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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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Es erben sich Gesetz' und Rechte,
Wie eine ew'ge Krankheit fort;
Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte,
Und rücken sacht von Ort zu Ort.
Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage,
Weh dir, daß du ein Enkel bist!
Vom Rechte, das mit dir geboren ist,
Von dem ist leider! nie die Frage.
so lange wird es auch mit unsern Rechtszuständen nicht besser werden. Und liegt nicht, um das nächste Beispiel aufzugreifen, selbst für mich in diesen Goethe'schen Worten eine unendliche Wahrheit? Sind die Processe im reichsgräflichen Hause nicht eine ewige Krankheit? Rücken sie nicht sacht fort, und wie sacht! Langsam, langsam, wie der Gletscher im Alpenlande, der sich fast unmerklich vorschiebt und im Weiterschreiten rings um sich alles Leben erstarren macht, alle Hoffnung raubt, alle Liebe ertödtet. Ist es nicht naturgemäß und vernünftig, daß der Sohn des Vaters Erbe sei? Aber das stets naturwidrige starre Recht wandelt diese Vernunft in Unsinn, sie knüpft an tausend Clauseln, Formeln und Bedingungen das Erbrecht an, und macht die Söhne der reinsten Liebe zu ausgestoßenen, ja durch die Geburt schon im Mutterschooße gebrandmarkten Bettlern. "Wohlthat wird Plage." Weißt du, daß Hofrath Brünings mir einen Proceß an den Hals werfen wollte wegen des Falken von Kniphausen? Ich sollte mein Recht auf dieses Geschenk der Großmutter sonnenklar documentiren, sollte schwören, daß der Falke rechtlich mein sei, ich sollte mich vor Gericht stellen, sollte in meiner schönen Einsamkeit die ganze Plage der Verhandlungen mit Advocaten haben und durch diese Gabe der unvergeßlichen Frau das centnerschwere Gewicht jener Worte Goethe's empfinden:

Weh dir, daß du ein Enkel bist!

Zum Glück hat mein Vetter, der Reichsgraf, jener diplomatischen dänischen Spinne zu verstehen gegeben, daß sie ein giftiger Kanker ist, und mich in Ruhe lassen solle, zumal ich ja ohnehin auf das Recht verzichte, "das mit mir geboren ist" .

Du wolltest mir längst Ursache und Ursprung jener Streitigkeiten mittheilen, lieber Ludwig, sprach Sophie: welche seit so langer Zeit in deiner Familie erblich sind. Nicht, daß ich neugierig darnach fragen

Es erben sich Gesetz’ und Rechte,
Wie eine ew’ge Krankheit fort;
Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte,
Und rücken sacht von Ort zu Ort.
Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage,
Weh dir, daß du ein Enkel bist!
Vom Rechte, das mit dir geboren ist,
Von dem ist leider! nie die Frage.
so lange wird es auch mit unsern Rechtszuständen nicht besser werden. Und liegt nicht, um das nächste Beispiel aufzugreifen, selbst für mich in diesen Goethe’schen Worten eine unendliche Wahrheit? Sind die Processe im reichsgräflichen Hause nicht eine ewige Krankheit? Rücken sie nicht sacht fort, und wie sacht! Langsam, langsam, wie der Gletscher im Alpenlande, der sich fast unmerklich vorschiebt und im Weiterschreiten rings um sich alles Leben erstarren macht, alle Hoffnung raubt, alle Liebe ertödtet. Ist es nicht naturgemäß und vernünftig, daß der Sohn des Vaters Erbe sei? Aber das stets naturwidrige starre Recht wandelt diese Vernunft in Unsinn, sie knüpft an tausend Clauseln, Formeln und Bedingungen das Erbrecht an, und macht die Söhne der reinsten Liebe zu ausgestoßenen, ja durch die Geburt schon im Mutterschooße gebrandmarkten Bettlern. „Wohlthat wird Plage.“ Weißt du, daß Hofrath Brünings mir einen Proceß an den Hals werfen wollte wegen des Falken von Kniphausen? Ich sollte mein Recht auf dieses Geschenk der Großmutter sonnenklar documentiren, sollte schwören, daß der Falke rechtlich mein sei, ich sollte mich vor Gericht stellen, sollte in meiner schönen Einsamkeit die ganze Plage der Verhandlungen mit Advocaten haben und durch diese Gabe der unvergeßlichen Frau das centnerschwere Gewicht jener Worte Goethe’s empfinden:

Weh dir, daß du ein Enkel bist!

Zum Glück hat mein Vetter, der Reichsgraf, jener diplomatischen dänischen Spinne zu verstehen gegeben, daß sie ein giftiger Kanker ist, und mich in Ruhe lassen solle, zumal ich ja ohnehin auf das Recht verzichte, „das mit mir geboren ist“ .

Du wolltest mir längst Ursache und Ursprung jener Streitigkeiten mittheilen, lieber Ludwig, sprach Sophie: welche seit so langer Zeit in deiner Familie erblich sind. Nicht, daß ich neugierig darnach fragen

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[436/0440] Es erben sich Gesetz’ und Rechte, Wie eine ew’ge Krankheit fort; Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte, Und rücken sacht von Ort zu Ort. Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage, Weh dir, daß du ein Enkel bist! Vom Rechte, das mit dir geboren ist, Von dem ist leider! nie die Frage. so lange wird es auch mit unsern Rechtszuständen nicht besser werden. Und liegt nicht, um das nächste Beispiel aufzugreifen, selbst für mich in diesen Goethe’schen Worten eine unendliche Wahrheit? Sind die Processe im reichsgräflichen Hause nicht eine ewige Krankheit? Rücken sie nicht sacht fort, und wie sacht! Langsam, langsam, wie der Gletscher im Alpenlande, der sich fast unmerklich vorschiebt und im Weiterschreiten rings um sich alles Leben erstarren macht, alle Hoffnung raubt, alle Liebe ertödtet. Ist es nicht naturgemäß und vernünftig, daß der Sohn des Vaters Erbe sei? Aber das stets naturwidrige starre Recht wandelt diese Vernunft in Unsinn, sie knüpft an tausend Clauseln, Formeln und Bedingungen das Erbrecht an, und macht die Söhne der reinsten Liebe zu ausgestoßenen, ja durch die Geburt schon im Mutterschooße gebrandmarkten Bettlern. „Wohlthat wird Plage.“ Weißt du, daß Hofrath Brünings mir einen Proceß an den Hals werfen wollte wegen des Falken von Kniphausen? Ich sollte mein Recht auf dieses Geschenk der Großmutter sonnenklar documentiren, sollte schwören, daß der Falke rechtlich mein sei, ich sollte mich vor Gericht stellen, sollte in meiner schönen Einsamkeit die ganze Plage der Verhandlungen mit Advocaten haben und durch diese Gabe der unvergeßlichen Frau das centnerschwere Gewicht jener Worte Goethe’s empfinden: Weh dir, daß du ein Enkel bist! Zum Glück hat mein Vetter, der Reichsgraf, jener diplomatischen dänischen Spinne zu verstehen gegeben, daß sie ein giftiger Kanker ist, und mich in Ruhe lassen solle, zumal ich ja ohnehin auf das Recht verzichte, „das mit mir geboren ist“ . Du wolltest mir längst Ursache und Ursprung jener Streitigkeiten mittheilen, lieber Ludwig, sprach Sophie: welche seit so langer Zeit in deiner Familie erblich sind. Nicht, daß ich neugierig darnach fragen

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/440>, abgerufen am 23.11.2024.