Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.Die Prinzessin blickte mit Antheil auf das Bild von Doorwerth. Dann führte die Kammerfrau die Kleine weg, um ihr in den anstoßenden Sälen noch andere schöne und werthvolle Dinge zu zeigen, während die Reichsgräfin mit der Prinzessin allein blieb, um mit dieser Wichtiges zu besprechen, was keine Zeugen litt. Als diese später mit dem Kinde die Reichsgräfin wieder verließ, beide in dichte Schleier gehüllt und von Windt nach dem Gasthof geleitet, verbarg die Prinzessin mit Mühe eine heftige Bewegung; erst als sie sich mit Sophie allein in ihrem Zimmer sah, umarmte sie mit Ungestüm die holde Tochter, küßte sie auf die Stirne und rief: Gott segne dich, Gott segne und erfülle, was in dieser Stunde über deine Zukunft beschlossen ward! Es war am 4. Februar des Jahres 1800. Charlotte Sophie sollte die Sonne eines neuen, kommenden Jahrhunderts nicht mehr sehen. Graf Ludwig kniete an ihrem Sterbebette, noch einmal lag ihre erkaltende Hand segnend auf seinem Haupt; die Reichsgräfin endete ruhig und ernst, als ihre Seele entflohen war, glich ihr Antlitz dem Marmorbild einer Olympierin. -- Bei der mit ihm trauernden Anges verlieh Ludwig seinem tiefen Schmerz über das Weh, das ihn hier doppelt berührt, Worte, indem er sprach: Wieder eine Seele weniger auf Erden, die für mich betet. Wäre ich Katholik, so würde ich sagen, meine Lieben werden alle zu Heiligen, um droben für mich zu bitten. Aber was bleibt mir, wenn Alle, die ich liebe und ehre, von hinnen ziehn? Immer bleibt dir, mein Freund, entgegnete Anges: die Thatkraft und die allbelebende Hoffnung. Du wirst noch mehr des Schmerzlichen erleben und dich dennoch aufrecht halten müssen. Das sagte mir die Großmutter auch, in der letzten Stunde, versetzte der Graf; als ihr vom Tode erhelltes Auge prophetisch in die Zukunft blickte. Streit und Zwietracht wird sein, sprach sie: unter den Völkern, unter den Herrschern der Welt, Streit und Zwietracht auch im Schooß der Familien. Dein Name wird nicht in meinem Testamente stehen, mein Ludwig, damit nicht der Haß gegen dich aufgestachelt werde. Dein Bruder soll nicht wissen, daß er dein Bruder ist, denn es steht geschrieben, daß ein Bruder wider den Die Prinzessin blickte mit Antheil auf das Bild von Doorwerth. Dann führte die Kammerfrau die Kleine weg, um ihr in den anstoßenden Sälen noch andere schöne und werthvolle Dinge zu zeigen, während die Reichsgräfin mit der Prinzessin allein blieb, um mit dieser Wichtiges zu besprechen, was keine Zeugen litt. Als diese später mit dem Kinde die Reichsgräfin wieder verließ, beide in dichte Schleier gehüllt und von Windt nach dem Gasthof geleitet, verbarg die Prinzessin mit Mühe eine heftige Bewegung; erst als sie sich mit Sophie allein in ihrem Zimmer sah, umarmte sie mit Ungestüm die holde Tochter, küßte sie auf die Stirne und rief: Gott segne dich, Gott segne und erfülle, was in dieser Stunde über deine Zukunft beschlossen ward! Es war am 4. Februar des Jahres 1800. Charlotte Sophie sollte die Sonne eines neuen, kommenden Jahrhunderts nicht mehr sehen. Graf Ludwig kniete an ihrem Sterbebette, noch einmal lag ihre erkaltende Hand segnend auf seinem Haupt; die Reichsgräfin endete ruhig und ernst, als ihre Seele entflohen war, glich ihr Antlitz dem Marmorbild einer Olympierin. — Bei der mit