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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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Schiffe. Aber ich hörte auch im Getümmel des Sturmes die Nachricht, daß es todt sei, jenes arme Kind, ja todt -- todt!"

"Vor meiner Seele tagte es furchtbar, ich hatte das fremde Kind gerettet, mein Leonardus war todt, Beide waren in jener schrecklichen Stunde, wo uns Müttern die Kinder mehrmals aus den Armen stürzten, verwechselt worden."

"Dieser Gedanke schnitt mir wie ein Messer durch die Seele, aber ich machte mich stark, sprach ihn nicht aus, sondern liebte das fremde Kind wie mein eigenes und dachte, Gott der Herr hat es mir gegeben. Nun entsann ich mich auch, daß jener Sohn der fremden Gräfin William hieß, diesen William hatte ich; und du, mein geliebter Leonardus, bist dieser William, bist ein geborner Graf und Herr von Varel und Kniphausen."

Wunder! Wunder über alle Wunder! rief Ludwig aus und sprang von seinem Sitz empor. Hörst du es, theure Sophie? So sprach die Stimme der Natur in Leonardus und in mir stark und mächtig als wir zum Erstenmale uns auf der "vergulden Rose" sahen.

Ich verstehe dich nicht, lieber Ludwig! erwiederte Sophie, die den Zusammenhang noch nicht zu fassen vermochte, sonderbar bewegt.

Leonardus, erwiederte der Graf bebend, Leonardus war, wenn auch von einer anderen Mutter, meines Vaters Sohn, war mein leiblicher Bruder! Doch lesen wir weiter.

"Wohl machte mein Gewissen mir bisweilen Vorwürfe, daß ich ein Kind bei mir behielt, welches nicht mein war, allein ich fand auch Gegengründe, mit denen ich die innere Stimme wieder beschwichtigte. Wäre die Verwechselung gleich entdeckt worden, ehe ich so schwer erkrankte, so konnten die nöthigen Schritte geschehen. Aber nun, mein Mann war ganz glücklich, einen Erben zu haben, und sein Sohn war ja doch todt. Jene Frau hat nun ihren Schmerz um ihr vermeintliches todtes Kind überwunden, dachte ich, und ich selbst hatte im Stillen diesem meinem Kinde viel herbe Thränen nachgeweint, aber dafür das mir angeeignete fremde Kind, dich, mein Leonardus, um so lieber gewonnen. Sollte ich nun durch ein so spätes Eingeständniß meinen geliebten Mann erzürnen und betrüben, sollte ich nun noch den Schmerz tragen, mich von dem Kinde zu trennen? Ich entdeckte mich bei diesen Zweifelqualen endlich meinem Beichtvater und

Schiffe. Aber ich hörte auch im Getümmel des Sturmes die Nachricht, daß es todt sei, jenes arme Kind, ja todt — todt!“

„Vor meiner Seele tagte es furchtbar, ich hatte das fremde Kind gerettet, mein Leonardus war todt, Beide waren in jener schrecklichen Stunde, wo uns Müttern die Kinder mehrmals aus den Armen stürzten, verwechselt worden.“

„Dieser Gedanke schnitt mir wie ein Messer durch die Seele, aber ich machte mich stark, sprach ihn nicht aus, sondern liebte das fremde Kind wie mein eigenes und dachte, Gott der Herr hat es mir gegeben. Nun entsann ich mich auch, daß jener Sohn der fremden Gräfin William hieß, diesen William hatte ich; und du, mein geliebter Leonardus, bist dieser William, bist ein geborner Graf und Herr von Varel und Kniphausen.“

Wunder! Wunder über alle Wunder! rief Ludwig aus und sprang von seinem Sitz empor. Hörst du es, theure Sophie? So sprach die Stimme der Natur in Leonardus und in mir stark und mächtig als wir zum Erstenmale uns auf der „vergulden Rose“ sahen.

Ich verstehe dich nicht, lieber Ludwig! erwiederte Sophie, die den Zusammenhang noch nicht zu fassen vermochte, sonderbar bewegt.

