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Bebel, August: Die Sozialdemokratie und das Allgemeine Stimmrecht. Berlin, 1895.

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Ein solches Wahlsystem durchgeführt, würde folgende Vortheile ergeben:

1. Jede Partei erhielt genau die Vertreterzahl, die sie nach Maßgabe der
für sie abgegebenen Stimmen beanspruchen kann.
2. Jndem statt der Personen die Parteien und ihre Bestrebungen in den
Vordergrund der Erörterung treten, verliert der Wahlkampf jeden persönlichen
Charakter, er vertieft sich und wird prinzipiell, er wird um Grundsätze geführt.
Auch der Kampf um Kirchthurmsinteressen wäre beseitigt.
3. Jede Partei hat die Sicherheit, daß sie diejenigen Personen, die sie in
erster Linie im parlamentarischen Kampfe thätig sehen will, in die Parlamente
bringt. Es kann nicht mehr vorkommen, daß erste Kräfte einer Partei durch das
Wahlmißgeschick geschlagen werden, wohingegen Kräfte von geringerer Bedeutung
siegen. Z. B. würden die Nationalliberalen einen Wörmann, den sie schwer ent-
behren, sicher im Reichstag haben, während bei dem jetzigen Wahlsystem keine
Aussicht vorhanden ist, daß er jemals wieder in Hamburg gewählt wird.
4. Bliebe es den Parteien unbenommen, die Kandidaten auch nach Lands-
mannschaften auszustellen und nach Maßgabe der abgegebenen Stimmen als ge-
wählt proklamiren zu lassen. Wenn z. B. das bayerische Zentrum verlangte, daß auf
333000 in Bayern abgegebene Zentrumsstimmen die entsprechende Zahl Vertreter
aus Bayern genommen werde, so stünde der Ausführung dieses Verlangens kein
Hinderniß im Wege. Die Parteien machen das unter sich ab.
5. Hörten die Stichwahlen auf und wäre damit eine Quelle großen Aerger-
nisses für alle Parteien beseitigt.
6. Wären amtliche und sonstige Maßregelungen gegen die Person des Kan-
didaten, weil letzterer nicht mehr in den Vordergrund tritt, wesentlich erschwert,
oft sogar unmöglich gemacht.
7. Würde der Kandidatenmangel, an dem gerade die bürgerlichen Parteien
am meisten leiden, verschwinden oder doch geringer werden, weil kein Kandidat
mehr seiner Person wegen in den Wahlkampf einzutreten brauchte. Auch besteht
keine Gefahr mehr für eine persönliche Niederlage.
8. Wäre die gewählte Volksvertretung ganz und voll der Ausdruck der An-
schauungen in den Wählerkreisen.

Als selbstverständlich wird vorausgesetzt, daß die offiziell für die Bewerbung
angemeldeten Parteien und einzelnen Personen bei der Feststellung der Wahlresultate
in entsprechender Weise vertreten sind.

Das Proportionalwahlsystem ist bereits in einer Reihe von Schweizer-
kantonen in Uebung und es wird nicht lange währen und es ist in der ganzen
Schweiz für alle Wahlen in Gebrauch. Das Proportionalwahlsystem, beruhend
auf dem Grundsatz bei allgemeinen, gleichen direkten und geheimen Wahlrechts,
ist das Jdeal eines Wahlsystems.

Aber das ist gerade der schwerwiegendste Grund für unsere herr-
schenden Klassen, es nicht zu wollen und mit aller Kraft seiner Ver-
wirklichung entgegenzutreten
.



Schluß.

Als im Februar 1893 die belgischen Arbeiter eine große Agitation für
die Einführung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts ent-
falteten, sah sich der Brüsseler Korrespondent der "Frankfurter Zeitung" ver-
anlaßt, den General Brialmont - bekanntlich eine militärische Autorität ersten
Ranges auf dem Gebiete der Beseitigungskunst - darüber zu befragen, wie er
zu der Frage des allgemeinen Wahlrechts stehe. Nach dem Bericht der "Frank-
furter Zeitung" vom 16. April (Abendblatt Nr. 107) antwortete der General:
"Jch bin Anhänger des allgemeinen Stimmrechts und halte es nach
wie vor für die einfachste Lösung der bestehenden Schwierigkeiten.
Dabei gehe ich von meinem speziellen Standpunkt als Soldat aus.

