Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.Der Nase nach! Dort ist die Schenke! und damit deutete er auf ein Haus, das von Gärten und Buschwerk umgeben war. Einem übermäßig hohen dicken Strohdach, das an einigen Stellen das Sparrenwerk in etwas zusammengedrückt und folglich hie und da eine schiefe Stellung eingenommen hatte, dessen First mit dichten Moospolstern übergrünt war, aus denen sich zahlreiche rothe Blüthenstengel der Hauswurz erhoben, entragte ein schadhafter steinerner riesiger Schornstein. Das Gebäude selbst war steinern und alt, die dicken Mauern waren mit sich selbst in mancherlei Zwiespalt gerathen; hie und da schien es, als seien vor undenklichen Zeiten Breschen in das Gemäuer geschossen worden, zu denen sich nie eine ausbessernde Hand gefunden hatte. Eine Thüre reichte fast bis unter das Dach, eine andere war im Bogen gewölbt, klein und niedrig. Ein einziges, aber sehr großes Fenster mit trüben Scheiben erleuchtete die geräumige und einzige Stube des Krugs; zwischen dem Strohdach starrten einige schwarze Lucken, wie schlaftrunkene, halbgeschlossene Augen. Wohnlich sah es nicht aus, reinlich sah es nicht aus, und schön sah es gar nicht aus, dieses Haus mit seiner Umgebung, welche völlig derjenigen glich, die auf Rembrandt's Rattenfänger dargestellt ist. Es war der Typus der meisten Landhäuser in diesem Gebiete. Dorthin lenkte Windt den Schritt der Gäste und gebot dem Schenkwirth, ihnen Brod und Branntwein und was sonst vorräthig sei, verabfolgen zu lassen, indem er ihm einen bedeutsamen Wink gab. Der hungrige Haufe fiel über die aufgetragenen Nahrungsmittel her, und in ganz kurzer Zeit verschwanden zahllose Häringe, Käse, Aepfel, Birnen, Zwiebeln, Rettige, Rüben, Brode und was irgend Eßbares sich vorfand; inzwischen aber marschirte aus Helsum und aus Renkom und aus Wolfsheese je ein Trupp gut bewaffneter Schützen im Eilschritt nach Doorwerth zu. Windt hatte sich zu den Schnapphähnen gesetzt, aß und trank auch, fragte Dieses und Jenes, ließ sich erzählen, und hörte mit großer Geduld die Aufschneidereien der Marodeurs an, unter denen sich besonders ein fadenscheinig gekleideter, hagerer Franzose hervorthat, der mit seinem Mundwerk stets voran war. Dieser war auch der, welcher mit seiner Sättigung zuerst fertig wurde, aufsprang und bramarbasirend ausrief: Vive Monsieur le Maire! Vive le General! Nun gut Quartier in die Schloß für die brav Einquartier! Der Nase nach! Dort ist die Schenke! und damit deutete er auf ein Haus, das von Gärten und Buschwerk umgeben war. Einem übermäßig hohen dicken Strohdach, das an einigen Stellen das Sparrenwerk in etwas zusammengedrückt und folglich hie und da eine schiefe Stellung eingenommen hatte, dessen First mit dichten Moospolstern übergrünt war, aus denen sich zahlreiche rothe Blüthenstengel der Hauswurz erhoben, entragte ein schadhafter steinerner riesiger Schornstein. Das Gebäude selbst war steinern und alt, die dicken Mauern waren mit sich selbst in mancherlei Zwiespalt gerathen; hie und da schien es, als seien vor undenklichen Zeiten Breschen in das Gemäuer geschossen worden, zu denen sich nie eine ausbessernde Hand gefunden hatte. Eine Thüre reichte fast bis unter das Dach, eine andere war im Bogen gewölbt, klein und niedrig. Ein einziges, aber sehr großes Fenster mit trüben Scheiben erleuchtete die geräumige und einzige Stube des Krugs; zwischen dem Strohdach starrten einige schwarze Lucken, wie schlaftrunkene, halbgeschlossene Augen. Wohnlich sah es nicht aus, reinlich sah es nicht aus, und schön sah es gar nicht aus, dieses Haus mit seiner Umgebung, welche völlig derjenigen glich, die auf Rembrandt’s Rattenfänger dargestellt ist. Es war der Typus der meisten Landhäuser in diesem Gebiete. Dorthin lenkte Windt den Schritt der Gäste und gebot dem Schenkwirth, ihnen Brod und Branntwein und was sonst vorräthig sei, verabfolgen zu lassen, indem er ihm einen bedeutsamen Wink gab. Der hungrige Haufe fiel über die aufgetragenen Nahrungsmittel her, und in ganz kurzer Zeit verschwanden zahllose Häringe, Käse, Aepfel, Birnen, Zwiebeln, Rettige, Rüben, Brode und was irgend Eßbares sich vorfand; inzwischen aber marschirte aus Helsum und aus Renkom und aus Wolfsheese je ein Trupp gut bewaffneter Schützen im Eilschritt nach Doorwerth zu. Windt hatte sich zu den Schnapphähnen gesetzt, aß und trank auch, fragte Dieses und Jenes, ließ sich erzählen, und hörte mit großer Geduld die Aufschneidereien der Marodeurs an, unter denen sich besonders ein fadenscheinig gekleideter, hagerer Franzose hervorthat, der mit seinem Mundwerk stets voran war. Dieser war auch der, welcher mit seiner Sättigung zuerst fertig wurde, aufsprang und bramarbasirend ausrief: Vive Monsieur le Maire! Vive le Général! Nun gut Quartier in die Schloß für die brav Einquartier! