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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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des Vetters Wilhelm Gustav Friedrich befanden. Haben Sie Nachricht von dessen Frau Gemahlin, o, so theilen Sie mir dieselbe recht bald mit, möge dieselbe günstig lauten! Täglich denke ich ihrer und beklage stets aufs Neue schmerzlich, daß mir kein Wiedersehen vergönnt ward, vielleicht auch nie vergönnt sein wird."

Wahrscheinlich nie, wenn nicht drüben! seufzte Ottoline vor sich hin: denn die Tage deiner Freundin sind gezählt, du lieber seelenguter Ludwig!

"Ueber das hiesige Leben kann ich nicht viel schreiben, und darf es auch kaum. Dem gesammten Gesandtschaftspersonal ist streng untersagt, sich mündlich oder schriftlich über Frankreichs Politik zu äußern, oder Mittheilungen nach Außen zu machen, die nicht auch in den Zeitungen stehen. Jedenfalls lesen Sie den Moniteur hochverehrte Großmutter, der enthält die Quintessenz aller Ereignisse."

"Unsere Gesandtschaft hat den Zweck, zwischen Frankreich den Frieden zu vermitteln, und der Erbstatthalter hat dazu dem Minister die ausgedehntesten Vollmachten ertheilt; allein ich fürchte, daß die günstigen Anerbietungen Hollands nicht mehr genügen, und daß Pichegru Alles aufbieten wird, um vorzudringen und Holland zu unterwerfen, dann wird wohl Friede werden, denn die Neigung zum Frieden geht jetzt durch die meisten Cabinette Europa's. Viele aber werden auch leiden; ich fürchte sehr für meinen Vetter, den Erbherrn. Alles, was er dem Vaterlande und der treuen Anhänglichkeit an den Erbstatthalter und den Erbprinzen zum Opfer gebracht hat, wird verloren sein, ja selbst seine Freiheit ist bedroht. Ihr zweiter Enkel, beste Großmutter, Graf Johann Carl, ist zur Zeit, wo ich dies schreibe, Statthalter in Utrecht -- ich fürchte ebenfalls, daß diese Statthalterschaft nur von sehr kurzer Dauer sein wird. Der Vice-Admiral soll, wie ich vernahm, sich jetzt in Hamburg aufhalten; sollte dies der Fall sein, so wird er ohne Zweifel bei Ihnen wohnen, und dann bitte ich gehorsamst, ihn freundlich zu grüßen. Er ist ein jovialer Mann, der mir Achtung und Liebe abgewonnen hat, trotz seiner Neigung zu Spott und Satyre."

"Die Pariser Luft, die freilich vielen Leuten in diesen Zeiten nicht zusagte, behagt auch mir nicht, beste Großmutter. Ich fühle mich

des Vetters Wilhelm Gustav Friedrich befanden. Haben Sie Nachricht von dessen Frau Gemahlin, o, so theilen Sie mir dieselbe recht bald mit, möge dieselbe günstig lauten! Täglich denke ich ihrer und beklage stets aufs Neue schmerzlich, daß mir kein Wiedersehen vergönnt ward, vielleicht auch nie vergönnt sein wird.“

Wahrscheinlich nie, wenn nicht drüben! seufzte Ottoline vor sich hin: denn die Tage deiner Freundin sind gezählt, du lieber seelenguter Ludwig!

„Ueber das hiesige Leben kann ich nicht viel schreiben, und darf es auch kaum. Dem gesammten Gesandtschaftspersonal ist streng untersagt, sich mündlich oder schriftlich über Frankreichs Politik zu äußern, oder Mittheilungen nach Außen zu machen, die nicht auch in den Zeitungen stehen. Jedenfalls lesen Sie den Moniteur hochverehrte Großmutter, der enthält die Quintessenz aller Ereignisse.“

