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Bebel, August: Die Sozialdemokratie und das Allgemeine Stimmrecht. Berlin, 1895.

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für öffentliche Zwecke. Damit würde es aber doch im direkten Widerspruch stehen,
wenn sich der Umfang des Wahlrechts nicht nach der Steuer, die Jemand entrichtet,
sondern nach den Steuern, die ihm erlassen werden, bemessen soll."

Und Herrfurth schließt:

"Lieber eine Verzögerung um ein oder zwei Jahre, als eine Reform, welche
zwar nicht die Absicht (!), nach meinem Dafürhalten aber die Wirkung haben
würde, die Jnteressen der Gemeinden und kommunalen Verbände und die politischen
Rechte der minder wohlhabenden Klassen den Jnteressen einzelner Klassen von
Besitzenden hintanzustellen, eine Reform, welche trotz der besten Absicht (!) Gefahr
laufen würde, sich zu gestalten zu einer reformatio in pejus."*)

Hervorgehoben muß werden, daß Herrfurth ein Anhänger des Dreiklassen-
wahlsystems ist, aber die Reform im plutokratisch-agrarischen Sinne ging ihm
wider den Strich. Daher warnte er auch in der Sitzung vom 13. Januar 1893,
nachdem er hervorgehoben hatte, daß schon im Jahre 1888 mehr als
4000 Urwahlbezirke vorhanden gewesen waren, in welchen die Wahl-
männer von 1 und 2 Wählern ernannt wurden
, der plutokratische Charakter
der Wahlrechts also schon damals ein sehr bedenklicher gewesen ist:

"Wir dürfen uns nicht verhehlen, die bloße Existenz des Reichstagswahl-
rechts ist eine schwere und dauernde Gefahr für das Dreiklassenwahlsystem."

Aber seine Warnungen und Rathschläge verhallten. Die Majorität war
entschlossen, unter allen Umständen ein Gesetz zu Stande zu bringen, das den
reichen Klassen die Macht sicherte. Zwar stellte die freisinnige Fraktion unter
Führung Rickert's den Antrag, das Reichstagswahlgesetz auch für die Landtags-
wahlen einzuführen, aber dieser Antrag würde so lau und lahm und in so ele-
gischer Stimmung durch den Antragsteller vertheidigt, daß alle Welt sah, der
Antrag wurde nur anstandshalber gestellt. Das rückte namentlich der freikonser-
vative Abgeordnete Ahrendt den Freisinnigen vor. Die Antragsteller ließen es auch zu,
daß ihr Antrag so rasch als möglich todtgeschlagen wurde, indem sie einwilligten,
daß der Antrag, der ein Gesetzentwurf war, als Amendement zur Regierungs-
vorlage behandelt wurde - "um Zeit zu ersparen" - wodurch er mit einer
Abstimmung abgethan war. Auch die sonstige Haltung der Freisinnigen in den
Kommissions- und Plenarverhandlungen war eine sehr lahme. Sie betheiligten
sich mit einem Ernst an der Amendirung der Regierungsvorlage, der zeigte, sie
würden herzlich gerne für eine solche "Reform" gestimmt haben, wäre ihnen dieses
einigermaßen möglich gemacht worden. Jm höchsten Grade traurig benahm sich
das Zentrum in der Sitzung vom 13. Januar 1893. Sein Vertreter, der Ab-
geordnete Bachem, begnügte sich, dem allgemeinen gleichen und direkten Wahlrecht
einige platonische Komplimente zu machen. Er wolle auf diese Frage jetzt nicht
eingehen, eine Diskussion darüber habe nur akademischen Werth. Da-
gegen legte er sich um so eifriger in's Zeug, um die 2000 Mk. Grenze bei der Ein-
kommensteuer, über die hinaus diese Steuer für das Wahlrecht nicht in Anrech-
nung kommen sollte, durchzusetzen.

"Jn meiner Vaterstadt Köln, rief er, wählen Landgerichtsräthe, Oberlandes-
gerichtsräthe und Landgerichtsdirektoren in der 3. Klasse. Wir haben hier in
Berlin die Thatsache, daß die meisten Minister in der 3. Klasse wählen. Absolut
unhaltbare Zustände. Es wird unser Bestreben sein müssen, diese Ele-
mente für die 2. Klasse zu retten
(das war also der Zweck und Kernpunkt
der Reform des Zentrums. D. Verf.); dieselben gehören in die 2. Klasse
hinein
! (Große Heiterkeit.)

"Meine Herren, ich hätte sagen können: sie gehören mindestens in die
2. Klasse hinein! (Heiterkeit.)

Welche Volksfreundlichkeit, welcher Radikalismus!

