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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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Kaisers Paul von Rußland von der Coalition, bestimmten den Herzog, auf den Schutz, den das Theuerste, was er besaß, in Petersburg bisher genossen hatte, zu verzichten, er gab Weisungen, daß die Frauen und ihre Dienerschaft sich in eine deutsche Stadt, die unbedroht vom Kriege war, begeben sollten. Da der Rath des freundlichen Geleiters, den man als einen weitläufigen Verwandten durch seine mütterliche Abstammung betrachtete und ihm volles Vertrauen schenkte, von der Prinzessin erbeten wurde, so schlug Graf Ludwig Hamburg vor, nicht nur, weil er selbst sich wieder nach Deutschland zurück und in eine bekannte Gegend sehnte, sondern auch, weil er die Ueberzeugung hatte, daß die Prinzessin dort ganz nach ihren Wünschen zurückgezogen und in völliger Freiheit leben könne, während bei aller Aufmerksamkeit, die man ihr erwies, das Leben am russischen Hofe ihr doch auf die Dauer drückend geworden war.

Im Verhältniß Ludwig's zu Anges hatte sich Nichts geändert; es war und blieb wie es von je gewesen, eine auf die höchste gegenseitige Achtung sich gründende, reinste Freundschaft. Zart und schonend hatte ihr endlich Ludwig des Freundes Ableben mitgetheilt, viele Thränen waren noch gemeinschaftlich um Leonardus geflossen; Ludwig hatte des Freundes Miniaturbild und die Bilder von vier Frauen, die er alle aus der Erinnerung gemalt und mit vielem Glück getroffen, der Freundin anvertraut. Es war das Bild der treuen Großmutter, der herrlichen Mutter, es war das Bild der reizenden Ottoline und jenes der lieblichen Anges, es war der Kranz von Bildern edler Menschen, die alle tiefen, wunderbaren und unvergänglichen Eindruck auf sein Herz gemacht hatten, jede einzelne Persönlichkeit auf verschiedene Weise, und alle einig in dem Bestreben, ihn zu beglücken. Ottoline hatte ihn freilich so wenig mit reichen Gaben bedenken können, wie Anges, aber sie hatte sein Herz mit hohen Empfindungen erfüllt; der erste Strahl aus einem reinen Frauengemüth war aus ihren Blicken in seine Seele gefallen, hatte ihm seine Jugend verklärt, seinen Geist erhoben, dem fortan kein unreiner Gedanke nahte. Und in Anges hatte Ludwig erkennen lernen, welchen Reichthum edler Gefühle ein Frauenherz birgt; er hatte in ihr jenen wahrhaften Seelenadel gefunden, der seinen Ursprung nicht aus alter Abstammung und hoher Geburt herleitet, sondern aus dem eigenen unentweihten

Kaisers Paul von Rußland von der Coalition, bestimmten den Herzog, auf den Schutz, den das Theuerste, was er besaß, in Petersburg bisher genossen hatte, zu verzichten, er gab Weisungen, daß die Frauen und ihre Dienerschaft sich in eine deutsche Stadt, die unbedroht vom Kriege war, begeben sollten. Da der Rath des freundlichen Geleiters, den man als einen weitläufigen Verwandten durch seine mütterliche Abstammung betrachtete und ihm volles Vertrauen schenkte, von der Prinzessin erbeten wurde, so schlug Graf Ludwig Hamburg vor, nicht nur, weil er selbst sich wieder nach Deutschland zurück und in eine bekannte Gegend sehnte, sondern auch, weil er die Ueberzeugung hatte, daß die Prinzessin dort ganz nach ihren Wünschen zurückgezogen und in völliger Freiheit leben könne, während bei aller Aufmerksamkeit, die man ihr erwies, das Leben am russischen Hofe ihr doch auf die Dauer drückend geworden war.

Im Verhältniß Ludwig’s zu Angés hatte sich Nichts geändert; es war und blieb wie es von je gewesen, eine auf die höchste gegenseitige Achtung sich gründende, reinste Freundschaft. Zart und schonend hatte ihr endlich Ludwig des Freundes Ableben mitgetheilt, viele Thränen waren noch gemeinschaftlich um Leonardus geflossen; Ludwig hatte des Freundes Miniaturbild und die Bilder von vier Frauen, die er alle aus der Erinnerung gemalt und mit vielem Glück getroffen, der Freundin anvertraut. Es war das Bild der treuen Großmutter, der herrlichen Mutter, es war das Bild der reizenden Ottoline und jenes der lieblichen Angés, es war der Kranz von Bildern edler Menschen, die alle tiefen, wunderbaren und unvergänglichen Eindruck auf sein Herz gemacht hatten, jede einzelne Persönlichkeit auf verschiedene Weise, und alle einig in dem Bestreben, ihn zu beglücken. Ottoline hatte ihn freilich so wenig mit reichen Gaben bedenken können, wie Angés, aber sie hatte sein Herz mit hohen Empfindungen erfüllt; der erste Strahl aus einem reinen Frauengemüth war aus ihren Blicken in seine Seele gefallen, hatte ihm seine Jugend verklärt, seinen Geist erhoben, dem fortan kein unreiner Gedanke nahte. Und in Angés hatte Ludwig erkennen lernen, welchen Reichthum edler Gefühle ein Frauenherz birgt; er hatte in ihr jenen wahrhaften Seelenadel gefunden, der seinen Ursprung nicht aus alter Abstammung und hoher Geburt herleitet, sondern aus dem eigenen unentweihten

