Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.Anges! Geliebte Anges! flüsterte ich, und mein Herz wallte über von Wonnegefühl, dem holden Wesen wieder nahe zu sein, ihre Gegenwart besiegte die brennenden Wundschmerzen, und ich begann mich glücklich zu preisen und meine Feinde zu segnen, deren Wuth und Barbarei ich diese Seligkeit verdankte. Anges bat mich inständig, mich zu schonen, und erzählte mir noch folgendes Nähere über jenen abscheulichen Ueberfall: Wie der alte Diener, welcher Jacques hieß und Franzose war, den Schrei des Kindes gehört, hatte er sogleich Aboncourt, der ihn aufhalten wollte, zur Seite gestoßen, und war auf uns zugeeilt. Alles Andere nicht berücksichtigend, erfaßte er das Kind, hob es auf seinen Arm und eilte mit ihm nach dem Dorfe zurück. Anges war ohnmächtig hingesunken, als sie den heftigen blutigen Kampf zwischen mir und Berthelmy sah; zu plötzlich stürmten unter den entsetzlichsten Umständen Schmerz, Abscheu, Liebe und Seelenangst auf sie zugleich ein, und der Schreck warf sie machtlos nieder, da sie einen Moment später sehen mußte, wie Berthelmy über und über im Gesicht blutend, taumelte, und mich der tückische Aboncourt zu Boden riß. Daß der Unmensch mich auf die Brust trat, gewahrte sie schon nicht mehr. Aboncourt glaubte sich an mir hinlänglich gerächt zu haben, er sah Leute vom nahen Felde auf den Weg zueilen, stürzte sich auf Berthelmy, hob ihn auf und verschwand mit ihm im Walde. Anges wurde wieder zu sich selbst gebracht, aber nur um im verzweiflungsvollen Schmerz sich an meine Seite niederzuwerfen und den Himmel um Hülfe und Erbarmen anzuflehen. Bewußtlos wurde ich dann in ihre Wohnung getragen und der Pflege der Aerzte und Wundärzte übergeben, die man schleunig aus dem nahen Städtchen herbeirief. Gensd'armen mußten die ganze Gegend nach jenen Spionen durchstreifen, sie fanden nichts, als eine kurze Blutspur, denn leicht bargen die zahlreichen Gebirgsschluchten des Schwarzwaldes diese Elenden. Wie es geworden wäre, wenn ein wunderbares Geschick mich nicht in jenem verhängnißvollen Augenblick zu Anges geführt hätte, fragten wir uns oft und wußten es nicht zu sagen. Das letzte Band, was noch in ihrem Gewissen Anges an Berthelmy fesselte, war freventlich zerrissen, sie verabscheute ihn, sie wollte mein eigen sein mit Leib und Seele, aber nur -- Angés! Geliebte Angés! flüsterte ich, und mein Herz wallte über von Wonnegefühl, dem holden Wesen wieder nahe zu sein, ihre Gegenwart besiegte die brennenden Wundschmerzen, und ich begann mich glücklich zu preisen und meine Feinde zu segnen, deren Wuth und Barbarei ich diese Seligkeit verdankte. Angés bat mich inständig, mich zu schonen, und erzählte mir noch folgendes Nähere über jenen abscheulichen Ueberfall: Wie der alte Diener, welcher Jacques hieß und Franzose war, den Schrei des Kindes gehört, hatte er sogleich Aboncourt, der ihn aufhalten wollte, zur Seite gestoßen, und war auf uns zugeeilt. Alles Andere nicht berücksichtigend, erfaßte er das Kind, hob es auf seinen Arm und eilte mit ihm nach dem Dorfe zurück. Angés war ohnmächtig hingesunken, als sie den heftigen blutigen Kampf zwischen mir und Berthelmy sah; zu plötzlich stürmten unter den entsetzlichsten Umständen Schmerz, Abscheu, Liebe und Seelenangst auf sie zugleich ein, und der Schreck warf sie machtlos nieder, da sie einen Moment später sehen mußte, wie Berthelmy über und über im Gesicht blutend, taumelte, und mich der tückische Aboncourt zu Boden riß. Daß der Unmensch mich auf die Brust trat, gewahrte sie schon nicht mehr. Aboncourt glaubte sich an mir hinlänglich gerächt zu haben, er sah Leute vom nahen Felde auf den Weg zueilen, stürzte sich auf Berthelmy, hob ihn auf und verschwand mit ihm im Walde. Angés wurde wieder zu sich selbst gebracht, aber nur um im verzweiflungsvollen Schmerz sich an meine Seite niederzuwerfen und den Himmel um Hülfe und Erbarmen anzuflehen. Bewußtlos wurde ich dann in ihre Wohnung getragen und der Pflege der Aerzte und Wundärzte übergeben, die man schleunig aus dem nahen Städtchen herbeirief. Gensd’armen mußten die ganze Gegend nach jenen Spionen durchstreifen, sie fanden nichts, als eine kurze Blutspur, denn leicht bargen die zahlreichen Gebirgsschluchten des Schwarzwaldes diese Elenden. Wie es geworden wäre, wenn ein wunderbares Geschick mich nicht in jenem verhängnißvollen Augenblick zu Angés geführt hätte, fragten wir uns oft und wußten es nicht zu sagen. Das letzte Band, was noch in ihrem Gewissen Angés an Berthelmy fesselte, war freventlich zerrissen, sie verabscheute ihn, sie wollte mein eigen sein mit Leib und Seele, aber nur — <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0295" n="291"/> <p>Angés! Geliebte Angés! flüsterte ich, und mein Herz wallte über von Wonnegefühl, dem holden Wesen wieder nahe zu sein, ihre Gegenwart besiegte die brennenden Wundschmerzen, und ich begann mich glücklich zu preisen und meine Feinde zu segnen, deren Wuth und Barbarei ich diese Seligkeit verdankte.