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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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Auch sein Ziel war nahe, näher als er selbst glaubte; gleichwohl versäumte er nicht, Alles vollends zu vernichten, was noch zu vernichten war, die Briefe der Großmutter, die Briefe und die Schenkungsurkunde Georginens, seine früheren Reisepässe, ein Flammenopfer nach dem anderen; ferner Leonardus' Testament und Schenkungen, alle Quittungen, alle Danksagungen. -- Alter Adrianus van der Valck! sprach er sinnend: Du, der mich rechnen lehrte, was sagst du zu meinem Rechnungsabschluß? Subtraction! Der Tod zieht mir das Leben ab, das ist das Facit meiner Rechnung.

Eines Tages wollte er noch schreiben, aber die Hand versagte ihm den Dienst. Der jüngere Diener ward herbeigerufen, der Herr wollte dictiren, aber er vermochte es nicht, er fühlte sich zu schwach dazu, und murmelte nur: O weh! daß ich doch zu keinem Entschluß kommen kann! Nun denn -- mag es sein!

Noch einige unzusammenhängende Phantasien von Testamenten -- von einer Dame, die aus weiter Ferne kommen werde -- von einem Bruder, der ermordet worden -- von einer Schwester, die ihm entgegenstrahle -- von Engeln, die seiner harrten -- und die Seele Ludwig's löste sich leise los vom Erdenstaube. Er war "auf dem Sopha" -- wie die Acten lauteten "sanft eingeschlafen."

Der Tod des geheimnißvollen Grafen war ein Ereigniß, das lange Stadt und Land bewegte und allgemein die Neugier auf's Höchste spannte. Nun endlich mußte doch Alles offenbar werden! Gegen Erwarten ward aber Nichts offenbar. Die Gerichte kamen, versiegelten, öffneten und inventirten den Nachlaß.

Es fand sich kein Testament. Die Dienerschaft erzählte, daß ihr entschlafener Herr stets den Wunsch ausgesprochen habe, in seinem Berge neben jenem Grabe beerdigt zu werden, das sein Theuerstes barg, denn in der Schenkungsurkunde des Berggartens an den Einen der Diener stand die Bedingung: "Das oder die Gräber in dem geschenkten Garten stets zu pflegen und zu bewachen."

Ludwig wurde nicht neben Sophien zur Erde bestattet. Ein ausgemauertes Grab zu Eishausen nahm die sterbliche Hülle des Dunkelgrafen auf. Eingedenk der großen Wohlthaten, die er ihr erzeigt, ging die ganze Dorfgemeinde mit zu Grabe. Von Hildburghausen

Auch sein Ziel war nahe, näher als er selbst glaubte; gleichwohl versäumte er nicht, Alles vollends zu vernichten, was noch zu vernichten war, die Briefe der Großmutter, die Briefe und die Schenkungsurkunde Georginens, seine früheren Reisepässe, ein Flammenopfer nach dem anderen; ferner Leonardus’ Testament und Schenkungen, alle Quittungen, alle Danksagungen. — Alter Adrianus van der Valck! sprach er sinnend: Du, der mich rechnen lehrte, was sagst du zu meinem Rechnungsabschluß? Subtraction! Der Tod zieht mir das Leben ab, das ist das Facit meiner Rechnung.

Eines Tages wollte er noch schreiben, aber die Hand versagte ihm den Dienst. Der jüngere Diener ward herbeigerufen, der Herr wollte dictiren, aber er vermochte es nicht, er fühlte sich zu schwach dazu, und murmelte nur: O weh! daß ich doch zu keinem Entschluß kommen kann! Nun denn — mag es sein!