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Kaisers Paul von Rußland von der Coalition, bestimmten den Herzog, auf den Schutz, den das Theuerste, was er besaß, in Petersburg bisher genossen hatte, zu verzichten, er gab Weisungen, daß die Frauen und ihre Dienerschaft sich in eine deutsche Stadt, die unbedroht vom Kriege war, begeben sollten. Da der Rath des freundlichen Geleiters, den man als einen weitläufigen Verwandten durch seine mütterliche Abstammung betrachtete und ihm volles Vertrauen schenkte, von der Prinzessin erbeten wurde, so schlug Graf Ludwig Hamburg vor, nicht nur, weil er selbst sich wieder nach Deutschland zurück und in eine bekannte Gegend sehnte, sondern auch, weil er die Ueberzeugung hatte, daß die Prinzessin dort ganz nach ihren Wünschen zurückgezogen und in völliger Freiheit leben könne, während bei aller Aufmerksamkeit, die man ihr erwies, das Leben am russischen Hofe ihr doch auf die Dauer drückend geworden war.</p>
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[351/0355] Kaisers Paul von Rußland von der Coalition, bestimmten den Herzog, auf den Schutz, den das Theuerste, was er besaß, in Petersburg bisher genossen hatte, zu verzichten, er gab Weisungen, daß die Frauen und ihre Dienerschaft sich in eine deutsche Stadt, die unbedroht vom Kriege war, begeben sollten. Da der Rath des freundlichen Geleiters, den man als einen weitläufigen Verwandten durch seine mütterliche Abstammung betrachtete und ihm volles Vertrauen schenkte, von der Prinzessin erbeten wurde, so schlug Graf Ludwig Hamburg vor, nicht nur, weil er selbst sich wieder nach Deutschland zurück und in eine bekannte Gegend sehnte, sondern auch, weil er die Ueberzeugung hatte, daß die Prinzessin dort ganz nach ihren Wünschen zurückgezogen und in völliger Freiheit leben könne, während bei aller Aufmerksamkeit, die man ihr erwies, das Leben am russischen Hofe ihr doch auf die Dauer drückend geworden war. Im Verhältniß Ludwig’s zu Angés hatte sich Nichts geändert; es war und blieb wie es von je gewesen, eine auf die höchste gegenseitige Achtung sich gründende, reinste Freundschaft. Zart und schonend hatte ihr endlich Ludwig des Freundes Ableben mitgetheilt, viele Thränen waren noch gemeinschaftlich um Leonardus geflossen; Ludwig hatte des Freundes Miniaturbild und die Bilder von vier Frauen, die er alle aus der Erinnerung gemalt und mit vielem Glück getroffen, der Freundin anvertraut. Es war das Bild der treuen Großmutter, der herrlichen Mutter, es war das Bild der reizenden Ottoline und jenes der lieblichen Angés, es war der Kranz von Bildern edler Menschen, die alle tiefen, wunderbaren und unvergänglichen Eindruck auf sein Herz gemacht hatten, jede einzelne Persönlichkeit auf verschiedene Weise, und alle einig in dem Bestreben, ihn zu beglücken. Ottoline hatte ihn freilich so wenig mit reichen Gaben bedenken können, wie Angés, aber sie hatte sein Herz mit hohen Empfindungen erfüllt; der erste Strahl aus einem reinen Frauengemüth war aus ihren Blicken in seine Seele gefallen, hatte ihm seine Jugend verklärt, seinen Geist erhoben, dem fortan kein unreiner Gedanke nahte. Und in Angés hatte Ludwig erkennen lernen, welchen Reichthum edler Gefühle ein Frauenherz birgt; er hatte in ihr jenen wahrhaften Seelenadel gefunden, der seinen Ursprung nicht aus alter Abstammung und hoher Geburt herleitet, sondern aus dem eigenen unentweihten

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/355>, abgerufen am 22.11.2024.