ihm trauernden Angés verlieh Ludwig seinem tiefen Schmerz über das Weh, das ihn hier doppelt berührt, Worte, indem er sprach: Wieder eine Seele weniger auf Erden, die für mich betet. Wäre ich Katholik, so würde ich sagen, meine Lieben werden alle zu Heiligen, um droben für mich zu bitten. Aber was bleibt mir, wenn Alle, die ich liebe und ehre, von hinnen ziehn? Immer bleibt dir, mein Freund, entgegnete Angés: die Thatkraft und die allbelebende Hoffnung. Du wirst noch mehr des Schmerzlichen erleben und dich dennoch aufrecht halten müssen. Das sagte mir die Großmutter auch, in der letzten Stunde, versetzte der Graf; als ihr vom Tode erhelltes Auge prophetisch in die Zukunft blickte. Streit und Zwietracht wird sein, sprach sie: unter den Völkern, unter den Herrschern der Welt, Streit und Zwietracht auch im Schooß der Familien. Dein Name wird nicht in meinem Testamente stehen, mein Ludwig, damit nicht der Haß gegen dich aufgestachelt werde. 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Die Prinzessin blickte mit Antheil auf das Bild von Doorwerth. Dann führte die Kammerfrau die Kleine weg, um ihr in den anstoßenden Sälen noch andere schöne und werthvolle Dinge zu zeigen, während die Reichsgräfin mit der Prinzessin allein blieb, um mit dieser Wichtiges zu besprechen, was keine Zeugen litt.
Als diese später mit dem Kinde die Reichsgräfin wieder verließ, beide in dichte Schleier gehüllt und von Windt nach dem Gasthof geleitet, verbarg die Prinzessin mit Mühe eine heftige Bewegung; erst als sie sich mit Sophie allein in ihrem Zimmer sah, umarmte sie mit Ungestüm die holde Tochter, küßte sie auf die Stirne und rief: Gott segne dich, Gott segne und erfülle, was in dieser Stunde über deine Zukunft beschlossen ward!
Es war am 4. Februar des Jahres 1800. Charlotte Sophie sollte die Sonne eines neuen, kommenden Jahrhunderts nicht mehr sehen.
Graf Ludwig kniete an ihrem Sterbebette, noch einmal lag ihre erkaltende Hand segnend auf seinem Haupt; die Reichsgräfin endete ruhig und ernst, als ihre Seele entflohen war, glich ihr Antlitz dem Marmorbild einer Olympierin. —
Bei der mit ihm trauernden Angés verlieh Ludwig seinem tiefen Schmerz über das Weh, das ihn hier doppelt berührt, Worte, indem er sprach: Wieder eine Seele weniger auf Erden, die für mich betet. Wäre ich Katholik, so würde ich sagen, meine Lieben werden alle zu Heiligen, um droben für mich zu bitten. Aber was bleibt mir, wenn Alle, die ich liebe und ehre, von hinnen ziehn?
Immer bleibt dir, mein Freund, entgegnete Angés: die Thatkraft und die allbelebende Hoffnung. Du wirst noch mehr des Schmerzlichen erleben und dich dennoch aufrecht halten müssen.
Das sagte mir die Großmutter auch, in der letzten Stunde, versetzte der Graf; als ihr vom Tode erhelltes Auge prophetisch in die Zukunft blickte. Streit und Zwietracht wird sein, sprach sie: unter den Völkern, unter den Herrschern der Welt, Streit und Zwietracht auch im Schooß der Familien. Dein Name wird nicht in meinem Testamente stehen, mein Ludwig, damit nicht der Haß gegen dich aufgestachelt werde. Dein Bruder soll nicht wissen, daß er dein Bruder ist, denn es steht geschrieben, daß ein Bruder wider den
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Zitationshilfe: | Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/362>, abgerufen am 16.02.2025. |