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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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Ludwig. Komm Bursche und trinke! Es ist heute unser Geburtstag. -- Wenn der Kerl nur verdronken wäre! fügte Philipp mit vollem Ernst hinzu. Auf des gnädigen Herren gutes Wohlsein!

Windt erschloß die Brieftasche; sie enthielt der Briefe viele. Mit Freude im Blick rief er aus: Ah! Gott sei Dank, ein Brief vom gnädigen Erbherrn! Hier einer von der alten Excellenz aus Hamburg; hier einer an Sie, Dame Anges aus Zweibrücken; hier einer an Sie, Herr Leonardus van der Valck; halt, noch einer, auch an Sie! Nun, möge es allseits eine gute Festbescheerung geben! -- Mit sehr verschiedenen Gefühlen im Herzen der Empfänger wurden diese verschiedenen Briefe entgegengenommen. Welch eigenthümliches Hereintreten der Außenwelt in den Menschenkreis, der dieses einsame Schloß belebte! -- Windt erbrach hastig den Brief des Erbherrn, in ihm lag ein Brief an Ludwig beigeschlossen. -- Ich war schon gefaßt darauf, leer auszugehen, wie so oft, sprach dieser. Was kann der Vetter mir zu schreiben haben?

Windt las den Brief des Erbherrn laut vor. "Im Haag, den und den. Ich habe Ihre beiden Briefe wohl empfangen, mein liebster Windt, aber da ich zur Zeit ihres Einganges weder in Amsterdam noch im Haag war, sondern in dringenden Geschäften anderswo, so habe ich Ihnen nicht früher antworten können, was mir leid thut. Ich hoffe zu Ende nächster Woche von hier nach Doorwerth reisen zu können; ich kann unmöglich früher; ich habe auch, hoffe ich, das nöthige Geld gefunden. Gebe der Himmel, daß dies Geschäft bald endige, denn mein Kopf geht mit mir um; es ist in diesen Zeiten so drangvoll, daß ich fast nicht weiß, wo anfangen und wie alles Begonnene vollenden. Adieu mein Bester! Leben Sie wohl.

Wilhelm Gustav Friedrich."

Mit Hast erbrach Windt nun das Schreiben der Reichsgräfin. Ach, rief er aus, halb lachend, halb ärgerlich: der hochgnädig ertheilte Urlaub für mich zur Brunnenkur in Pyrmont, um den ich vor sechs Wochen gebeten! Was hilft er mich nun, wo die Gefahr mit jedem Tage uns näher rückt? Gott weiß, wie sehr ich dieser Cur bedürfte, aber kann ich jetzt fort, darf ich fort? Von Amsterdam die schlechtesten Nachrichten, wo es so steht, daß man dort weniger die Franzosen fürchtet, als die Patrioten; schöne Patrioten das, die den Pöbel auf ihre Seite gelockt haben -- so machen es die Hunde von

Ludwig. Komm Bursche und trinke! Es ist heute unser Geburtstag. — Wenn der Kerl nur verdronken wäre! fügte Philipp mit vollem Ernst hinzu. Auf des gnädigen Herren gutes Wohlsein!

Windt erschloß die Brieftasche; sie enthielt der Briefe viele. Mit Freude im Blick rief er aus: Ah! Gott sei Dank, ein Brief vom gnädigen Erbherrn! Hier einer von der alten Excellenz aus Hamburg; hier einer an Sie, Dame Angés aus Zweibrücken; hier einer an Sie, Herr Leonardus van der Valck; halt, noch einer, auch an Sie! Nun, möge es allseits eine gute Festbescheerung geben! — Mit sehr verschiedenen Gefühlen im Herzen der Empfänger wurden diese verschiedenen Briefe entgegengenommen. Welch eigenthümliches Hereintreten der Außenwelt in den Menschenkreis, der dieses einsame Schloß belebte! — Windt erbrach hastig den Brief des Erbherrn, in ihm lag ein Brief an Ludwig beigeschlossen. — Ich war schon gefaßt darauf, leer auszugehen, wie so oft, sprach dieser. Was kann der Vetter mir zu schreiben haben?

Windt las den Brief des Erbherrn laut vor. „Im Haag, den und den. Ich habe Ihre beiden Briefe wohl empfangen, mein liebster Windt, aber da ich zur Zeit ihres Einganges weder in Amsterdam noch im Haag war, sondern in dringenden Geschäften anderswo, so habe ich Ihnen nicht früher antworten können, was mir leid thut. Ich hoffe zu Ende nächster Woche von hier nach Doorwerth reisen zu können; ich kann unmöglich früher; ich habe auch, hoffe ich, das nöthige Geld gefunden. Gebe der Himmel, daß dies Geschäft bald endige, denn mein Kopf geht mit mir um; es ist in diesen Zeiten so drangvoll, daß ich fast nicht weiß, wo anfangen und wie alles Begonnene vollenden. Adieu mein Bester! Leben Sie wohl.