„Unsere Gesandtschaft hat den Zweck, zwischen Frankreich den Frieden zu vermitteln, und der Erbstatthalter hat dazu dem Minister die ausgedehntesten Vollmachten ertheilt; allein ich fürchte, daß die günstigen Anerbietungen Hollands nicht mehr genügen, und daß Pichegru Alles aufbieten wird, um vorzudringen und Holland zu unterwerfen, dann wird wohl Friede werden, denn die Neigung zum Frieden geht jetzt durch die meisten Cabinette Europa’s. Viele aber werden auch leiden; ich fürchte sehr für meinen Vetter, den Erbherrn. Alles, was er dem Vaterlande und der treuen Anhänglichkeit an den Erbstatthalter und den Erbprinzen zum Opfer gebracht hat, wird verloren sein, ja selbst seine Freiheit ist bedroht. Ihr zweiter Enkel, beste Großmutter, Graf Johann Carl, ist zur Zeit, wo ich dies schreibe, Statthalter in Utrecht — ich fürchte ebenfalls, daß diese Statthalterschaft nur von sehr kurzer Dauer sein wird. Der Vice-Admiral soll, wie ich vernahm, sich jetzt in Hamburg aufhalten; sollte dies der Fall sein, so wird er ohne Zweifel bei Ihnen wohnen, und dann bitte ich gehorsamst, ihn freundlich zu grüßen. Er ist ein jovialer Mann, der mir Achtung und Liebe abgewonnen hat, trotz seiner Neigung zu Spott und Satyre.“

„Die Pariser Luft, die freilich vielen Leuten in diesen Zeiten nicht zusagte, behagt auch mir nicht, beste Großmutter. Ich fühle mich

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[222/0226] des Vetters Wilhelm Gustav Friedrich befanden. Haben Sie Nachricht von dessen Frau Gemahlin, o, so theilen Sie mir dieselbe recht bald mit, möge dieselbe günstig lauten! Täglich denke ich ihrer und beklage stets aufs Neue schmerzlich, daß mir kein Wiedersehen vergönnt ward, vielleicht auch nie vergönnt sein wird.“ Wahrscheinlich nie, wenn nicht drüben! seufzte Ottoline vor sich hin: denn die Tage deiner Freundin sind gezählt, du lieber seelenguter Ludwig! „Ueber das hiesige Leben kann ich nicht viel schreiben, und darf es auch kaum. Dem gesammten Gesandtschaftspersonal ist streng untersagt, sich mündlich oder schriftlich über Frankreichs Politik zu äußern, oder Mittheilungen nach Außen zu machen, die nicht auch in den Zeitungen stehen. Jedenfalls lesen Sie den Moniteur hochverehrte Großmutter, der enthält die Quintessenz aller Ereignisse.“ „Unsere Gesandtschaft hat den Zweck, zwischen Frankreich den Frieden zu vermitteln, und der Erbstatthalter hat dazu dem Minister die ausgedehntesten Vollmachten ertheilt; allein ich fürchte, daß die günstigen Anerbietungen Hollands nicht mehr genügen, und daß Pichegru Alles aufbieten wird, um vorzudringen und Holland zu unterwerfen, dann wird wohl Friede werden, denn die Neigung zum Frieden geht jetzt durch die meisten Cabinette Europa’s. Viele aber werden auch leiden; ich fürchte sehr für meinen Vetter, den Erbherrn. Alles, was er dem Vaterlande und der treuen Anhänglichkeit an den Erbstatthalter und den Erbprinzen zum Opfer gebracht hat, wird verloren sein, ja selbst seine Freiheit ist bedroht. Ihr zweiter Enkel, beste Großmutter, Graf Johann Carl, ist zur Zeit, wo ich dies schreibe, Statthalter in Utrecht — ich fürchte ebenfalls, daß diese Statthalterschaft nur von sehr kurzer Dauer sein wird. Der Vice-Admiral soll, wie ich vernahm, sich jetzt in Hamburg aufhalten; sollte dies der Fall sein, so wird er ohne Zweifel bei Ihnen wohnen, und dann bitte ich gehorsamst, ihn freundlich zu grüßen. Er ist ein jovialer Mann, der mir Achtung und Liebe abgewonnen hat, trotz seiner Neigung zu Spott und Satyre.“ „Die Pariser Luft, die freilich vielen Leuten in diesen Zeiten nicht zusagte, behagt auch mir nicht, beste Großmutter. Ich fühle mich

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/226>, abgerufen am 18.05.2024.