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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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schenke, steckt bereits im Innern des Vogels. Trinke dich gesund daraus, drink all ut!

Die Reichsgräfin entließ ihren Enkel, das Wiedersehen und das Sprechen griffen sie an. Ihre starke Natur aber erlag dieser Aufregung dennoch nicht, vielmehr schlief sie ruhiger und anhaltender, wie seit lange.

Am folgenden Tage fühlte sich die Kranke merklich besser; es war als ob der Anblick desjenigen ihrer Enkel, der ihrem Herzen von seiner frühen Jugend an am Nächsten stand, der gleichsam ihr Eigenthum geworden war, sie neu belebt habe, und sie sandte bei guter Zeit nach Ludwig, damit er ihr von seinen bisherigen Schicksalen erzählen möge. Dies that denn auch der Graf ausführlich; die Alte hörte schweigend zu und blieb ganz ruhig, dann sagte sie: Bitte, mein gutes Kind, bitte die Prinzessin Hoheit, mir die Ehre ihres Besuches nur auf eine Viertelstunde zu schenken, sie wird mir dies nicht abschlagen, denn sie hat mir immer, als ihr Haus noch gute Tage sah, viele Zuneigung erwiesen. Was ich ihr zu sagen habe ist wichtig. Sie wird auch schon deshalb auf meinen Wunsch eingehen, weil ich ihren Angehörigen Gutes erzeigte.

Theuerste Großmutter, entgegnete darauf Ludwig: Ihr Wunsch kommt der Bitte jener hohen Frau zuvor, sie hat auf der ganzen Hieherreise von Sanct Petersburg nach Hamburg sich darauf gefreut, Sie wieder zu sehen, Ihnen das Kind zuzuführen.

Ihr Kind? fragte die Reichsgräfin.

Nicht vor dem Auge der Welt, vor dem Ihren aber unverschleiert, war Ludwig's Antwort.

Ist das hohe Paar nicht vermählt? forschte die Reichsgräfin weiter.

Wohl sind sie vermählt, diese einander so heiß und feurig liebenden Herzen, ich selbst war Zeuge, es geschah nach der Ankunft Seiner königlichen Hoheit des Herzogs in Petersburg in stiller Abendzeit, in einer katholischen Kapelle, wo auch das Kind die Weihe der Firmung empfing. Aber sie haben beschlossen, ihre Vermählung noch als ein Geheimniß zu bewahren, bis zu einer günstigeren Zeit, bis die beiderseitigen Verhältnisse sie sicherer stellen, und es sollen die nächsten Angehörigen nicht mehr erfahren, als was sie bereits wissen, daß nämlich der Herzog und die Prinzessin einander in untrennbarer

schenke, steckt bereits im Innern des Vogels. Trinke dich gesund daraus, drink all ut!

Die Reichsgräfin entließ ihren Enkel, das Wiedersehen und das Sprechen griffen sie an. Ihre starke Natur aber erlag dieser Aufregung dennoch nicht, vielmehr schlief sie ruhiger und anhaltender, wie seit lange.

Am folgenden Tage fühlte sich die Kranke merklich besser; es war als ob der Anblick desjenigen ihrer Enkel, der ihrem Herzen von seiner frühen Jugend an am Nächsten stand, der gleichsam ihr Eigenthum geworden war, sie neu belebt habe, und sie sandte bei guter Zeit nach Ludwig, damit er ihr von seinen bisherigen Schicksalen erzählen möge. Dies that denn auch der Graf ausführlich; die Alte hörte schweigend zu und blieb ganz ruhig, dann sagte sie: Bitte, mein gutes Kind, bitte die Prinzessin Hoheit, mir die Ehre ihres Besuches nur auf eine Viertelstunde zu schenken, sie wird mir dies nicht abschlagen, denn sie hat mir immer, als ihr Haus noch gute Tage sah, viele Zuneigung erwiesen. Was ich ihr zu sagen habe ist wichtig. Sie wird auch schon deshalb auf meinen Wunsch eingehen, weil ich ihren Angehörigen Gutes erzeigte.