Ein solches Wahlsystem durchgeführt, würde folgende Vortheile ergeben:

1. Jede Partei erhielt genau die Vertreterzahl, die sie nach Maßgabe der
für sie abgegebenen Stimmen beanspruchen kann.
2. Jndem statt der Personen die Parteien und ihre Bestrebungen in den
Vordergrund der Erörterung treten, verliert der Wahlkampf jeden persönlichen
Charakter, er vertieft sich und wird prinzipiell, er wird um Grundsätze geführt.
Auch der Kampf um Kirchthurmsinteressen wäre beseitigt.
3. Jede Partei hat die Sicherheit, daß sie diejenigen Personen, die sie in
erster Linie im parlamentarischen Kampfe thätig sehen will, in die Parlamente
bringt. Es kann nicht mehr vorkommen, daß erste Kräfte einer Partei durch das
Wahlmißgeschick geschlagen werden, wohingegen Kräfte von geringerer Bedeutung
siegen. Z. B. würden die Nationalliberalen einen Wörmann, den sie schwer ent-
behren, sicher im Reichstag haben, während bei dem jetzigen Wahlsystem keine
Aussicht vorhanden ist, daß er jemals wieder in Hamburg gewählt wird.
4. Bliebe es den Parteien unbenommen, die Kandidaten auch nach Lands-
mannschaften auszustellen und nach Maßgabe der abgegebenen Stimmen als ge-
wählt proklamiren zu lassen. Wenn z. B. das bayerische Zentrum verlangte, daß auf
333000 in Bayern abgegebene Zentrumsstimmen die entsprechende Zahl Vertreter
aus Bayern genommen werde, so stünde der Ausführung dieses Verlangens kein
Hinderniß im Wege. Die Parteien machen das unter sich ab.
5. Hörten die Stichwahlen auf und wäre damit eine Quelle großen Aerger-
nisses für alle Parteien beseitigt.
6. Wären amtliche und sonstige Maßregelungen gegen die Person des Kan-
didaten, weil letzterer nicht mehr in den Vordergrund tritt, wesentlich erschwert,
oft sogar unmöglich gemacht.
7. Würde der Kandidatenmangel, an dem gerade die bürgerlichen Parteien
am meisten leiden, verschwinden oder doch geringer werden, weil kein Kandidat
mehr seiner Person wegen in den Wahlkampf einzutreten brauchte. Auch besteht
keine Gefahr mehr für eine persönliche Niederlage.
8. Wäre die gewählte Volksvertretung ganz und voll der Ausdruck der An-
schauungen in den Wählerkreisen.

Als selbstverständlich wird vorausgesetzt, daß die offiziell für die Bewerbung
angemeldeten Parteien und einzelnen Personen bei der Feststellung der Wahlresultate
in entsprechender Weise vertreten sind.

Das Proportionalwahlsystem ist bereits in einer Reihe von Schweizer-
kantonen in Uebung und es wird nicht lange währen und es ist in der ganzen
Schweiz für alle Wahlen in Gebrauch. Das Proportionalwahlsystem, beruhend
auf dem Grundsatz bei allgemeinen, gleichen direkten und geheimen Wahlrechts,
ist das Jdeal eines Wahlsystems.

Aber das ist gerade der schwerwiegendste Grund für unsere herr-
schenden Klassen, es nicht zu wollen und mit aller Kraft seiner Ver-
wirklichung entgegenzutreten
.



Schluß.

Als im Februar 1893 die belgischen Arbeiter eine große Agitation für
die Einführung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts ent-
falteten, sah sich der Brüsseler Korrespondent der „Frankfurter Zeitung“ ver-
anlaßt, den General Brialmont – bekanntlich eine militärische Autorität ersten
Ranges auf dem Gebiete der Beseitigungskunst – darüber zu befragen, wie er
zu der Frage des allgemeinen Wahlrechts stehe. Nach dem Bericht der „Frank-
furter Zeitung“ vom 16. April (Abendblatt Nr. 107) antwortete der General:
Jch bin Anhänger des allgemeinen Stimmrechts und halte es nach
wie vor für die einfachste Lösung der bestehenden Schwierigkeiten.
Dabei gehe ich von meinem speziellen Standpunkt als Soldat aus.

