendzeit mit jedem Schritt seines Rosses weiter hinter ihn zurücktrete, wie ein schöner Traum, daß eine eigenthümliche Welt hinter ihm sinke, in der er heimisch und glücklich gewesen war, und mit dem heutigen Tage eine neue fremde Welt sich ihm aufthue, die er noch nicht kannte und die keineswegs geneigt sein werde, ihn mit Liebe zu empfangen und auf Rosen zu betten. Bald genug erinnerte schon der immer schlechtere Weg durch das Gehölz an den rauhen Boden der Wirklichkeit, und störte gewaltsam die Erinnerungen an das entschwundene Jugendglück. Es galt, dem Schritt der Pferde mit Aufmerksamkeit zu folgen und sie so zu lenken, daß sie nicht allzutief in die zahllosen Moraststellen traten. Hie und da lagen noch von Buschwerk geschützte und gehäufte Schneemassen, die weder Sonne noch Regen bisher zu überwältigen vermochten, und so waren Herr und Diener herzlich froh, als nach einem langsamen und beschwerlichen Ritt der Waldweg ein Ende nahm und ein Gehöft erreicht wurde, das aus nur wenigen Häusern bestand und den Namen Clus führte; es saß ein gräflicher Zinsbauer dort und hielt eine kleine Schankwirthschaft.

Dort stieg der junge Graf mit Philipp ab, damit der Knecht des Bauern die Füße der Pferde ein wenig wasche und reinige. Ludwig erging sich in seinen Gedanken, die auf’s Neue brütend und trübe wurden, in der Nähe des Gehöfts, während Philipp dem Knechte behülflich war und mit diesem und dem Bauer schwatzte, und da war ringsum nichts, was aufheiternd auf des Jünglings Seele zu wirken vermocht hätte. Selbst der klare blaue Morgenhimmel hatte getäuscht, den zahllosen Mooren des Landes waren so viele und starke Nebel entdampft, daß sie emporziehend den Himmel wieder völlig verdüstert hatten. So hemmten sie zwar die Aussicht und Fernsicht nicht ganz,

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[44/0048] 4. Eine Lebensrettung Eine Zeitlang ritt Graf Ludwig in trüben Gedanken durch die frühlingsknospende Waldung im stummen Schweigen dahin. Er fühlte, daß seine erste Jugendzeit mit jedem Schritt seines Rosses weiter hinter ihn zurücktrete, wie ein schöner Traum, daß eine eigenthümliche Welt hinter ihm sinke, in der er heimisch und glücklich gewesen war, und mit dem heutigen Tage eine neue fremde Welt sich ihm aufthue, die er noch nicht kannte und die keineswegs geneigt sein werde, ihn mit Liebe zu empfangen und auf Rosen zu betten. Bald genug erinnerte schon der immer schlechtere Weg durch das Gehölz an den rauhen Boden der Wirklichkeit, und störte gewaltsam die Erinnerungen an das entschwundene Jugendglück. Es galt, dem Schritt der Pferde mit Aufmerksamkeit zu folgen und sie so zu lenken, daß sie nicht allzutief in die zahllosen Moraststellen traten. Hie und da lagen noch von Buschwerk geschützte und gehäufte Schneemassen, die weder Sonne noch Regen bisher zu überwältigen vermochten, und so waren Herr und Diener herzlich froh, als nach einem langsamen und beschwerlichen Ritt der Waldweg ein Ende nahm und ein Gehöft erreicht wurde, das aus nur wenigen Häusern bestand und den Namen Clus führte; es saß ein gräflicher Zinsbauer dort und hielt eine kleine Schankwirthschaft. Dort stieg der junge Graf mit Philipp ab, damit der Knecht des Bauern die Füße der Pferde ein wenig wasche und reinige. Ludwig erging sich in seinen Gedanken, die auf’s Neue brütend und trübe wurden, in der Nähe des Gehöfts, während Philipp dem Knechte behülflich war und mit diesem und dem Bauer schwatzte, und da war ringsum nichts, was aufheiternd auf des Jünglings Seele zu wirken vermocht hätte. Selbst der klare blaue Morgenhimmel hatte getäuscht, den zahllosen Mooren des Landes waren so viele und starke Nebel entdampft, daß sie emporziehend den Himmel wieder völlig verdüstert hatten. So hemmten sie zwar die Aussicht und Fernsicht nicht ganz,

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/48>, abgerufen am 23.11.2024.