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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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und es gewährte ihnen manchen heitern Zeitvertreib, sich die Abenteuerlichkeiten erzählen zu lassen, die über sie im Mund der Leute umgingen.

Mit Hülfe der Zeitungen, deren der Graf mehrere hielt, blieb er im steten Verkehr mit der Außenwelt, während sie Ludwig zugleich ein Mittel boten, Sophien in mannichfaltiger Weise zu unterhalten und zu belehren. Beim Thee, den sie selbst mit vieler Anmuth bereitete, las er ihr vor, oder er erzählte ihr aus seiner Kindheit und Jugend, aus dem Leben der Großmutter, aus der Geschichte seines Hauses, von seinem Aufenthalt in England, so daß keine Stunde der Langeweile die junge lebhafte Prinzessin beschlich. Graf Ludwig verstand es, den so häufig trocknen Ton der Zeitblätter zu würzen und sie mit vielem Humor zu erläutern. Die Zeit war schwer, viel Gutes brachten die Zeitungen nicht; auf Deutschland drückte lähmend wie ein Alp Napoleons Herrschaft. Jede freie Aeußerung, welche deutschen Sinn athmete, wurde unterdrückt, und deutscher Vaterlandsliebe drohten Fesseln und Kerker. Da mußten die einsamen ganz auf sich beschränkten Fremden in der kleinen Stadt noch zu einem andern Mittel greifen, um die Stunden zu verkürzen und das Leben zu weihen, und dieses Mittel bot ihnen die Poesie. Mit Entzücken nahm Sophie den Geist deutscher Dichtung auf, mit Begeisterung führte sie der Freund in die schöne Literatur ein.

Mit den Zeitungen über die trübe Zeit brachte Philipp eines Tags auch einen Brief, der das Poststempel London trug. Ludwig erschrak beim Anblick des Trauersiegels, er ging hastig in ein Nebenzimmer, zitternd öffnete er -- ach, schon sagte sein Herz ihm Alles!

Meine Mutter! O meine schöne, edle, liebe Mutter! war Alles, was er in seinem Schmerze hervorbringen konnte und laut weinend warf er sich auf's Sopha.

Sophie eilte herbei, sein Anblick erschreckte sie auf's Heftigste und bestürzt rief sie aus: Was ist Ihnen, theurer Freund? Darf ich Ihren Schmerz nicht theilen? O, sagen Sie mir, welche Schreckenskunde Sie so tief erschüttert?

Ach, meine Mutter! seufzte Ludwig: oder doch zum Mindesten geliebt von mir wie eine Mutter! Lesen Sie, theure Sophie, am dreißigsten März, neun und vierzig Jahre alt, und welche Frau!

Aus Ihrem Schmerz entnehme ich die Größe Ihres Verlustes!

und es gewährte ihnen manchen heitern Zeitvertreib, sich die Abenteuerlichkeiten erzählen zu lassen, die über sie im Mund der Leute umgingen.

Mit Hülfe der Zeitungen, deren der Graf mehrere hielt, blieb er im steten Verkehr mit der Außenwelt, während sie Ludwig zugleich ein Mittel boten, Sophien in mannichfaltiger Weise zu unterhalten und zu belehren. Beim Thee, den sie selbst mit vieler Anmuth bereitete, las er ihr vor, oder er erzählte ihr aus seiner Kindheit und Jugend, aus dem Leben der Großmutter, aus der Geschichte seines Hauses, von seinem Aufenthalt in England, so daß keine Stunde der Langeweile die junge lebhafte Prinzessin beschlich. Graf Ludwig verstand es, den so häufig trocknen Ton der Zeitblätter zu würzen und sie mit vielem Humor zu erläutern. Die Zeit war schwer, viel Gutes brachten die Zeitungen nicht; auf Deutschland drückte lähmend wie ein Alp Napoleons Herrschaft. Jede freie Aeußerung, welche deutschen Sinn athmete, wurde unterdrückt, und deutscher Vaterlandsliebe drohten Fesseln und Kerker. Da mußten die einsamen ganz auf sich beschränkten Fremden in der kleinen Stadt noch zu einem andern Mittel greifen, um die Stunden zu verkürzen und das Leben zu weihen, und dieses Mittel bot ihnen die Poesie. Mit Entzücken nahm Sophie den Geist deutscher Dichtung auf, mit Begeisterung führte sie der Freund in die schöne Literatur ein.