Noch einige unzusammenhängende Phantasien von Testamenten — von einer Dame, die aus weiter Ferne kommen werde — von einem Bruder, der ermordet worden — von einer Schwester, die ihm entgegenstrahle — von Engeln, die seiner harrten — und die Seele Ludwig’s löste sich leise los vom Erdenstaube. Er war „auf dem Sopha“ — wie die Acten lauteten „sanft eingeschlafen.“

Der Tod des geheimnißvollen Grafen war ein Ereigniß, das lange Stadt und Land bewegte und allgemein die Neugier auf’s Höchste spannte. Nun endlich mußte doch Alles offenbar werden! Gegen Erwarten ward aber Nichts offenbar. Die Gerichte kamen, versiegelten, öffneten und inventirten den Nachlaß.

Es fand sich kein Testament. Die Dienerschaft erzählte, daß ihr entschlafener Herr stets den Wunsch ausgesprochen habe, in seinem Berge neben jenem Grabe beerdigt zu werden, das sein Theuerstes barg, denn in der Schenkungsurkunde des Berggartens an den Einen der Diener stand die Bedingung: „Das oder die Gräber in dem geschenkten Garten stets zu pflegen und zu bewachen.“

Ludwig wurde nicht neben Sophien zur Erde bestattet. Ein ausgemauertes Grab zu Eishausen nahm die sterbliche Hülle des Dunkelgrafen auf. Eingedenk der großen Wohlthaten, die er ihr erzeigt, ging die ganze Dorfgemeinde mit zu Grabe. Von Hildburghausen

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[469/0473] Auch sein Ziel war nahe, näher als er selbst glaubte; gleichwohl versäumte er nicht, Alles vollends zu vernichten, was noch zu vernichten war, die Briefe der Großmutter, die Briefe und die Schenkungsurkunde Georginens, seine früheren Reisepässe, ein Flammenopfer nach dem anderen; ferner Leonardus’ Testament und Schenkungen, alle Quittungen, alle Danksagungen. — Alter Adrianus van der Valck! sprach er sinnend: Du, der mich rechnen lehrte, was sagst du zu meinem Rechnungsabschluß? Subtraction! Der Tod zieht mir das Leben ab, das ist das Facit meiner Rechnung. Eines Tages wollte er noch schreiben, aber die Hand versagte ihm den Dienst. Der jüngere Diener ward herbeigerufen, der Herr wollte dictiren, aber er vermochte es nicht, er fühlte sich zu schwach dazu, und murmelte nur: O weh! daß ich doch zu keinem Entschluß kommen kann! Nun denn — mag es sein! Noch einige unzusammenhängende Phantasien von Testamenten — von einer Dame, die aus weiter Ferne kommen werde — von einem Bruder, der ermordet worden — von einer Schwester, die ihm entgegenstrahle — von Engeln, die seiner harrten — und die Seele Ludwig’s löste sich leise los vom Erdenstaube. Er war „auf dem Sopha“ — wie die Acten lauteten „sanft eingeschlafen.“ Der Tod des geheimnißvollen Grafen war ein Ereigniß, das lange Stadt und Land bewegte und allgemein die Neugier auf’s Höchste spannte. Nun endlich mußte doch Alles offenbar werden! Gegen Erwarten ward aber Nichts offenbar. Die Gerichte kamen, versiegelten, öffneten und inventirten den Nachlaß. Es fand sich kein Testament. Die Dienerschaft erzählte, daß ihr entschlafener Herr stets den Wunsch ausgesprochen habe, in seinem Berge neben jenem Grabe beerdigt zu werden, das sein Theuerstes barg, denn in der Schenkungsurkunde des Berggartens an den Einen der Diener stand die Bedingung: „Das oder die Gräber in dem geschenkten Garten stets zu pflegen und zu bewachen.“ Ludwig wurde nicht neben Sophien zur Erde bestattet. Ein ausgemauertes Grab zu Eishausen nahm die sterbliche Hülle des Dunkelgrafen auf. Eingedenk der großen Wohlthaten, die er ihr erzeigt, ging die ganze Dorfgemeinde mit zu Grabe. Von Hildburghausen

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/473>, abgerufen am 28.11.2024.