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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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wie sie gewohnt war, von Büchern, Schriften und Schreibmaterialien umgeben, in einem bequemen Armsessel am Schreibpult, und überlas eine so eben von ihr selbst entworfene Schrift:

"Interims-Quittung.

Für zwanzigtausend Mark Hamburger Banco, welche Uns von Seiten Unsers ältesten Herrn Enkels, des Grafen Wilhelm Gustav Friedrich, Grafen zu Varel, In- und Kniphausen, Herrn zu Rhoon und Pendrecht u. s. w., nach Maßgabe der mit demselben in Betreff Unserer habenden und dargelegten beträchtlichen Anforderungen sowohl, als wegen einer Cession Unserer Herrlichkeit Doorwerth cum pertinentis geschlossenen Haupt-Conditionen zum Vergleich (dessen völliger Abschluß und Vollziehung durch die inmittelst eingetretenen Zeitläufte bisher behindert worden) in Abschlag des am 3. September jüngst bereits zu entrichten gewesenen ersten Terminis von fünfzigtausend Gulden Holländisch ausgezahlt und von Uns, reservatis reservandis in Empfang genommen worden. Hamburg vom Heutigen.

Charlotte Sophie."

So wird es ja wohl recht sein, sprach die Schreiberin, wenn der Rath Melchers nicht noch einige Wenn und Aber drum und dran macht, nach der Juristen Gewohnheit, der Styl aber ist abscheulich, in welchem man solche Dinge sich förmlich abquälen muß. Wenn ein Lateiner so geschrieben hätte, ein Franzose so schriebe! Für unsere Kanzleien und Gerichtshöfe leben und streben die edelsten und berufensten Geister der deutschen Nation vergebens. In diese Marterkammern unserer Sprache dringt kein Hauch von Klopstock, kein Geistesstrahl von Lessing, kein Blitz von Goethe. Ihre "Instrumente" bleiben ewig stumpf und darum um so peinlicher.

So, dies wäre gethan, das Geschäftliche abgemacht, jetzt zum rein Menschlichen! -- Die Reichsgräfin klingelte, ihre Kammerfrau trat ein.

Ich bin fertig, sagen Sie das meinen lieben Gästen, der Herzogin und der regierenden Reichsgräfin und Erbherrin, gebot die Matrone, und jene entfernte sich wieder.

Warten Sie noch einen Augenblick, meine Liebe! rief die Gräfin ihre Dienerin zurück. Weißbrod soll keinen Fleiß sparen, daß die

wie sie gewohnt war, von Büchern, Schriften und Schreibmaterialien umgeben, in einem bequemen Armsessel am Schreibpult, und überlas eine so eben von ihr selbst entworfene Schrift:

Interims-Quittung.

Für zwanzigtausend Mark Hamburger Banco, welche Uns von Seiten Unsers ältesten Herrn Enkels, des Grafen Wilhelm Gustav Friedrich, Grafen zu Varel, In- und Kniphausen, Herrn zu Rhoon und Pendrecht u. s. w., nach Maßgabe der mit demselben in Betreff Unserer habenden und dargelegten beträchtlichen Anforderungen sowohl, als wegen einer Cession Unserer Herrlichkeit Doorwerth cum pertinentis geschlossenen Haupt-Conditionen zum Vergleich (dessen völliger Abschluß und Vollziehung durch die inmittelst eingetretenen Zeitläufte bisher behindert worden) in Abschlag des am 3. September jüngst bereits zu entrichten gewesenen ersten Terminis von fünfzigtausend Gulden Holländisch ausgezahlt und von Uns, reservatis reservandis in Empfang genommen worden. Hamburg vom Heutigen.

Charlotte Sophie.“

So wird es ja wohl recht sein, sprach die Schreiberin, wenn der Rath Melchers nicht noch einige Wenn und Aber drum und dran macht, nach der Juristen Gewohnheit, der Styl aber ist abscheulich, in welchem man solche Dinge sich förmlich abquälen muß. Wenn ein Lateiner so geschrieben hätte, ein Franzose so schriebe! Für unsere Kanzleien und Gerichtshöfe leben und streben die edelsten und berufensten Geister der deutschen Nation vergebens. In diese Marterkammern unserer Sprache dringt kein Hauch von Klopstock, kein Geistesstrahl von Lessing, kein Blitz von Goethe. Ihre „Instrumente“ bleiben ewig stumpf und darum um so peinlicher.

So, dies wäre gethan, das Geschäftliche abgemacht, jetzt zum rein Menschlichen! — Die Reichsgräfin klingelte, ihre Kammerfrau trat ein.

Ich bin fertig, sagen Sie das meinen lieben Gästen, der Herzogin und der regierenden Reichsgräfin und Erbherrin, gebot die Matrone, und jene entfernte sich wieder.

Warten Sie noch einen Augenblick, meine Liebe! rief die Gräfin ihre Dienerin zurück. Weißbrod soll keinen Fleiß sparen, daß die

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[216/0220] wie sie gewohnt war, von Büchern, Schriften und Schreibmaterialien umgeben, in einem bequemen Armsessel am Schreibpult, und überlas eine so eben von ihr selbst entworfene Schrift: „Interims-Quittung. Für zwanzigtausend Mark Hamburger Banco, welche Uns von Seiten Unsers ältesten Herrn Enkels, des Grafen Wilhelm Gustav Friedrich, Grafen zu Varel, In- und Kniphausen, Herrn zu Rhoon und Pendrecht u. s. w., nach Maßgabe der mit demselben in Betreff Unserer habenden und dargelegten beträchtlichen Anforderungen sowohl, als wegen einer Cession Unserer Herrlichkeit Doorwerth cum pertinentis geschlossenen Haupt-Conditionen zum Vergleich (dessen völliger Abschluß und Vollziehung durch die inmittelst eingetretenen Zeitläufte bisher behindert worden) in Abschlag des am 3. September jüngst bereits zu entrichten gewesenen ersten Terminis von fünfzigtausend Gulden Holländisch ausgezahlt und von Uns, reservatis reservandis in Empfang genommen worden. Hamburg vom Heutigen. Charlotte Sophie.“ So wird es ja wohl recht sein, sprach die Schreiberin, wenn der Rath Melchers nicht noch einige Wenn und Aber drum und dran macht, nach der Juristen Gewohnheit, der Styl aber ist abscheulich, in welchem man solche Dinge sich förmlich abquälen muß. Wenn ein Lateiner so geschrieben hätte, ein Franzose so schriebe! Für unsere Kanzleien und Gerichtshöfe leben und streben die edelsten und berufensten Geister der deutschen Nation vergebens. In diese Marterkammern unserer Sprache dringt kein Hauch von Klopstock, kein Geistesstrahl von Lessing, kein Blitz von Goethe. Ihre „Instrumente“ bleiben ewig stumpf und darum um so peinlicher. So, dies wäre gethan, das Geschäftliche abgemacht, jetzt zum rein Menschlichen! — Die Reichsgräfin klingelte, ihre Kammerfrau trat ein. Ich bin fertig, sagen Sie das meinen lieben Gästen, der Herzogin und der regierenden Reichsgräfin und Erbherrin, gebot die Matrone, und jene entfernte sich wieder. Warten Sie noch einen Augenblick, meine Liebe! rief die Gräfin ihre Dienerin zurück. Weißbrod soll keinen Fleiß sparen, daß die

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/220>, abgerufen am 24.11.2024.