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[54/0058] Ein solches Wahlsystem durchgeführt, würde folgende Vortheile ergeben: 1. Jede Partei erhielt genau die Vertreterzahl, die sie nach Maßgabe der für sie abgegebenen Stimmen beanspruchen kann. 2. Jndem statt der Personen die Parteien und ihre Bestrebungen in den Vordergrund der Erörterung treten, verliert der Wahlkampf jeden persönlichen Charakter, er vertieft sich und wird prinzipiell, er wird um Grundsätze geführt. Auch der Kampf um Kirchthurmsinteressen wäre beseitigt. 3. Jede Partei hat die Sicherheit, daß sie diejenigen Personen, die sie in erster Linie im parlamentarischen Kampfe thätig sehen will, in die Parlamente bringt. Es kann nicht mehr vorkommen, daß erste Kräfte einer Partei durch das Wahlmißgeschick geschlagen werden, wohingegen Kräfte von geringerer Bedeutung siegen. Z. B. würden die Nationalliberalen einen Wörmann, den sie schwer ent- behren, sicher im Reichstag haben, während bei dem jetzigen Wahlsystem keine Aussicht vorhanden ist, daß er jemals wieder in Hamburg gewählt wird. 4. Bliebe es den Parteien unbenommen, die Kandidaten auch nach Lands- mannschaften auszustellen und nach Maßgabe der abgegebenen Stimmen als ge- wählt proklamiren zu lassen. Wenn z. B. das bayerische Zentrum verlangte, daß auf 333000 in Bayern abgegebene Zentrumsstimmen die entsprechende Zahl Vertreter aus Bayern genommen werde, so stünde der Ausführung dieses Verlangens kein Hinderniß im Wege. Die Parteien machen das unter sich ab. 5. Hörten die Stichwahlen auf und wäre damit eine Quelle großen Aerger- nisses für alle Parteien beseitigt. 6. Wären amtliche und sonstige Maßregelungen gegen die Person des Kan- didaten, weil letzterer nicht mehr in den Vordergrund tritt, wesentlich erschwert, oft sogar unmöglich gemacht. 7. Würde der Kandidatenmangel, an dem gerade die bürgerlichen Parteien am meisten leiden, verschwinden oder doch geringer werden, weil kein Kandidat mehr seiner Person wegen in den Wahlkampf einzutreten brauchte. Auch besteht keine Gefahr mehr für eine persönliche Niederlage. 8. Wäre die gewählte Volksvertretung ganz und voll der Ausdruck der An- schauungen in den Wählerkreisen. Als selbstverständlich wird vorausgesetzt, daß die offiziell für die Bewerbung angemeldeten Parteien und einzelnen Personen bei der Feststellung der Wahlresultate in entsprechender Weise vertreten sind. Das Proportionalwahlsystem ist bereits in einer Reihe von Schweizer- kantonen in Uebung und es wird nicht lange währen und es ist in der ganzen Schweiz für alle Wahlen in Gebrauch. Das Proportionalwahlsystem, beruhend auf dem Grundsatz bei allgemeinen, gleichen direkten und geheimen Wahlrechts, ist das Jdeal eines Wahlsystems. Aber das ist gerade der schwerwiegendste Grund für unsere herr- schenden Klassen, es nicht zu wollen und mit aller Kraft seiner Ver- wirklichung entgegenzutreten. Schluß. Als im Februar 1893 die belgischen Arbeiter eine große Agitation für die Einführung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts ent- falteten, sah sich der Brüsseler Korrespondent der „Frankfurter Zeitung“ ver- anlaßt, den General Brialmont – bekanntlich eine militärische Autorität ersten Ranges auf dem Gebiete der Beseitigungskunst – darüber zu befragen, wie er zu der Frage des allgemeinen Wahlrechts stehe. Nach dem Bericht der „Frank- furter Zeitung“ vom 16. April (Abendblatt Nr. 107) antwortete der General: „Jch bin Anhänger des allgemeinen Stimmrechts und halte es nach wie vor für die einfachste Lösung der bestehenden Schwierigkeiten. Dabei gehe ich von meinem speziellen Standpunkt als Soldat aus.

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Zitationshilfe: Bebel, August: Die Sozialdemokratie und das Allgemeine Stimmrecht. Berlin, 1895, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bebel_sozialdemokratie_1895/58>, abgerufen am 28.11.2024.