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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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zu verletzen, oder irgend einem Würdigen damit weh zu thun, das sei ferne; aber im Allgemeinen ist auf Ihre geflüchteten Landsleute jenes Dichterwort anwendbar, welches lautet: "Wo bist du, lügenhafte Eitelkeit? Ihr immer lockenden, ihre immer täuschenden Wünsche, wo seid ihr und was Anders erreichtet ihr, als Beunruhigung, Kummer und Gewissensbisse? Ach und dennoch, schwer niederbeugender Gedanke! ist kaum ein Auftritt des gauklerischen Trugspiels abgespielt, so erwacht aufs Neue der getäuschte Mensch aus kurzem Schlummer, gestärkt von neuer Hoffnung, zu des schwindelvollen Kreislaufs abermaligem Beginn."

Ihr Thomson ist ein demokratischer Visionär, erwiderte Prinz Talmont: er hat ja die liebe Freiheit in einem Lehrgedicht besungen, daraus sich noch viel Anderes gegen uns würde anführen lassen. Erlauben Sie mir aber, Frau Herzogin, Ihnen auf Ihres Dichters Worte mit denen eines französischen zu antworten, der mit ungleich weniger Worten das ausdrückt, was wir alle fühlen, die wir im Unglück und aus unserem Vaterlande verbannt sind; es ist Corneille, den ich meine. "Ein großes Herz kann einem Thron entsagen, und kann dies mit Ehren thun; die That der Tugend wird gekrönt vom Nachruhm. Aber wer auf Das freiwillig verzichtet, was sein Herz mit flammender Liebe umfaßt, der ist ein Feiger und weiß nicht zu lieben." Was unser aller Herzen mit flammender Liebe umfassen, Frau Herzogin, das ist unser Frankreich, unser Vaterland. An ihm hangen und halten wir, unsere Vaterlandsliebe ist unser Palladium, sein unsichtbares Bild tragen wir mit uns in Ferne und Verbannung, wie Anchises aus Troja's Flammen die sichtbaren Bilder seiner Laren mit von dannen trug. Nehmen Sie uns Franzosen diese Liebe, diese Treue, dann ist uns Alles genommen, dann sind wir ganz vernichtet. Würden wir unsere Liebe aufgeben, dann verdienten wir, daß unsere Namen ausgetilgt würden von den Tafeln der Geschichte.

Georgine schwieg, sie fühlte sich tief getroffen, nicht durch die allgemeine Wahrheit, die in den Worten des Dichters und des Prinzen ausgedrückt wurde -- noch etwas Anderes, etwas Besonderes traf und berührte empfindlich ihr Herz. War sie es nicht, die Dem freiwillig entsagt hatte, was ihr Herz mit flammender Liebe umfaßte? Hatte sie sich nicht ihres Sohnes entäußert durch so lange Jahre? Ruhig hatte sie es geschehen lassen, daß eine fremde Hand ihn pflegte und auferzog, zufrieden

zu verletzen, oder irgend einem Würdigen damit weh zu thun, das sei ferne; aber im Allgemeinen ist auf Ihre geflüchteten Landsleute jenes Dichterwort anwendbar, welches lautet: „Wo bist du, lügenhafte Eitelkeit? Ihr immer lockenden, ihre immer täuschenden Wünsche, wo seid ihr und was Anders erreichtet ihr, als Beunruhigung, Kummer und Gewissensbisse? Ach und dennoch, schwer niederbeugender Gedanke! ist kaum ein Auftritt des gauklerischen Trugspiels abgespielt, so erwacht aufs Neue der getäuschte Mensch aus kurzem Schlummer, gestärkt von neuer Hoffnung, zu des schwindelvollen Kreislaufs abermaligem Beginn.“