*) Reform zum Schlechteren, d.h. zu Gunsten des Geldsacks. - Die Sperrung
der Sätze und die (!) rühren von uns her. Der Verfasser.

für öffentliche Zwecke. Damit würde es aber doch im direkten Widerspruch stehen,
wenn sich der Umfang des Wahlrechts nicht nach der Steuer, die Jemand entrichtet,
sondern nach den Steuern, die ihm erlassen werden, bemessen soll.“

Und Herrfurth schließt:

„Lieber eine Verzögerung um ein oder zwei Jahre, als eine Reform, welche
zwar nicht die Absicht (!), nach meinem Dafürhalten aber die Wirkung haben
würde, die Jnteressen der Gemeinden und kommunalen Verbände und die politischen
Rechte der minder wohlhabenden Klassen den Jnteressen einzelner Klassen von
Besitzenden hintanzustellen, eine Reform, welche trotz der besten Absicht (!) Gefahr
laufen würde, sich zu gestalten zu einer reformatio in pejus.“*)

Hervorgehoben muß werden, daß Herrfurth ein Anhänger des Dreiklassen-
wahlsystems ist, aber die Reform im plutokratisch-agrarischen Sinne ging ihm
wider den Strich. Daher warnte er auch in der Sitzung vom 13. Januar 1893,
nachdem er hervorgehoben hatte, daß schon im Jahre 1888 mehr als
4000 Urwahlbezirke vorhanden gewesen waren, in welchen die Wahl-
männer von 1 und 2 Wählern ernannt wurden
, der plutokratische Charakter
der Wahlrechts also schon damals ein sehr bedenklicher gewesen ist:

„Wir dürfen uns nicht verhehlen, die bloße Existenz des Reichstagswahl-
rechts ist eine schwere und dauernde Gefahr für das Dreiklassenwahlsystem.“

Aber seine Warnungen und Rathschläge verhallten. Die Majorität war
entschlossen, unter allen Umständen ein Gesetz zu Stande zu bringen, das den
reichen Klassen die Macht sicherte. Zwar stellte die freisinnige Fraktion unter
Führung Rickert's den Antrag, das Reichstagswahlgesetz auch für die Landtags-
wahlen einzuführen, aber dieser Antrag würde so lau und lahm und in so ele-
gischer Stimmung durch den Antragsteller vertheidigt, daß alle Welt sah, der
Antrag wurde nur anstandshalber gestellt. Das rückte namentlich der freikonser-
vative Abgeordnete Ahrendt den Freisinnigen vor. Die Antragsteller ließen es auch zu,
daß ihr Antrag so rasch als möglich todtgeschlagen wurde, indem sie einwilligten,
daß der Antrag, der ein Gesetzentwurf war, als Amendement zur Regierungs-
vorlage behandelt wurde – „um Zeit zu ersparen“ – wodurch er mit einer
Abstimmung abgethan war. Auch die sonstige Haltung der Freisinnigen in den
Kommissions- und Plenarverhandlungen war eine sehr lahme. Sie betheiligten
sich mit einem Ernst an der Amendirung der Regierungsvorlage, der zeigte, sie
würden herzlich gerne für eine solche „Reform“ gestimmt haben, wäre ihnen dieses
einigermaßen möglich gemacht worden. Jm höchsten Grade traurig benahm sich
das Zentrum in der Sitzung vom 13. Januar 1893. Sein Vertreter, der Ab-
geordnete Bachem, begnügte sich, dem allgemeinen gleichen und direkten Wahlrecht
einige platonische Komplimente zu machen. Er wolle auf diese Frage jetzt nicht
eingehen, eine Diskussion darüber habe nur akademischen Werth. Da-
gegen legte er sich um so eifriger in's Zeug, um die 2000 Mk. Grenze bei der Ein-
kommensteuer, über die hinaus diese Steuer für das Wahlrecht nicht in Anrech-
nung kommen sollte, durchzusetzen.

„Jn meiner Vaterstadt Köln, rief er, wählen Landgerichtsräthe, Oberlandes-
gerichtsräthe und Landgerichtsdirektoren in der 3. Klasse. Wir haben hier in
Berlin die Thatsache, daß die meisten Minister in der 3. Klasse wählen. Absolut
unhaltbare Zustände. Es wird unser Bestreben sein müssen, diese Ele-
mente für die 2. Klasse zu retten
(das war also der Zweck und Kernpunkt
der Reform des Zentrums. D. Verf.); dieselben gehören in die 2. Klasse
hinein
! (Große Heiterkeit.)

„Meine Herren, ich hätte sagen können: sie gehören mindestens in die
2. Klasse hinein! (Heiterkeit.)

Welche Volksfreundlichkeit, welcher Radikalismus!

