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Becher, Johann Joachim: Psychosophia Oder Seelen-Weißheit. 2. Aufl. Frankfurt (Main), [1683].

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Psychosophia.
necessitate nesciendi: & tamen quia cogit hu-
mana societas, necessitate etiam judicandi.
Haec est ergo quam dicimus miseria certe homi-
nis, etsi non malitia sapientis. An vero necessi-
tate nesciendi atque judicandi torquet inson-
tes, punit insontes: & parum est illi, quod non
estreus, si non sit insuper & beatus? Quanto
consideratius & homine dignius cognoscit in
ista necessitate miseriam, eamque in se odit: &
si pie sapit, clamat ad Deum, de necessitatibus
erue me.
Das ist: Was seynd die Urtheile der
Menschen von den Menschen/ die in denen ruh-
gelassenen Städten nicht ermangeln können?
Was meynen wir/ daß solches sey/ wie elende/
wie zu beklagen? Dann dieselbe urtheilen biß-
weilen/ welche derer geniessen/ über welche sie ur-
theilen nicht erkennen können/ dahero werden sie
offt gezwungen durch Peinigung der unschuldigen
Zeugen/ die Warheit/ so zu einer andern Sache
gehörig/ zu erforschen. Was? da ein jeder in seiner
eigenen Sache gepeiniget wird/ und man gefra-
get wird/ ob er schuldig sey/ wird er gefoltert/ und
der Unschuldige leidet für eine ungewisse Misse-
that/ gewisse Straffe/ nicht dieweil offenbar wird/
daß er solches gethan habe/ sondern daß man nicht
weiß/ ob er solches gethan habe; und dardurch ist
die Unwissenheit des Richters gemeiniglich das
Elend der Unschuldigen. Und was noch uner-

träglicher

Pſychoſophia.
neceſſitate neſciendi: & tamen quia cogit hu-
mana ſocietas, neceſſitate etiam judicandi.
Hæc eſt ergo quam dicimus miſeria certè homi-
nis, etſi non malitia ſapientis. An verò neceſſi-
tate neſciendi atque judicandi torquet inſon-
tes, punit inſontes: & parum eſt illi, quòd non
eſtreus, ſi non ſit inſuper & beatus? Quanto
conſideratius & homine dignius cognoſcit in
iſta neceſſitate miſeriam, eamque in ſe odit: &
ſi piè ſapit, clamat ad Deum, de neceſſitatibus
erue me.
Das iſt: Was ſeynd die Urtheile der
Menſchen von den Menſchen/ die in denen ruh-
gelaſſenen Staͤdten nicht ermangeln koͤnnen?
Was meynen wir/ daß ſolches ſey/ wie elende/
wie zu beklagen? Dann dieſelbe urtheilen biß-
weilen/ welche derer genieſſen/ uͤber welche ſie ur-
theilen nicht erkennen koͤnnen/ dahero werden ſie
offt gezwungẽ durch Peinigung der unſchuldigen
Zeugen/ die Warheit/ ſo zu einer andern Sache
gehoͤrig/ zu erforſchẽ. Was? da ein jeder in ſeiner
eigenen Sache gepeiniget wird/ und man gefra-
get wird/ ob er ſchuldig ſey/ wird er gefoltert/ und
der Unſchuldige leidet fuͤr eine ungewiſſe Miſſe-
that/ gewiſſe Straffe/ nicht dieweil offenbar wird/
daß er ſolches gethan habe/ ſondern daß man nicht
weiß/ ob er ſolches gethan habe; und dardurch iſt
die Unwiſſenheit des Richters gemeiniglich das
Elend der Unſchuldigen. Und was noch uner-

traͤglicher
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[282/0340] Pſychoſophia. neceſſitate neſciendi: & tamen quia cogit hu- mana ſocietas, neceſſitate etiam judicandi. Hæc eſt ergo quam dicimus miſeria certè homi- nis, etſi non malitia ſapientis. An verò neceſſi- tate neſciendi atque judicandi torquet inſon- tes, punit inſontes: & parum eſt illi, quòd non eſtreus, ſi non ſit inſuper & beatus? Quanto conſideratius & homine dignius cognoſcit in iſta neceſſitate miſeriam, eamque in ſe odit: & ſi piè ſapit, clamat ad Deum, de neceſſitatibus erue me. Das iſt: Was ſeynd die Urtheile der Menſchen von den Menſchen/ die in denen ruh- gelaſſenen Staͤdten nicht ermangeln koͤnnen? Was meynen wir/ daß ſolches ſey/ wie elende/ wie zu beklagen? Dann dieſelbe urtheilen biß- weilen/ welche derer genieſſen/ uͤber welche ſie ur- theilen nicht erkennen koͤnnen/ dahero werden ſie offt gezwungẽ durch Peinigung der unſchuldigen Zeugen/ die Warheit/ ſo zu einer andern Sache gehoͤrig/ zu erforſchẽ. Was? da ein jeder in ſeiner eigenen Sache gepeiniget wird/ und man gefra- get wird/ ob er ſchuldig ſey/ wird er gefoltert/ und der Unſchuldige leidet fuͤr eine ungewiſſe Miſſe- that/ gewiſſe Straffe/ nicht dieweil offenbar wird/ daß er ſolches gethan habe/ ſondern daß man nicht weiß/ ob er ſolches gethan habe; und dardurch iſt die Unwiſſenheit des Richters gemeiniglich das Elend der Unſchuldigen. Und was noch uner- traͤglicher

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Zitationshilfe: Becher, Johann Joachim: Psychosophia Oder Seelen-Weißheit. 2. Aufl. Frankfurt (Main), [1683], S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/becher_psychosophia_1683/340>, abgerufen am 23.11.2024.