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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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gefunden. Das schöne neue Kastell zu Lune ist mit allen Nebengebäuden bis auf den Grund niedergebrannt; Tag und Nacht sehen wir Häuser brennen. Die Krieger sind durch Mangel und Kälte zur Verzweiflung gebracht. Ich hatte neulich neunhundert Mann und ebenso viele Pferde unterzubringen; alle Vorräthe gehen zu Ende, ich muß bei Ihrer Excellenz um ein Stück geräuchertes Fleisch betteln."

"Mit allen Friedensgerüchten war es nichts; die Gesandtschaft des Herrn Brantsen nach Paris ist eine fruchtlose und vergebliche gewesen; der Feind hat sich Meister gemacht vom Bommeler Weerd. Und welcher Feind! Der französische General Daendels, ein Parteigänger an der Spitze von siebentausend Holländern und Brabantern, lauter Patrioten, die für den Feind ihr Vaterland erobern. Man fuhr über die Wahl und den fest zugefrorenen Rhein unter Wageningen mit sechsspännigen Geschützen und den schwersten Packwagen. Unsere ganze Armee brach dorthin auf, Prinz Ernst August kam noch einmal hierher, speiste und nahm Abschied; er steht an der Spitze des zweiten Regiments hannoversche Kavallerie und führt es nach Amerongen. Er ist voll Feuer und Eifer, obgleich er schon einen lahmen Arm bekommen hat; ich mußte ihm die Hand darauf geben, daß ich ihm hier ein Zimmer bereit halten wolle, er möge gesund oder verwundet zurückkommen. Der Feind ist guter Dinge und hat sich wieder verproviantirt, auf unserer Seite aber ist Nachlässigkeit und Verwirrung an der Tagesordnung. Entweder will man es so und nicht anders haben, oder es müssen in manchem Hirnkasten viele Schrauben los sein, oder mein Verstand ist so klimperklein, daß ich von Allem gar nichts mehr verstehe, welches wohl das Wahrscheinlichste ist. -- Unser Erbherr eilte sogleich, als die üble Nachricht kam, nach Gorkum; von da aus, von Geldermaalseen aus und von Heßel aus sollte nun der Feind durch drei Heersäulen holländischer, englischer und hessischer, darmstädter und hannoverscher Truppen zugleich angegriffen werden, aber die englische Colonne kam zu spät. Die Franken sind vor den Thoren von Arnhem, ich sehe schon ihre Vorposten in unseren Feldern herum reiten, bald werden ihre Kanonen unter meiner Nase feuern. Es geht gräulich zu und wird noch schlimmer. Das Herz im Leibe blutet mir über das Elend der Menschen; wenn ich weggegangen wäre, so wäre die Herrlichkeit jetzt eine Einöde. Die Leute sehen,

gefunden. Das schöne neue Kastell zu Lune ist mit allen Nebengebäuden bis auf den Grund niedergebrannt; Tag und Nacht sehen wir Häuser brennen. Die Krieger sind durch Mangel und Kälte zur Verzweiflung gebracht. Ich hatte neulich neunhundert Mann und ebenso viele Pferde unterzubringen; alle Vorräthe gehen zu Ende, ich muß bei Ihrer Excellenz um ein Stück geräuchertes Fleisch betteln.“