</p> <p>Angés bat mich inständig, mich zu schonen, und erzählte mir noch folgendes Nähere über jenen abscheulichen Ueberfall: Wie der alte Diener, welcher Jacques hieß und Franzose war, den Schrei des Kindes gehört, hatte er sogleich Aboncourt, der ihn aufhalten wollte, zur Seite gestoßen, und war auf uns zugeeilt. Alles Andere nicht berücksichtigend, erfaßte er das Kind, hob es auf seinen Arm und eilte mit ihm nach dem Dorfe zurück. Angés war ohnmächtig hingesunken, als sie den heftigen blutigen Kampf zwischen mir und Berthelmy sah; zu plötzlich stürmten unter den entsetzlichsten Umständen Schmerz, Abscheu, Liebe und Seelenangst auf sie zugleich ein, und der Schreck warf sie machtlos nieder, da sie einen Moment später sehen mußte, wie Berthelmy über und über im Gesicht blutend, taumelte, und mich der tückische Aboncourt zu Boden riß. Daß der Unmensch mich auf die Brust trat, gewahrte sie schon nicht mehr.</p> <p>Aboncourt glaubte sich an mir hinlänglich gerächt zu haben, er sah Leute vom nahen Felde auf den Weg zueilen, stürzte sich auf Berthelmy, hob ihn auf und verschwand mit ihm im Walde. Angés wurde wieder zu sich selbst gebracht, aber nur um im verzweiflungsvollen Schmerz sich an meine Seite niederzuwerfen und den Himmel um Hülfe und Erbarmen anzuflehen. Bewußtlos wurde ich dann in ihre Wohnung getragen und der Pflege der Aerzte und Wundärzte übergeben, die man schleunig aus dem nahen Städtchen herbeirief. Gensd’armen mußten die ganze Gegend nach jenen Spionen durchstreifen, sie fanden nichts, als eine kurze Blutspur, denn leicht bargen die zahlreichen Gebirgsschluchten des Schwarzwaldes diese Elenden. Wie es geworden wäre, wenn ein wunderbares Geschick mich nicht in jenem verhängnißvollen Augenblick zu Angés geführt hätte, fragten wir uns oft und wußten es nicht zu sagen.</p> <p>Das letzte Band, was noch in ihrem Gewissen Angés an Berthelmy fesselte, war freventlich zerrissen, sie verabscheute ihn, sie wollte mein eigen sein mit Leib und Seele, aber nur — </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [291/0295]
Angés! Geliebte Angés! flüsterte ich, und mein Herz wallte über von Wonnegefühl, dem holden Wesen wieder nahe zu sein, ihre Gegenwart besiegte die brennenden Wundschmerzen, und ich begann mich glücklich zu preisen und meine Feinde zu segnen, deren Wuth und Barbarei ich diese Seligkeit verdankte.
Angés bat mich inständig, mich zu schonen, und erzählte mir noch folgendes Nähere über jenen abscheulichen Ueberfall: Wie der alte Diener, welcher Jacques hieß und Franzose war, den Schrei des Kindes gehört, hatte er sogleich Aboncourt, der ihn aufhalten wollte, zur Seite gestoßen, und war auf uns zugeeilt. Alles Andere nicht berücksichtigend, erfaßte er das Kind, hob es auf seinen Arm und eilte mit ihm nach dem Dorfe zurück. Angés war ohnmächtig hingesunken, als sie den heftigen blutigen Kampf zwischen mir und Berthelmy sah; zu plötzlich stürmten unter den entsetzlichsten Umständen Schmerz, Abscheu, Liebe und Seelenangst auf sie zugleich ein, und der Schreck warf sie machtlos nieder, da sie einen Moment später sehen mußte, wie Berthelmy über und über im Gesicht blutend, taumelte, und mich der tückische Aboncourt zu Boden riß. Daß der Unmensch mich auf die Brust trat, gewahrte sie schon nicht mehr.
Aboncourt glaubte sich an mir hinlänglich gerächt zu haben, er sah Leute vom nahen Felde auf den Weg zueilen, stürzte sich auf Berthelmy, hob ihn auf und verschwand mit ihm im Walde. Angés wurde wieder zu sich selbst gebracht, aber nur um im verzweiflungsvollen Schmerz sich an meine Seite niederzuwerfen und den Himmel um Hülfe und Erbarmen anzuflehen. Bewußtlos wurde ich dann in ihre Wohnung getragen und der Pflege der Aerzte und Wundärzte übergeben, die man schleunig aus dem nahen Städtchen herbeirief. Gensd’armen mußten die ganze Gegend nach jenen Spionen durchstreifen, sie fanden nichts, als eine kurze Blutspur, denn leicht bargen die zahlreichen Gebirgsschluchten des Schwarzwaldes diese Elenden. Wie es geworden wäre, wenn ein wunderbares Geschick mich nicht in jenem verhängnißvollen Augenblick zu Angés geführt hätte, fragten wir uns oft und wußten es nicht zu sagen.
Das letzte Band, was noch in ihrem Gewissen Angés an Berthelmy fesselte, war freventlich zerrissen, sie verabscheute ihn, sie wollte mein eigen sein mit Leib und Seele, aber nur —
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