Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.Memoiren sagen Sie? Nichts. Eine Sammlung von Küchenzetteln, das sind meine Memoiren. Küchenzettel? fragte der Arzt verwundert. Nun, könnte ich nicht ein gelernter Koch sein? fragte der Graf mit Ironie zurück. Entweder habe ich mir selbst gekocht, oder ich habe mir kochen lassen, es gibt keinen Mittelweg. Meinen Sie nicht, Herr Doctor, daß Küchenzettel ein schöneres Album bilden könnten, wie Recepte? Jedenfalls stehen sie vor diesen in erster Reihe, denn die Recepte entstehen meist nur, um das zu corrigiren, was die Küchenzettel verdorben haben. Sie scherzen, um abzulenken, Herr Graf! entgegnete der Arzt. Ich beabsichtige nicht, Ihnen Geheimnisse zu entlocken. Ein solches Bemühen würde auch das Vergeblichste von der Welt sein, versetzte Ludwig. Ich habe den Leuten das Räthsel nicht aufgegeben, um es in einer schwachen Stunde selbst zu lösen. Der schmerzlichste Verlust, den ich erlitt, machte mein Gemüth nur noch verschlossener, mein Schweigen nur um so tiefer. Gern hätte ich, als meine unvergeßliche Freundin dem Grabe -- nicht zuwelkte, sondern zublühte, Sie rufen lassen, Herr Medicinalrath, aber sie wollte es nicht, und sie war ja die Herrin, meine angebetete Herrin, und über Alles, was mein war. Sie wollte es nicht, sie wollte von Ihnen nicht das Opfer. Das Opfer des Schweigens? fiel der Arzt dem Grafen in das Wort. Ein solches Opfer wird dem Manne meines Standes nicht schwer. Schweigen ist unsere erste Pflicht. Wohl jedem Ihrer Collegen, der so denkt! stimmte ihm Ludwig bei: und der anvertraute Geheimnisse treu im Busen bewahrt. Aber ich meine, angenehmer, leichter und froher lebe sich's doch, wenn ein Mensch keine Geheimnisse zu bewahren hat und von solchen unbelastet bleibt? Meinen Sie nicht auch so? Der Arzt lächelte und schwieg; sein heller Geist verstand den Wink sehr gut. -- Ludwig sprach weiter: Ich sollte, und gewiß ist das auch Ihre Meinung, eigentlich darauf bedacht nehmen, mein Haus zu bestellen. Ich sollte, was man so nennt, testiren, nicht wahr? Vor Notaren und Actuaren, vor Zeugen und Zöpfen? Aber das fällt mir nicht ein! Wenn ich meine Augen schließe, so hören meine Geldquellen Memoiren sagen Sie? Nichts. Eine Sammlung von Küchenzetteln, das sind meine Memoiren. Küchenzettel? fragte der Arzt verwundert. Nun, könnte ich nicht ein gelernter Koch sein? fragte der Graf mit Ironie zurück. Entweder habe ich mir selbst gekocht, oder ich habe mir kochen lassen, es gibt keinen Mittelweg. Meinen Sie nicht, Herr Doctor, daß Küchenzettel ein schöneres Album bilden könnten, wie Recepte? Jedenfalls stehen sie vor diesen in erster Reihe, denn die Recepte entstehen meist nur, um das zu corrigiren, was die Küchenzettel verdorben haben. Sie scherzen, um abzulenken, Herr Graf! entgegnete der Arzt. Ich beabsichtige nicht, Ihnen Geheimnisse zu entlocken. Ein solches Bemühen würde auch das Vergeblichste von der Welt sein, versetzte Ludwig. Ich habe den Leuten das Räthsel nicht aufgegeben, um es in einer schwachen Stunde selbst zu lösen. Der schmerzlichste Verlust, den ich erlitt, machte mein Gemüth nur noch verschlossener, mein Schweigen nur um so tiefer. Gern hätte ich, als meine unvergeßliche Freundin dem Grabe — nicht zuwelkte, sondern zublühte, Sie rufen lassen, Herr Medicinalrath, aber sie wollte es nicht, und sie war ja die Herrin, meine angebetete Herrin, und über Alles, was mein war. Sie wollte es nicht, sie wollte von Ihnen nicht das Opfer. Das Opfer des Schweigens? fiel der Arzt dem Grafen in das Wort. Ein solches Opfer wird dem Manne meines Standes nicht schwer. Schweigen ist unsere erste Pflicht. Wohl jedem Ihrer Collegen, der so denkt! stimmte ihm Ludwig bei: und der anvertraute Geheimnisse treu im Busen bewahrt. Aber ich meine, angenehmer, leichter und froher lebe sich’s doch, wenn ein Mensch keine Geheimnisse zu bewahren