Ihr Thomson ist ein demokratischer Visionär, erwiderte Prinz Talmont: er hat ja die liebe Freiheit in einem Lehrgedicht besungen, daraus sich noch viel Anderes gegen uns würde anführen lassen. Erlauben Sie mir aber, Frau Herzogin, Ihnen auf Ihres Dichters Worte mit denen eines französischen zu antworten, der mit ungleich weniger Worten das ausdrückt, was wir alle fühlen, die wir im Unglück und aus unserem Vaterlande verbannt sind; es ist Corneille, den ich meine. „Ein großes Herz kann einem Thron entsagen, und kann dies mit Ehren thun; die That der Tugend wird gekrönt vom Nachruhm. Aber wer auf Das freiwillig verzichtet, was sein Herz mit flammender Liebe umfaßt, der ist ein Feiger und weiß nicht zu lieben.“ Was unser aller Herzen mit flammender Liebe umfassen, Frau Herzogin, das ist unser Frankreich, unser Vaterland. An ihm hangen und halten wir, unsere Vaterlandsliebe ist unser Palladium, sein unsichtbares Bild tragen wir mit uns in Ferne und Verbannung, wie Anchises aus Troja’s Flammen die sichtbaren Bilder seiner Laren mit von dannen trug. Nehmen Sie uns Franzosen diese Liebe, diese Treue, dann ist uns Alles genommen, dann sind wir ganz vernichtet. Würden wir unsere Liebe aufgeben, dann verdienten wir, daß unsere Namen ausgetilgt würden von den Tafeln der Geschichte.

Georgine schwieg, sie fühlte sich tief getroffen, nicht durch die allgemeine Wahrheit, die in den Worten des Dichters und des Prinzen ausgedrückt wurde — noch etwas Anderes, etwas Besonderes traf und berührte empfindlich ihr Herz. War sie es nicht, die Dem freiwillig entsagt hatte, was ihr Herz mit flammender Liebe umfaßte? Hatte sie sich nicht ihres Sohnes entäußert durch so lange Jahre? Ruhig hatte sie es geschehen lassen, daß eine fremde Hand ihn pflegte und auferzog, zufrieden

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[235/0239] zu verletzen, oder irgend einem Würdigen damit weh zu thun, das sei ferne; aber im Allgemeinen ist auf Ihre geflüchteten Landsleute jenes Dichterwort anwendbar, welches lautet: „Wo bist du, lügenhafte Eitelkeit? Ihr immer lockenden, ihre immer täuschenden Wünsche, wo seid ihr und was Anders erreichtet ihr, als Beunruhigung, Kummer und Gewissensbisse? Ach und dennoch, schwer niederbeugender Gedanke! ist kaum ein Auftritt des gauklerischen Trugspiels abgespielt, so erwacht aufs Neue der getäuschte Mensch aus kurzem Schlummer, gestärkt von neuer Hoffnung, zu des schwindelvollen Kreislaufs abermaligem Beginn.“ Ihr Thomson ist ein demokratischer Visionär, erwiderte Prinz Talmont: er hat ja die liebe Freiheit in einem Lehrgedicht besungen, daraus sich noch viel Anderes gegen uns würde anführen lassen. Erlauben Sie mir aber, Frau Herzogin, Ihnen auf Ihres Dichters Worte mit denen eines französischen zu antworten, der mit ungleich weniger Worten das ausdrückt, was wir alle fühlen, die wir im Unglück und aus unserem Vaterlande verbannt sind; es ist Corneille, den ich meine. „Ein großes Herz kann einem Thron entsagen, und kann dies mit Ehren thun; die That der Tugend wird gekrönt vom Nachruhm. Aber wer auf Das freiwillig verzichtet, was sein Herz mit flammender Liebe umfaßt, der ist ein Feiger und weiß nicht zu lieben.“ Was unser aller Herzen mit flammender Liebe umfassen, Frau Herzogin, das ist unser Frankreich, unser Vaterland. An ihm hangen und halten wir, unsere Vaterlandsliebe ist unser Palladium, sein unsichtbares Bild tragen wir mit uns in Ferne und Verbannung, wie Anchises aus Troja’s Flammen die sichtbaren Bilder seiner Laren mit von dannen trug. Nehmen Sie uns Franzosen diese Liebe, diese Treue, dann ist uns Alles genommen, dann sind wir ganz vernichtet. Würden wir unsere Liebe aufgeben, dann verdienten wir, daß unsere Namen ausgetilgt würden von den Tafeln der Geschichte. Georgine schwieg, sie fühlte sich tief getroffen, nicht durch die allgemeine Wahrheit, die in den Worten des Dichters und des Prinzen ausgedrückt wurde — noch etwas Anderes, etwas Besonderes traf und berührte empfindlich ihr Herz. War sie es nicht, die Dem freiwillig entsagt hatte, was ihr Herz mit flammender Liebe umfaßte? Hatte sie sich nicht ihres Sohnes entäußert durch so lange Jahre? Ruhig hatte sie es geschehen lassen, daß eine fremde Hand ihn pflegte und auferzog, zufrieden

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/239>, abgerufen am 24.11.2024.