Mit den Zeitungen über die trübe Zeit brachte Philipp eines Tags auch einen Brief, der das Poststempel London trug. Ludwig erschrak beim Anblick des Trauersiegels, er ging hastig in ein Nebenzimmer, zitternd öffnete er — ach, schon sagte sein Herz ihm Alles!

Meine Mutter! O meine schöne, edle, liebe Mutter! war Alles, was er in seinem Schmerze hervorbringen konnte und laut weinend warf er sich auf’s Sopha.

Sophie eilte herbei, sein Anblick erschreckte sie auf’s Heftigste und bestürzt rief sie aus: Was ist Ihnen, theurer Freund? Darf ich Ihren Schmerz nicht theilen? O, sagen Sie mir, welche Schreckenskunde Sie so tief erschüttert?

Ach, meine Mutter! seufzte Ludwig: oder doch zum Mindesten geliebt von mir wie eine Mutter! Lesen Sie, theure Sophie, am dreißigsten März, neun und vierzig Jahre alt, und welche Frau!

Aus Ihrem Schmerz entnehme ich die Größe Ihres Verlustes!

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[415/0419] und es gewährte ihnen manchen heitern Zeitvertreib, sich die Abenteuerlichkeiten erzählen zu lassen, die über sie im Mund der Leute umgingen. Mit Hülfe der Zeitungen, deren der Graf mehrere hielt, blieb er im steten Verkehr mit der Außenwelt, während sie Ludwig zugleich ein Mittel boten, Sophien in mannichfaltiger Weise zu unterhalten und zu belehren. Beim Thee, den sie selbst mit vieler Anmuth bereitete, las er ihr vor, oder er erzählte ihr aus seiner Kindheit und Jugend, aus dem Leben der Großmutter, aus der Geschichte seines Hauses, von seinem Aufenthalt in England, so daß keine Stunde der Langeweile die junge lebhafte Prinzessin beschlich. Graf Ludwig verstand es, den so häufig trocknen Ton der Zeitblätter zu würzen und sie mit vielem Humor zu erläutern. Die Zeit war schwer, viel Gutes brachten die Zeitungen nicht; auf Deutschland drückte lähmend wie ein Alp Napoleons Herrschaft. Jede freie Aeußerung, welche deutschen Sinn athmete, wurde unterdrückt, und deutscher Vaterlandsliebe drohten Fesseln und Kerker. Da mußten die einsamen ganz auf sich beschränkten Fremden in der kleinen Stadt noch zu einem andern Mittel greifen, um die Stunden zu verkürzen und das Leben zu weihen, und dieses Mittel bot ihnen die Poesie. Mit Entzücken nahm Sophie den Geist deutscher Dichtung auf, mit Begeisterung führte sie der Freund in die schöne Literatur ein. Mit den Zeitungen über die trübe Zeit brachte Philipp eines Tags auch einen Brief, der das Poststempel London trug. Ludwig erschrak beim Anblick des Trauersiegels, er ging hastig in ein Nebenzimmer, zitternd öffnete er — ach, schon sagte sein Herz ihm Alles! Meine Mutter! O meine schöne, edle, liebe Mutter! war Alles, was er in seinem Schmerze hervorbringen konnte und laut weinend warf er sich auf’s Sopha. Sophie eilte herbei, sein Anblick erschreckte sie auf’s Heftigste und bestürzt rief sie aus: Was ist Ihnen, theurer Freund? Darf ich Ihren Schmerz nicht theilen? O, sagen Sie mir, welche Schreckenskunde Sie so tief erschüttert? Ach, meine Mutter! seufzte Ludwig: oder doch zum Mindesten geliebt von mir wie eine Mutter! Lesen Sie, theure Sophie, am dreißigsten März, neun und vierzig Jahre alt, und welche Frau! Aus Ihrem Schmerz entnehme ich die Größe Ihres Verlustes!

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/419>, abgerufen am 26.11.2024.