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Baumstark, Eduard: Kameralistische Encyclopädie. Heidelberg u. a., 1835.

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§. 33.
Fortsetzung.

Aber auch die Deutschen blieben in den wissenschaftlichen Fort-
schritten nicht zurück, auch sie gingen einen selbstständigen Gang.
Zuerst ist hier A. L. v. Schlötzer1) zu erwähnen, der Vater der
jetzigen Staatswissenschaft. Dieser große Mann trat in die Fuß-
stapfen von Conring und Achenwall, und verband die Ideal-
politik der Platonischen und Aristotelischen Schulen mit der prak-
tischen Politik (Staatskunst) der modernen abendländischen Zeit,
indem er jene idealen Prinzipien auf die praktischen Verhältnisse
der neueren Zeit anwenden lehrte, und begründete so das System
der Staatswissenschaften, in welchem die Staatenverhältnisse noch
von einem weitern Gesichtspunkte als von jenem des politischen
Theiles der Kameralwissenschaften dargestellt werden. Er erhob
eine auf schwachen Füßen stehende Kunst zu einer auf Prinzipien
basirten Wissenschaft von der Einrichtung und Verwaltung des
Staatskörpers. Dazu war nicht blos nöthig, die Philosophie und
Geschichte um Rath zu fragen, sondern es mußte auch auf den
gegenwärtigen allseitigen Zustand des Staates besser als bisher
Rücksicht genommen werden. Es bildete daher v. Schlötzer nicht
blos eine staatswissenschaftliche, sondern auch eine neue
statistische Schule2), so daß mit ihm auch die Statistik zu einer
wissenschaftlichen Theorie erhoben wurde. Auch hier nahm das
früher mehr Kunstartige den Charakter der Wissenschaft an.

1) A. L. v. Schlötzer Briefwechsel. Göttingen 1780-82. 1775. Staats-
anzeigen. 1782-95 (Fortsetzung des Briefwechsels). -- Staatsgelehrsamkeit. 1793.
1ter Band. Theorie der Statistik. 1804. 2ter Bd.
2) Die Statistik war zwar schon vor ihm durch Conring und Achenwall
namentlich systematisch behandelt. Allein Schlötzer schrieb die erste Theorie der-
selben. v. Malchus, Statistik und Staatenkunde. Stuttgart und Tübingen 1826.
S. 2. Note 1.
§. 34.
Fortsetzung.

Hat man an den drei bisher genannten Köpfen neben der phi-
losophischen Wirksamkeit zugleich auch eine historische und prak-
tisch-politische wahrgenommen, so muß auch des Imanuel Kant
und J. G. v. Herder Erwähnung geschehen. Wenn man auch
gänzlich von den großen Verdiensten der Kantischen Philosophie
um alle Wissenschaften in Betreff der logischen Schärfe und Klar-
heit absehen will, wenn man den glücklichen Aufschwung nicht
beachten will, den sie in das ganze literarische Leben ihrer Zeit

§. 33.
Fortſetzung.

Aber auch die Deutſchen blieben in den wiſſenſchaftlichen Fort-
ſchritten nicht zurück, auch ſie gingen einen ſelbſtſtändigen Gang.
Zuerſt iſt hier A. L. v. Schlötzer1) zu erwähnen, der Vater der
jetzigen Staatswiſſenſchaft. Dieſer große Mann trat in die Fuß-
ſtapfen von Conring und Achenwall, und verband die Ideal-
politik der Platoniſchen und Ariſtoteliſchen Schulen mit der prak-
tiſchen Politik (Staatskunſt) der modernen abendländiſchen Zeit,
indem er jene idealen Prinzipien auf die praktiſchen Verhältniſſe
der neueren Zeit anwenden lehrte, und begründete ſo das Syſtem
der Staatswiſſenſchaften, in welchem die Staatenverhältniſſe noch
von einem weitern Geſichtspunkte als von jenem des politiſchen
Theiles der Kameralwiſſenſchaften dargeſtellt werden. Er erhob
eine auf ſchwachen Füßen ſtehende Kunſt zu einer auf Prinzipien
baſirten Wiſſenſchaft von der Einrichtung und Verwaltung des
Staatskörpers. Dazu war nicht blos nöthig, die Philoſophie und
Geſchichte um Rath zu fragen, ſondern es mußte auch auf den
gegenwärtigen allſeitigen Zuſtand des Staates beſſer als bisher
Rückſicht genommen werden. Es bildete daher v. Schlötzer nicht
blos eine ſtaatswiſſenſchaftliche, ſondern auch eine neue
ſtatiſtiſche Schule2), ſo daß mit ihm auch die Statiſtik zu einer
wiſſenſchaftlichen Theorie erhoben wurde. Auch hier nahm das
früher mehr Kunſtartige den Charakter der Wiſſenſchaft an.