Wilhelm Gustav Friedrich.“

Mit Hast erbrach Windt nun das Schreiben der Reichsgräfin. Ach, rief er aus, halb lachend, halb ärgerlich: der hochgnädig ertheilte Urlaub für mich zur Brunnenkur in Pyrmont, um den ich vor sechs Wochen gebeten! Was hilft er mich nun, wo die Gefahr mit jedem Tage uns näher rückt? Gott weiß, wie sehr ich dieser Cur bedürfte, aber kann ich jetzt fort, darf ich fort? Von Amsterdam die schlechtesten Nachrichten, wo es so steht, daß man dort weniger die Franzosen fürchtet, als die Patrioten; schöne Patrioten das, die den Pöbel auf ihre Seite gelockt haben — so machen es die Hunde von

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          <p>Windt las den Brief des Erbherrn laut vor. &#x201E;Im Haag, den und den. Ich habe Ihre beiden Briefe wohl empfangen, mein liebster Windt, aber da ich zur Zeit ihres Einganges weder in Amsterdam noch im Haag war, sondern in dringenden Geschäften anderswo, so habe ich Ihnen nicht früher antworten können, was mir leid thut. Ich hoffe zu Ende nächster Woche von hier nach Doorwerth reisen zu können; ich kann unmöglich früher; ich habe auch, hoffe ich, das nöthige Geld gefunden. Gebe der Himmel, daß dies Geschäft bald endige, denn mein Kopf geht mit mir um; es ist in diesen Zeiten so drangvoll, daß ich fast nicht weiß, wo anfangen und wie alles Begonnene vollenden. Adieu mein Bester! Leben Sie wohl.</p>
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[158/0162] Ludwig. Komm Bursche und trinke! Es ist heute unser Geburtstag. — Wenn der Kerl nur verdronken wäre! fügte Philipp mit vollem Ernst hinzu. Auf des gnädigen Herren gutes Wohlsein! Windt erschloß die Brieftasche; sie enthielt der Briefe viele. Mit Freude im Blick rief er aus: Ah! Gott sei Dank, ein Brief vom gnädigen Erbherrn! Hier einer von der alten Excellenz aus Hamburg; hier einer an Sie, Dame Angés aus Zweibrücken; hier einer an Sie, Herr Leonardus van der Valck; halt, noch einer, auch an Sie! Nun, möge es allseits eine gute Festbescheerung geben! — Mit sehr verschiedenen Gefühlen im Herzen der Empfänger wurden diese verschiedenen Briefe entgegengenommen. Welch eigenthümliches Hereintreten der Außenwelt in den Menschenkreis, der dieses einsame Schloß belebte! — Windt erbrach hastig den Brief des Erbherrn, in ihm lag ein Brief an Ludwig beigeschlossen. — Ich war schon gefaßt darauf, leer auszugehen, wie so oft, sprach dieser. Was kann der Vetter mir zu schreiben haben? Windt las den Brief des Erbherrn laut vor. „Im Haag, den und den. Ich habe Ihre beiden Briefe wohl empfangen, mein liebster Windt, aber da ich zur Zeit ihres Einganges weder in Amsterdam noch im Haag war, sondern in dringenden Geschäften anderswo, so habe ich Ihnen nicht früher antworten können, was mir leid thut. Ich hoffe zu Ende nächster Woche von hier nach Doorwerth reisen zu können; ich kann unmöglich früher; ich habe auch, hoffe ich, das nöthige Geld gefunden. Gebe der Himmel, daß dies Geschäft bald endige, denn mein Kopf geht mit mir um; es ist in diesen Zeiten so drangvoll, daß ich fast nicht weiß, wo anfangen und wie alles Begonnene vollenden. Adieu mein Bester! Leben Sie wohl. Wilhelm Gustav Friedrich.“ Mit Hast erbrach Windt nun das Schreiben der Reichsgräfin. Ach, rief er aus, halb lachend, halb ärgerlich: der hochgnädig ertheilte Urlaub für mich zur Brunnenkur in Pyrmont, um den ich vor sechs Wochen gebeten! Was hilft er mich nun, wo die Gefahr mit jedem Tage uns näher rückt? Gott weiß, wie sehr ich dieser Cur bedürfte, aber kann ich jetzt fort, darf ich fort? Von Amsterdam die schlechtesten Nachrichten, wo es so steht, daß man dort weniger die Franzosen fürchtet, als die Patrioten; schöne Patrioten das, die den Pöbel auf ihre Seite gelockt haben — so machen es die Hunde von

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/162>, abgerufen am 24.11.2024.