Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.ganz Europa auf sich lenken, denn nach allen Richtungen hin legt die republikanische Propaganda ihre Minen, und schon sind deren in Belgien, Polen, in Italien und in verschiedenen Theilen Deutschlands gesprungen -- alle diese Ereignisse, sage ich, werden zurückgedrängt durch eine Begebenheit, welche uns zu allernächst auf das Schmerzlichste berührt und niederbeugt. Den letzten Stamm des Hauses Conde hat der Tod gebrochen, und welch' ein Tod! -- Ein schändlicher, verrätherischer, meuchelmörderischer Tod unter der schwärzesten Maske! Am 29. August dieses Jahres wurde Herzog Louis Henri Joseph von Bourbon, Prinz von Conde, auf seinem Landsitz zu Chantilly am frühen Morgen in seinem Schlafzimmer an einem Fensterkreuz erhängt gefunden, und die Schmach eines Selbstmordes auf sein unschuldiges Haupt gewälzt. Schmerz und Zorn zugleich nehmen mir die Feder aus der Hand -- des Herzogs Testament ist eröffnet -- lachende Erben nehmen das ungeheure Vermögen in Empfang und die gerechtesten Ansprüche Anderer werden mit Füßen getreten! -- O, meine Sophie! Du bleibst, was du bisher gewesen bist, eine arme Waise, meine letzte Hoffnung, dir das Glück des Reichthums noch im irdischen Leben verschaffen zu können, denn drüben bedürfen wir dessen ja nicht, ist zertrümmert, wie Helm und Schild dem Letzten seines Stammes zerbrochen in das Grab nachgeworfen wurden!" Laß doch Alles dahin sein, liebes Kind, sprach Ludwig mit der Ruhe eines Weisen zur Freundin, die von dieser Nachricht auf das Tiefste ergriffen wurde und in Thränen ausbrach; nur keine Thränen um irdische Habe, wahrlich, sie ist so köstlicher Thränen nicht werth, zumal solcher Habe, die Andere besaßen, nicht wir. Auch ich glaube hier nicht an einen Selbstmord, möchte aber auch Niemanden verdächtigen. Wir leben wieder in einer bösen Zeit und können nicht wissen, wie Alles sich gestalten wird. Du bist unwohl und regst dich allzusehr auf, sagte Sophie, die mit Sorge wahrnahm, wie ihn alle diese Nachrichten immer wieder von Neuem erschütterten. -- Ja, meine Theure, ich fühle mich in der That unwohl, entgegnete der Graf. Die lange Ruhe hat mich verwöhnt, so Manches stürmt jetzt auf mich ein, so Manches tritt mir nahe, was mich ängstlich und besorgt macht. Dein Schicksal, Sophie -- wenn ich dir entrissen würde. ganz Europa auf sich lenken, denn nach allen Richtungen hin legt die republikanische Propaganda ihre Minen, und schon sind deren in Belgien, Polen, in Italien und in verschiedenen Theilen Deutschlands gesprungen — alle diese Ereignisse, sage ich, werden zurückgedrängt durch eine Begebenheit, welche uns zu allernächst auf das Schmerzlichste berührt und niederbeugt. Den letzten Stamm des Hauses Condé hat der Tod gebrochen, und welch’ ein Tod! — Ein schändlicher, verrätherischer, meuchelmörderischer Tod unter der schwärzesten Maske! Am 29. August dieses Jahres wurde Herzog Louis Henri Joseph von Bourbon, Prinz von Condé, auf seinem Landsitz zu Chantilly am frühen Morgen in seinem Schlafzimmer an einem Fensterkreuz erhängt gefunden, und die Schmach eines Selbstmordes auf sein unschuldiges Haupt gewälzt. Schmerz und Zorn zugleich nehmen mir die Feder aus der Hand — des Herzogs Testament ist eröffnet — lachende Erben nehmen das ungeheure Vermögen in Empfang und die gerechtesten Ansprüche Anderer werden mit Füßen getreten! — O, meine Sophie! Du bleibst, was du bisher gewesen bist, eine arme Waise, meine letzte Hoffnung, dir das Glück des Reichthums noch im irdischen Leben verschaffen zu können, denn drüben bedürfen wir dessen ja nicht, ist zertrümmert, wie Helm und Schild dem Letzten seines Stammes zerbrochen in das Grab nachgeworfen wurden!“ Laß doch Alles dahin sein, liebes Kind, sprach Ludwig mit der Ruhe eines Weisen zur Freundin, die von dieser Nachricht auf das Tiefste ergriffen wurde und in Thränen ausbrach; nur keine Thränen um irdische Habe, wahrlich, sie ist so köstlicher Thränen nicht werth, zumal solcher Habe, die Andere besaßen, nicht wir. Auch ich glaube hier nicht an einen Selbstmord, möchte aber auch Niemanden verdächtigen. Wir leben wieder in einer bösen Zeit und können nicht wissen, wie Alles sich gestalten wird. Du bist unwohl und regst dich allzusehr auf, sagte Sophie, die mit Sorge wahrnahm, wie ihn alle diese Nachrichten immer wieder von Neuem erschütterten. — Ja, meine Theure, ich fühle mich in der That unwohl, entgegnete der Graf. Die lange Ruhe hat mich verwöhnt, so Manches stürmt jetzt auf mich ein, so Manches tritt mir nahe, was mich ängstlich und besorgt macht. Dein Schicksal, Sophie — wenn ich dir entrissen würde. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0453" n="449"/> ganz Europa auf sich lenken, denn nach allen Richtungen hin legt die republikanische Propaganda ihre Minen, und schon sind deren in Belgien, Polen, in Italien und in verschiedenen Theilen Deutschlands gesprungen — alle diese Ereignisse, sage ich, werden zurückgedrängt durch eine Begebenheit, welche uns zu allernächst auf das Schmerzlichste berührt und niederbeugt. Den letzten Stamm des Hauses Condé hat der Tod gebrochen, und welch’ ein Tod! — Ein schändlicher, verrätherischer, meuchelmörderischer Tod unter der schwärzesten Maske! Am 29. August dieses Jahres wurde Herzog Louis Henri Joseph von Bourbon, Prinz von Condé, auf seinem Landsitz zu Chantilly am frühen Morgen in seinem Schlafzimmer an einem Fensterkreuz erhängt gefunden, und die Schmach eines Selbstmordes auf sein unschuldiges Haupt gewälzt. Schmerz und Zorn zugleich nehmen mir die Feder aus der Hand — des Herzogs Testament ist eröffnet — lachende Erben nehmen das ungeheure Vermögen in Empfang und die gerechtesten Ansprüche Anderer werden mit Füßen getreten! — O, meine Sophie! Du bleibst, was du bisher gewesen bist, eine arme Waise, meine letzte Hoffnung, dir das Glück des Reichthums noch im irdischen Leben verschaffen zu können, denn drüben bedürfen wir dessen ja nicht, ist zertrümmert, wie Helm und Schild dem Letzten seines Stammes zerbrochen in das Grab nachgeworfen wurden!“ </p> <p>Laß doch Alles dahin sein, liebes Kind, sprach Ludwig mit der Ruhe eines Weisen zur Freundin, die von dieser Nachricht auf das Tiefste ergriffen wurde und in Thränen ausbrach; nur keine Thränen um irdische Habe, wahrlich, sie ist so köstlicher Thränen nicht werth, zumal solcher Habe, die Andere besaßen, nicht wir. Auch ich glaube hier nicht an einen Selbstmord, möchte aber auch Niemanden verdächtigen. Wir leben wieder in einer bösen Zeit und können nicht wissen, wie Alles sich gestalten wird.</p> <p>Du bist unwohl und regst dich allzusehr auf, sagte Sophie, die mit Sorge wahrnahm, wie ihn alle diese Nachrichten immer wieder von Neuem erschütterten. — Ja, meine Theure, ich fühle mich in der That unwohl, entgegnete der Graf. Die lange Ruhe hat mich verwöhnt, so Manches stürmt jetzt auf mich ein, so Manches tritt mir nahe, was mich ängstlich und besorgt macht. Dein Schicksal, Sophie — wenn ich dir entrissen würde.</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [449/0453]
ganz Europa auf sich lenken, denn nach allen Richtungen hin legt die republikanische Propaganda ihre Minen, und schon sind deren in Belgien, Polen, in Italien und in verschiedenen Theilen Deutschlands gesprungen — alle diese Ereignisse, sage ich, werden zurückgedrängt durch eine Begebenheit, welche uns zu allernächst auf das Schmerzlichste berührt und niederbeugt. Den letzten Stamm des Hauses Condé hat der Tod gebrochen, und welch’ ein Tod! — Ein schändlicher, verrätherischer, meuchelmörderischer Tod unter der schwärzesten Maske! Am 29. August dieses Jahres wurde Herzog Louis Henri Joseph von Bourbon, Prinz von Condé, auf seinem Landsitz zu Chantilly am frühen Morgen in seinem Schlafzimmer an einem Fensterkreuz erhängt gefunden, und die Schmach eines Selbstmordes auf sein unschuldiges Haupt gewälzt. Schmerz und Zorn zugleich nehmen mir die Feder aus der Hand — des Herzogs Testament ist eröffnet — lachende Erben nehmen das ungeheure Vermögen in Empfang und die gerechtesten Ansprüche Anderer werden mit Füßen getreten! — O, meine Sophie! Du bleibst, was du bisher gewesen bist, eine arme Waise, meine letzte Hoffnung, dir das Glück des Reichthums noch im irdischen Leben verschaffen zu können, denn drüben bedürfen wir dessen ja nicht, ist zertrümmert, wie Helm und Schild dem Letzten seines Stammes zerbrochen in das Grab nachgeworfen wurden!“
Laß doch Alles dahin sein, liebes Kind, sprach Ludwig mit der Ruhe eines Weisen zur Freundin, die von dieser Nachricht auf das Tiefste ergriffen wurde und in Thränen ausbrach; nur keine Thränen um irdische Habe, wahrlich, sie ist so köstlicher Thränen nicht werth, zumal solcher Habe, die Andere besaßen, nicht wir. Auch ich glaube hier nicht an einen Selbstmord, möchte aber auch Niemanden verdächtigen. Wir leben wieder in einer bösen Zeit und können nicht wissen, wie Alles sich gestalten wird.
Du bist unwohl und regst dich allzusehr auf, sagte Sophie, die mit Sorge wahrnahm, wie ihn alle diese Nachrichten immer wieder von Neuem erschütterten. — Ja, meine Theure, ich fühle mich in der That unwohl, entgegnete der Graf. Die lange Ruhe hat mich verwöhnt, so Manches stürmt jetzt auf mich ein, so Manches tritt mir nahe, was mich ängstlich und besorgt macht. Dein Schicksal, Sophie — wenn ich dir entrissen würde.
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Zitationshilfe: | Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/453>, abgerufen am 23.07.2024. |