1) A. L. v. Schlötzer Briefwechſel. Göttingen 1780–82. 1775. Staats-
anzeigen. 1782–95 (Fortſetzung des Briefwechſels). — Staatsgelehrſamkeit. 1793.
1ter Band. Theorie der Statiſtik. 1804. 2ter Bd.
2) Die Statiſtik war zwar ſchon vor ihm durch Conring und Achenwall
namentlich ſyſtematiſch behandelt. Allein Schlötzer ſchrieb die erſte Theorie der-
ſelben. v. Malchus, Statiſtik und Staatenkunde. Stuttgart und Tübingen 1826.
S. 2. Note 1.
§. 34.
Fortſetzung.

Hat man an den drei bisher genannten Köpfen neben der phi-
loſophiſchen Wirkſamkeit zugleich auch eine hiſtoriſche und prak-
tiſch-politiſche wahrgenommen, ſo muß auch des Imanuel Kant
und J. G. v. Herder Erwähnung geſchehen. Wenn man auch
gänzlich von den großen Verdienſten der Kantiſchen Philoſophie
um alle Wiſſenſchaften in Betreff der logiſchen Schärfe und Klar-
heit abſehen will, wenn man den glücklichen Aufſchwung nicht
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[42/0064] §. 33. Fortſetzung. Aber auch die Deutſchen blieben in den wiſſenſchaftlichen Fort- ſchritten nicht zurück, auch ſie gingen einen ſelbſtſtändigen Gang. Zuerſt iſt hier A. L. v. Schlötzer1) zu erwähnen, der Vater der jetzigen Staatswiſſenſchaft. Dieſer große Mann trat in die Fuß- ſtapfen von Conring und Achenwall, und verband die Ideal- politik der Platoniſchen und Ariſtoteliſchen Schulen mit der prak- tiſchen Politik (Staatskunſt) der modernen abendländiſchen Zeit, indem er jene idealen Prinzipien auf die praktiſchen Verhältniſſe der neueren Zeit anwenden lehrte, und begründete ſo das Syſtem der Staatswiſſenſchaften, in welchem die Staatenverhältniſſe noch von einem weitern Geſichtspunkte als von jenem des politiſchen Theiles der Kameralwiſſenſchaften dargeſtellt werden. Er erhob eine auf ſchwachen Füßen ſtehende Kunſt zu einer auf Prinzipien baſirten Wiſſenſchaft von der Einrichtung und Verwaltung des Staatskörpers. Dazu war nicht blos nöthig, die Philoſophie und Geſchichte um Rath zu fragen, ſondern es mußte auch auf den gegenwärtigen allſeitigen Zuſtand des Staates beſſer als bisher Rückſicht genommen werden. Es bildete daher v. Schlötzer nicht blos eine ſtaatswiſſenſchaftliche, ſondern auch eine neue ſtatiſtiſche Schule2), ſo daß mit ihm auch die Statiſtik zu einer wiſſenſchaftlichen Theorie erhoben wurde. Auch hier nahm das früher mehr Kunſtartige den Charakter der Wiſſenſchaft an. ¹⁾ A. L. v. Schlötzer Briefwechſel. Göttingen 1780–82. 1775. Staats- anzeigen. 1782–95 (Fortſetzung des Briefwechſels). — Staatsgelehrſamkeit. 1793. 1ter Band. Theorie der Statiſtik. 1804. 2ter Bd. ²⁾ Die Statiſtik war zwar ſchon vor ihm durch Conring und Achenwall namentlich ſyſtematiſch behandelt. Allein Schlötzer ſchrieb die erſte Theorie der- ſelben. v. Malchus, Statiſtik und Staatenkunde. Stuttgart und Tübingen 1826. S. 2. Note 1. §. 34. Fortſetzung. Hat man an den drei bisher genannten Köpfen neben der phi- loſophiſchen Wirkſamkeit zugleich auch eine hiſtoriſche und prak- tiſch-politiſche wahrgenommen, ſo muß auch des Imanuel Kant und J. G. v. Herder Erwähnung geſchehen. Wenn man auch gänzlich von den großen Verdienſten der Kantiſchen Philoſophie um alle Wiſſenſchaften in Betreff der logiſchen Schärfe und Klar- heit abſehen will, wenn man den glücklichen Aufſchwung nicht beachten will, den ſie in das ganze literariſche Leben ihrer Zeit

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Zitationshilfe: Baumstark, Eduard: Kameralistische Encyclopädie. Heidelberg u. a., 1835, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumstark_encyclopaedie_1835/64>, abgerufen am 23.11.2024.