*) Reform zum Schlechteren, d.h. zu Gunsten des Geldsacks. – Die Sperrung
der Sätze und die (!) rühren von uns her. Der Verfasser.
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[27/0031] für öffentliche Zwecke. Damit würde es aber doch im direkten Widerspruch stehen, wenn sich der Umfang des Wahlrechts nicht nach der Steuer, die Jemand entrichtet, sondern nach den Steuern, die ihm erlassen werden, bemessen soll.“ Und Herrfurth schließt: „Lieber eine Verzögerung um ein oder zwei Jahre, als eine Reform, welche zwar nicht die Absicht (!), nach meinem Dafürhalten aber die Wirkung haben würde, die Jnteressen der Gemeinden und kommunalen Verbände und die politischen Rechte der minder wohlhabenden Klassen den Jnteressen einzelner Klassen von Besitzenden hintanzustellen, eine Reform, welche trotz der besten Absicht (!) Gefahr laufen würde, sich zu gestalten zu einer reformatio in pejus.“ *) Hervorgehoben muß werden, daß Herrfurth ein Anhänger des Dreiklassen- wahlsystems ist, aber die Reform im plutokratisch-agrarischen Sinne ging ihm wider den Strich. Daher warnte er auch in der Sitzung vom 13. Januar 1893, nachdem er hervorgehoben hatte, daß schon im Jahre 1888 mehr als 4000 Urwahlbezirke vorhanden gewesen waren, in welchen die Wahl- männer von 1 und 2 Wählern ernannt wurden, der plutokratische Charakter der Wahlrechts also schon damals ein sehr bedenklicher gewesen ist: „Wir dürfen uns nicht verhehlen, die bloße Existenz des Reichstagswahl- rechts ist eine schwere und dauernde Gefahr für das Dreiklassenwahlsystem.“ Aber seine Warnungen und Rathschläge verhallten. Die Majorität war entschlossen, unter allen Umständen ein Gesetz zu Stande zu bringen, das den reichen Klassen die Macht sicherte. Zwar stellte die freisinnige Fraktion unter Führung Rickert's den Antrag, das Reichstagswahlgesetz auch für die Landtags- wahlen einzuführen, aber dieser Antrag würde so lau und lahm und in so ele- gischer Stimmung durch den Antragsteller vertheidigt, daß alle Welt sah, der Antrag wurde nur anstandshalber gestellt. Das rückte namentlich der freikonser- vative Abgeordnete Ahrendt den Freisinnigen vor. Die Antragsteller ließen es auch zu, daß ihr Antrag so rasch als möglich todtgeschlagen wurde, indem sie einwilligten, daß der Antrag, der ein Gesetzentwurf war, als Amendement zur Regierungs- vorlage behandelt wurde – „um Zeit zu ersparen“ – wodurch er mit einer Abstimmung abgethan war. Auch die sonstige Haltung der Freisinnigen in den Kommissions- und Plenarverhandlungen war eine sehr lahme. Sie betheiligten sich mit einem Ernst an der Amendirung der Regierungsvorlage, der zeigte, sie würden herzlich gerne für eine solche „Reform“ gestimmt haben, wäre ihnen dieses einigermaßen möglich gemacht worden. Jm höchsten Grade traurig benahm sich das Zentrum in der Sitzung vom 13. Januar 1893. Sein Vertreter, der Ab- geordnete Bachem, begnügte sich, dem allgemeinen gleichen und direkten Wahlrecht einige platonische Komplimente zu machen. Er wolle auf diese Frage jetzt nicht eingehen, eine Diskussion darüber habe nur akademischen Werth. Da- gegen legte er sich um so eifriger in's Zeug, um die 2000 Mk. Grenze bei der Ein- kommensteuer, über die hinaus diese Steuer für das Wahlrecht nicht in Anrech- nung kommen sollte, durchzusetzen. „Jn meiner Vaterstadt Köln, rief er, wählen Landgerichtsräthe, Oberlandes- gerichtsräthe und Landgerichtsdirektoren in der 3. Klasse. Wir haben hier in Berlin die Thatsache, daß die meisten Minister in der 3. Klasse wählen. Absolut unhaltbare Zustände. Es wird unser Bestreben sein müssen, diese Ele- mente für die 2. Klasse zu retten (das war also der Zweck und Kernpunkt der Reform des Zentrums. D. Verf.); dieselben gehören in die 2. Klasse hinein! (Große Heiterkeit.) „Meine Herren, ich hätte sagen können: sie gehören mindestens in die 2. Klasse hinein! (Heiterkeit.) Welche Volksfreundlichkeit, welcher Radikalismus! *) Reform zum Schlechteren, d.h. zu Gunsten des Geldsacks. – Die Sperrung der Sätze und die (!) rühren von uns her. Der Verfasser.

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Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-10-30T15:09:45Z)

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Zitationshilfe: Bebel, August: Die Sozialdemokratie und das Allgemeine Stimmrecht. Berlin, 1895, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bebel_sozialdemokratie_1895/31>, abgerufen am 27.11.2024.