Leonardus, erwiederte der Graf bebend, Leonardus war, wenn auch von einer anderen Mutter, meines Vaters Sohn, war mein leiblicher Bruder! Doch lesen wir weiter.

„Wohl machte mein Gewissen mir bisweilen Vorwürfe, daß ich ein Kind bei mir behielt, welches nicht mein war, allein ich fand auch Gegengründe, mit denen ich die innere Stimme wieder beschwichtigte. Wäre die Verwechselung gleich entdeckt worden, ehe ich so schwer erkrankte, so konnten die nöthigen Schritte geschehen. Aber nun, mein Mann war ganz glücklich, einen Erben zu haben, und sein Sohn war ja doch todt. Jene Frau hat nun ihren Schmerz um ihr vermeintliches todtes Kind überwunden, dachte ich, und ich selbst hatte im Stillen diesem meinem Kinde viel herbe Thränen nachgeweint, aber dafür das mir angeeignete fremde Kind, dich, mein Leonardus, um so lieber gewonnen. Sollte ich nun durch ein so spätes Eingeständniß meinen geliebten Mann erzürnen und betrüben, sollte ich nun noch den Schmerz tragen, mich von dem Kinde zu trennen? Ich entdeckte mich bei diesen Zweifelqualen endlich meinem Beichtvater und

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[425/0429] Schiffe. Aber ich hörte auch im Getümmel des Sturmes die Nachricht, daß es todt sei, jenes arme Kind, ja todt — todt!“ „Vor meiner Seele tagte es furchtbar, ich hatte das fremde Kind gerettet, mein Leonardus war todt, Beide waren in jener schrecklichen Stunde, wo uns Müttern die Kinder mehrmals aus den Armen stürzten, verwechselt worden.“ „Dieser Gedanke schnitt mir wie ein Messer durch die Seele, aber ich machte mich stark, sprach ihn nicht aus, sondern liebte das fremde Kind wie mein eigenes und dachte, Gott der Herr hat es mir gegeben. Nun entsann ich mich auch, daß jener Sohn der fremden Gräfin William hieß, diesen William hatte ich; und du, mein geliebter Leonardus, bist dieser William, bist ein geborner Graf und Herr von Varel und Kniphausen.“ Wunder! Wunder über alle Wunder! rief Ludwig aus und sprang von seinem Sitz empor. Hörst du es, theure Sophie? So sprach die Stimme der Natur in Leonardus und in mir stark und mächtig als wir zum Erstenmale uns auf der „vergulden Rose“ sahen. Ich verstehe dich nicht, lieber Ludwig! erwiederte Sophie, die den Zusammenhang noch nicht zu fassen vermochte, sonderbar bewegt. Leonardus, erwiederte der Graf bebend, Leonardus war, wenn auch von einer anderen Mutter, meines Vaters Sohn, war mein leiblicher Bruder! Doch lesen wir weiter. „Wohl machte mein Gewissen mir bisweilen Vorwürfe, daß ich ein Kind bei mir behielt, welches nicht mein war, allein ich fand auch Gegengründe, mit denen ich die innere Stimme wieder beschwichtigte. Wäre die Verwechselung gleich entdeckt worden, ehe ich so schwer erkrankte, so konnten die nöthigen Schritte geschehen. Aber nun, mein Mann war ganz glücklich, einen Erben zu haben, und sein Sohn war ja doch todt. Jene Frau hat nun ihren Schmerz um ihr vermeintliches todtes Kind überwunden, dachte ich, und ich selbst hatte im Stillen diesem meinem Kinde viel herbe Thränen nachgeweint, aber dafür das mir angeeignete fremde Kind, dich, mein Leonardus, um so lieber gewonnen. Sollte ich nun durch ein so spätes Eingeständniß meinen geliebten Mann erzürnen und betrüben, sollte ich nun noch den Schmerz tragen, mich von dem Kinde zu trennen? Ich entdeckte mich bei diesen Zweifelqualen endlich meinem Beichtvater und

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/429>, abgerufen am 22.11.2024.