Theuerste Großmutter, entgegnete darauf Ludwig: Ihr Wunsch kommt der Bitte jener hohen Frau zuvor, sie hat auf der ganzen Hieherreise von Sanct Petersburg nach Hamburg sich darauf gefreut, Sie wieder zu sehen, Ihnen das Kind zuzuführen.

Ihr Kind? fragte die Reichsgräfin.

Nicht vor dem Auge der Welt, vor dem Ihren aber unverschleiert, war Ludwig’s Antwort.

Ist das hohe Paar nicht vermählt? forschte die Reichsgräfin weiter.

Wohl sind sie vermählt, diese einander so heiß und feurig liebenden Herzen, ich selbst war Zeuge, es geschah nach der Ankunft Seiner königlichen Hoheit des Herzogs in Petersburg in stiller Abendzeit, in einer katholischen Kapelle, wo auch das Kind die Weihe der Firmung empfing. Aber sie haben beschlossen, ihre Vermählung noch als ein Geheimniß zu bewahren, bis zu einer günstigeren Zeit, bis die beiderseitigen Verhältnisse sie sicherer stellen, und es sollen die nächsten Angehörigen nicht mehr erfahren, als was sie bereits wissen, daß nämlich der Herzog und die Prinzessin einander in untrennbarer

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[356/0360] schenke, steckt bereits im Innern des Vogels. Trinke dich gesund daraus, drink all ut! Die Reichsgräfin entließ ihren Enkel, das Wiedersehen und das Sprechen griffen sie an. Ihre starke Natur aber erlag dieser Aufregung dennoch nicht, vielmehr schlief sie ruhiger und anhaltender, wie seit lange. Am folgenden Tage fühlte sich die Kranke merklich besser; es war als ob der Anblick desjenigen ihrer Enkel, der ihrem Herzen von seiner frühen Jugend an am Nächsten stand, der gleichsam ihr Eigenthum geworden war, sie neu belebt habe, und sie sandte bei guter Zeit nach Ludwig, damit er ihr von seinen bisherigen Schicksalen erzählen möge. Dies that denn auch der Graf ausführlich; die Alte hörte schweigend zu und blieb ganz ruhig, dann sagte sie: Bitte, mein gutes Kind, bitte die Prinzessin Hoheit, mir die Ehre ihres Besuches nur auf eine Viertelstunde zu schenken, sie wird mir dies nicht abschlagen, denn sie hat mir immer, als ihr Haus noch gute Tage sah, viele Zuneigung erwiesen. Was ich ihr zu sagen habe ist wichtig. Sie wird auch schon deshalb auf meinen Wunsch eingehen, weil ich ihren Angehörigen Gutes erzeigte. Theuerste Großmutter, entgegnete darauf Ludwig: Ihr Wunsch kommt der Bitte jener hohen Frau zuvor, sie hat auf der ganzen Hieherreise von Sanct Petersburg nach Hamburg sich darauf gefreut, Sie wieder zu sehen, Ihnen das Kind zuzuführen. Ihr Kind? fragte die Reichsgräfin. Nicht vor dem Auge der Welt, vor dem Ihren aber unverschleiert, war Ludwig’s Antwort. Ist das hohe Paar nicht vermählt? forschte die Reichsgräfin weiter. Wohl sind sie vermählt, diese einander so heiß und feurig liebenden Herzen, ich selbst war Zeuge, es geschah nach der Ankunft Seiner königlichen Hoheit des Herzogs in Petersburg in stiller Abendzeit, in einer katholischen Kapelle, wo auch das Kind die Weihe der Firmung empfing. Aber sie haben beschlossen, ihre Vermählung noch als ein Geheimniß zu bewahren, bis zu einer günstigeren Zeit, bis die beiderseitigen Verhältnisse sie sicherer stellen, und es sollen die nächsten Angehörigen nicht mehr erfahren, als was sie bereits wissen, daß nämlich der Herzog und die Prinzessin einander in untrennbarer

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/360>, abgerufen am 25.11.2024.