„Mit allen Friedensgerüchten war es nichts; die Gesandtschaft des Herrn Brantsen nach Paris ist eine fruchtlose und vergebliche gewesen; der Feind hat sich Meister gemacht vom Bommeler Weerd. Und welcher Feind! Der französische General Daendels, ein Parteigänger an der Spitze von siebentausend Holländern und Brabantern, lauter Patrioten, die für den Feind ihr Vaterland erobern. Man fuhr über die Wahl und den fest zugefrorenen Rhein unter Wageningen mit sechsspännigen Geschützen und den schwersten Packwagen. Unsere ganze Armee brach dorthin auf, Prinz Ernst August kam noch einmal hierher, speiste und nahm Abschied; er steht an der Spitze des zweiten Regiments hannoversche Kavallerie und führt es nach Amerongen. Er ist voll Feuer und Eifer, obgleich er schon einen lahmen Arm bekommen hat; ich mußte ihm die Hand darauf geben, daß ich ihm hier ein Zimmer bereit halten wolle, er möge gesund oder verwundet zurückkommen. Der Feind ist guter Dinge und hat sich wieder verproviantirt, auf unserer Seite aber ist Nachlässigkeit und Verwirrung an der Tagesordnung. Entweder will man es so und nicht anders haben, oder es müssen in manchem Hirnkasten viele Schrauben los sein, oder mein Verstand ist so klimperklein, daß ich von Allem gar nichts mehr verstehe, welches wohl das Wahrscheinlichste ist. — Unser Erbherr eilte sogleich, als die üble Nachricht kam, nach Gorkum; von da aus, von Geldermaalseen aus und von Heßel aus sollte nun der Feind durch drei Heersäulen holländischer, englischer und hessischer, darmstädter und hannoverscher Truppen zugleich angegriffen werden, aber die englische Colonne kam zu spät. Die Franken sind vor den Thoren von Arnhem, ich sehe schon ihre Vorposten in unseren Feldern herum reiten, bald werden ihre Kanonen unter meiner Nase feuern. Es geht gräulich zu und wird noch schlimmer. Das Herz im Leibe blutet mir über das Elend der Menschen; wenn ich weggegangen wäre, so wäre die Herrlichkeit jetzt eine Einöde. Die Leute sehen,

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[230/0234] gefunden. Das schöne neue Kastell zu Lune ist mit allen Nebengebäuden bis auf den Grund niedergebrannt; Tag und Nacht sehen wir Häuser brennen. Die Krieger sind durch Mangel und Kälte zur Verzweiflung gebracht. Ich hatte neulich neunhundert Mann und ebenso viele Pferde unterzubringen; alle Vorräthe gehen zu Ende, ich muß bei Ihrer Excellenz um ein Stück geräuchertes Fleisch betteln.“ „Mit allen Friedensgerüchten war es nichts; die Gesandtschaft des Herrn Brantsen nach Paris ist eine fruchtlose und vergebliche gewesen; der Feind hat sich Meister gemacht vom Bommeler Weerd. Und welcher Feind! Der französische General Daendels, ein Parteigänger an der Spitze von siebentausend Holländern und Brabantern, lauter Patrioten, die für den Feind ihr Vaterland erobern. Man fuhr über die Wahl und den fest zugefrorenen Rhein unter Wageningen mit sechsspännigen Geschützen und den schwersten Packwagen. Unsere ganze Armee brach dorthin auf, Prinz Ernst August kam noch einmal hierher, speiste und nahm Abschied; er steht an der Spitze des zweiten Regiments hannoversche Kavallerie und führt es nach Amerongen. Er ist voll Feuer und Eifer, obgleich er schon einen lahmen Arm bekommen hat; ich mußte ihm die Hand darauf geben, daß ich ihm hier ein Zimmer bereit halten wolle, er möge gesund oder verwundet zurückkommen. Der Feind ist guter Dinge und hat sich wieder verproviantirt, auf unserer Seite aber ist Nachlässigkeit und Verwirrung an der Tagesordnung. Entweder will man es so und nicht anders haben, oder es müssen in manchem Hirnkasten viele Schrauben los sein, oder mein Verstand ist so klimperklein, daß ich von Allem gar nichts mehr verstehe, welches wohl das Wahrscheinlichste ist. — Unser Erbherr eilte sogleich, als die üble Nachricht kam, nach Gorkum; von da aus, von Geldermaalseen aus und von Heßel aus sollte nun der Feind durch drei Heersäulen holländischer, englischer und hessischer, darmstädter und hannoverscher Truppen zugleich angegriffen werden, aber die englische Colonne kam zu spät. Die Franken sind vor den Thoren von Arnhem, ich sehe schon ihre Vorposten in unseren Feldern herum reiten, bald werden ihre Kanonen unter meiner Nase feuern. Es geht gräulich zu und wird noch schlimmer. Das Herz im Leibe blutet mir über das Elend der Menschen; wenn ich weggegangen wäre, so wäre die Herrlichkeit jetzt eine Einöde. Die Leute sehen,

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/234>, abgerufen am 17.05.2024.