hat und von solchen unbelastet bleibt? Meinen Sie nicht auch so? Der Arzt lächelte und schwieg; sein heller Geist verstand den Wink sehr gut. — Ludwig sprach weiter: Ich sollte, und gewiß ist das auch Ihre Meinung, eigentlich darauf bedacht nehmen, mein Haus zu bestellen. Ich sollte, was man so nennt, testiren, nicht wahr? Vor Notaren und Actuaren, vor Zeugen und Zöpfen? Aber das fällt mir nicht ein! Wenn ich meine Augen schließe, so hören meine Geldquellen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0469" n="465"/><hi rendition="#g">Memoiren</hi> sagen Sie? Nichts. 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Gern hätte ich, als meine unvergeßliche Freundin dem Grabe — nicht zuwelkte, sondern zublühte, Sie rufen lassen, Herr Medicinalrath, aber sie wollte es nicht, und sie war ja die Herrin, meine angebetete Herrin, und über Alles, was mein war. Sie wollte es nicht, sie wollte von Ihnen nicht das Opfer.</p> <p>Das Opfer des Schweigens? fiel der Arzt dem Grafen in das Wort. Ein solches Opfer wird dem Manne meines Standes nicht schwer. Schweigen ist unsere erste Pflicht.</p> <p>Wohl jedem Ihrer Collegen, der so denkt! stimmte ihm Ludwig bei: und der anvertraute Geheimnisse treu im Busen bewahrt. Aber ich meine, angenehmer, leichter und froher lebe sich’s doch, wenn ein Mensch keine Geheimnisse zu bewahren hat und von solchen unbelastet bleibt? Meinen Sie nicht auch so?</p> <p>Der Arzt lächelte und schwieg; sein heller Geist verstand den Wink sehr gut. — Ludwig sprach weiter: Ich sollte, und gewiß ist das auch Ihre Meinung, eigentlich darauf bedacht nehmen, mein Haus zu bestellen. 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Memoiren sagen Sie? Nichts. Eine Sammlung von Küchenzetteln, das sind meine Memoiren.
Küchenzettel? fragte der Arzt verwundert.
Nun, könnte ich nicht ein gelernter Koch sein? fragte der Graf mit Ironie zurück. Entweder habe ich mir selbst gekocht, oder ich habe mir kochen lassen, es gibt keinen Mittelweg. Meinen Sie nicht, Herr Doctor, daß Küchenzettel ein schöneres Album bilden könnten, wie Recepte? Jedenfalls stehen sie vor diesen in erster Reihe, denn die Recepte entstehen meist nur, um das zu corrigiren, was die Küchenzettel verdorben haben.
Sie scherzen, um abzulenken, Herr Graf! entgegnete der Arzt. Ich beabsichtige nicht, Ihnen Geheimnisse zu entlocken.
Ein solches Bemühen würde auch das Vergeblichste von der Welt sein, versetzte Ludwig. Ich habe den Leuten das Räthsel nicht aufgegeben, um es in einer schwachen Stunde selbst zu lösen. Der schmerzlichste Verlust, den ich erlitt, machte mein Gemüth nur noch verschlossener, mein Schweigen nur um so tiefer. Gern hätte ich, als meine unvergeßliche Freundin dem Grabe — nicht zuwelkte, sondern zublühte, Sie rufen lassen, Herr Medicinalrath, aber sie wollte es nicht, und sie war ja die Herrin, meine angebetete Herrin, und über Alles, was mein war. Sie wollte es nicht, sie wollte von Ihnen nicht das Opfer.
Das Opfer des Schweigens? fiel der Arzt dem Grafen in das Wort. Ein solches Opfer wird dem Manne meines Standes nicht schwer. Schweigen ist unsere erste Pflicht.
Wohl jedem Ihrer Collegen, der so denkt! stimmte ihm Ludwig bei: und der anvertraute Geheimnisse treu im Busen bewahrt. Aber ich meine, angenehmer, leichter und froher lebe sich’s doch, wenn ein Mensch keine Geheimnisse zu bewahren hat und von solchen unbelastet bleibt? Meinen Sie nicht auch so?
Der Arzt lächelte und schwieg; sein heller Geist verstand den Wink sehr gut. — Ludwig sprach weiter: Ich sollte, und gewiß ist das auch Ihre Meinung, eigentlich darauf bedacht nehmen, mein Haus zu bestellen. Ich sollte, was man so nennt, testiren, nicht wahr? Vor Notaren und Actuaren, vor Zeugen und Zöpfen? Aber das fällt mir nicht ein! Wenn ich meine Augen schließe, so hören meine Geldquellen
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