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0192" n="188"/> Der Nase nach! Dort ist die Schenke! und damit deutete er auf ein Haus, das von Gärten und Buschwerk umgeben war. Einem übermäßig hohen dicken Strohdach, das an einigen Stellen das Sparrenwerk in etwas zusammengedrückt und folglich hie und da eine schiefe Stellung eingenommen hatte, dessen First mit dichten Moospolstern übergrünt war, aus denen sich zahlreiche rothe Blüthenstengel der Hauswurz erhoben, entragte ein schadhafter steinerner riesiger Schornstein. Das Gebäude selbst war steinern und alt, die dicken Mauern waren mit sich selbst in mancherlei Zwiespalt gerathen; hie und da schien es, als seien vor undenklichen Zeiten Breschen in das Gemäuer geschossen worden, zu denen sich nie eine ausbessernde Hand gefunden hatte. Eine Thüre reichte fast bis unter das Dach, eine andere war im Bogen gewölbt, klein und niedrig. Ein einziges, aber sehr großes Fenster mit trüben Scheiben erleuchtete die geräumige und einzige Stube des Krugs; zwischen dem Strohdach starrten einige schwarze Lucken, wie schlaftrunkene, halbgeschlossene Augen. Wohnlich sah es nicht aus, reinlich sah es nicht aus, und schön sah es gar nicht aus, dieses Haus mit seiner Umgebung, welche völlig derjenigen glich, die auf Rembrandt’s Rattenfänger dargestellt ist. Es war der Typus der meisten Landhäuser in diesem Gebiete. Dorthin lenkte Windt den Schritt der Gäste und gebot dem Schenkwirth, ihnen Brod und Branntwein und was sonst vorräthig sei, verabfolgen zu lassen, indem er ihm einen bedeutsamen Wink gab. Der hungrige Haufe fiel über die aufgetragenen Nahrungsmittel her, und in ganz kurzer Zeit verschwanden zahllose Häringe, Käse, Aepfel, Birnen, Zwiebeln, Rettige, Rüben, Brode und was irgend Eßbares sich vorfand; inzwischen aber marschirte aus Helsum und aus Renkom und aus Wolfsheese je ein Trupp gut bewaffneter Schützen im Eilschritt nach Doorwerth zu. Windt hatte sich zu den Schnapphähnen gesetzt, aß und trank auch, fragte Dieses und Jenes, ließ sich erzählen, und hörte mit großer Geduld die Aufschneidereien der Marodeurs an, unter denen sich besonders ein fadenscheinig gekleideter, hagerer Franzose hervorthat, der mit seinem Mundwerk stets voran war. Dieser war auch der, welcher mit seiner Sättigung zuerst fertig wurde, aufsprang und bramarbasirend ausrief: <hi rendition="#aq">Vive Monsieur le Maire! Vive le Général!</hi> Nun gut Quartier in die Schloß für die brav Einquartier!</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [188/0192]
Der Nase nach! Dort ist die Schenke! und damit deutete er auf ein Haus, das von Gärten und Buschwerk umgeben war. Einem übermäßig hohen dicken Strohdach, das an einigen Stellen das Sparrenwerk in etwas zusammengedrückt und folglich hie und da eine schiefe Stellung eingenommen hatte, dessen First mit dichten Moospolstern übergrünt war, aus denen sich zahlreiche rothe Blüthenstengel der Hauswurz erhoben, entragte ein schadhafter steinerner riesiger Schornstein. Das Gebäude selbst war steinern und alt, die dicken Mauern waren mit sich selbst in mancherlei Zwiespalt gerathen; hie und da schien es, als seien vor undenklichen Zeiten Breschen in das Gemäuer geschossen worden, zu denen sich nie eine ausbessernde Hand gefunden hatte. Eine Thüre reichte fast bis unter das Dach, eine andere war im Bogen gewölbt, klein und niedrig. Ein einziges, aber sehr großes Fenster mit trüben Scheiben erleuchtete die geräumige und einzige Stube des Krugs; zwischen dem Strohdach starrten einige schwarze Lucken, wie schlaftrunkene, halbgeschlossene Augen. Wohnlich sah es nicht aus, reinlich sah es nicht aus, und schön sah es gar nicht aus, dieses Haus mit seiner Umgebung, welche völlig derjenigen glich, die auf Rembrandt’s Rattenfänger dargestellt ist. Es war der Typus der meisten Landhäuser in diesem Gebiete. Dorthin lenkte Windt den Schritt der Gäste und gebot dem Schenkwirth, ihnen Brod und Branntwein und was sonst vorräthig sei, verabfolgen zu lassen, indem er ihm einen bedeutsamen Wink gab. Der hungrige Haufe fiel über die aufgetragenen Nahrungsmittel her, und in ganz kurzer Zeit verschwanden zahllose Häringe, Käse, Aepfel, Birnen, Zwiebeln, Rettige, Rüben, Brode und was irgend Eßbares sich vorfand; inzwischen aber marschirte aus Helsum und aus Renkom und aus Wolfsheese je ein Trupp gut bewaffneter Schützen im Eilschritt nach Doorwerth zu. Windt hatte sich zu den Schnapphähnen gesetzt, aß und trank auch, fragte Dieses und Jenes, ließ sich erzählen, und hörte mit großer Geduld die Aufschneidereien der Marodeurs an, unter denen sich besonders ein fadenscheinig gekleideter, hagerer Franzose hervorthat, der mit seinem Mundwerk stets voran war. Dieser war auch der, welcher mit seiner Sättigung zuerst fertig wurde, aufsprang und bramarbasirend ausrief: Vive Monsieur le Maire! Vive le Général! Nun gut Quartier in die Schloß für die brav Einquartier!
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