Die besondern Schriften über den politischen Theil der Kameral- wissenschaften suchen daher entweder, vollgepfropft von antiquarischer Gelehrsamkeit, die Verwaltungsmaximen der Alten auf die prak- tischen Verhältnisse späterer Zeit anzuwenden2), oder sie sind am Grundsatze und dessen consequenter Durchführung mangelhaft3). Besonders dienten die Maximen als Richtschnur, welchen der Her- zog von Sully, Minister Heinrichs IV. von Frankreich4), wäh- rend seiner Verwaltung, und Colbert, Finanzminister Ludwigs XIV. zu seiner Zeit5) befolgt hatten, welches Lezteren System selbst bis auf den heutigen Tag der Entwickelung der Kameralwissenschaft noch hinderlich ist. Da sich aber der Natur der Sache nach das Polizeiwesen mehr den Kammersachen anschloß (§. 24.) als an die Rechtswissenschaft, so setzte man diese jenen gegenüber, und nannte jene zusammen Administration, Administrativwesen, Ver- waltung, obschon dieser Begriff an sich weiter ist. Die Polizei in diesem Sinne definirte man daher meistens nur negativ als diejenigen Administrationsgeschäften, welche nicht das Kammer- oder Finanzwesen betrafen, und jede positive Definition mußte nothwendigerweise mißlingen6). Endlich 3) aus der Kameral- wissenschaft im engeren Sinne, gleichbedeutend mit Finanzwis- senschaft, unter welcher man die Lehre von der Erhebung und Verwendung der fürstlichen Einkünfte verstand. Obschon dieser noch älter war, als die eigentliche Polizeiwissenschaft, so war sie doch von einer wissenschaftlichen Ausbildung noch ganz fern, weil sie alle Mängel der kameralistischen Praxis in sich hatte, immer als eine mehr praktische Kunst betrachtet wurde, und gerade die Hauptstützen ihrer Bildung, nämlich die Grundsätze von der Natur, Entstehung, Vermehrung und Verzehrung des Vermögens der Na- tionen, als Collektivbegriffs der Bürger mit ihren Besitzthümern, fehlten7). Die bis zum lezten Dritttheile des 18ten Jahrhunderts herrschende Systematisirung der Kameralwissenschaft war ungefähr folgende:
I. Oeconomischer Theil und zwar
a)Landwirthschaftslehre, nämlich Landwirthschafts- lehre im eigentlichen Sinne, Forstwirthschaftslehre und Bergbaulehre.
b)Stadtwirthschaftslehre, nämlich Technologie und Handelslehre.
II. Politischer Theil und zwar
a) Polizeiwissenschaft
b) Kameralwissenschaft
im obigen Sinne8).
Die beſondern Schriften über den politiſchen Theil der Kameral- wiſſenſchaften ſuchen daher entweder, vollgepfropft von antiquariſcher Gelehrſamkeit, die Verwaltungsmaximen der Alten auf die prak- tiſchen Verhältniſſe ſpäterer Zeit anzuwenden2), oder ſie ſind am Grundſatze und deſſen conſequenter Durchführung mangelhaft3). Beſonders dienten die Maximen als Richtſchnur, welchen der Her- zog von Sully, Miniſter Heinrichs IV. von Frankreich4), wäh- rend ſeiner Verwaltung, und Colbert, Finanzminiſter Ludwigs XIV. zu ſeiner Zeit5) befolgt hatten, welches Lezteren Syſtem ſelbſt bis auf den heutigen Tag der Entwickelung der Kameralwiſſenſchaft noch hinderlich iſt. Da ſich aber der Natur der Sache nach das Polizeiweſen mehr den Kammerſachen anſchloß (§. 24.) als an die Rechtswiſſenſchaft, ſo ſetzte man dieſe jenen gegenüber, und nannte jene zuſammen Adminiſtration, Adminiſtrativweſen, Ver- waltung, obſchon dieſer Begriff an ſich weiter iſt. Die Polizei in dieſem Sinne definirte man daher meiſtens nur negativ als diejenigen Adminiſtrationsgeſchäften, welche nicht das Kammer- oder Finanzweſen betrafen, und jede poſitive Definition mußte nothwendigerweiſe mißlingen6). Endlich 3) aus der Kameral- wiſſenſchaft im engeren Sinne, gleichbedeutend mit Finanzwiſ- ſenſchaft, unter welcher man die Lehre von der Erhebung und Verwendung der fürſtlichen Einkünfte verſtand. Obſchon dieſer noch älter war, als die eigentliche Polizeiwiſſenſchaft, ſo war ſie doch von einer wiſſenſchaftlichen Ausbildung noch ganz fern, weil ſie alle Mängel der kameraliſtiſchen Praxis in ſich hatte, immer als eine mehr praktiſche Kunſt betrachtet wurde, und gerade die Hauptſtützen ihrer Bildung, nämlich die Grundſätze von der Natur, Entſtehung, Vermehrung und Verzehrung des Vermögens der Na- tionen, als Collektivbegriffs der Bürger mit ihren Beſitzthümern, fehlten7). Die bis zum lezten Dritttheile des 18ten Jahrhunderts herrſchende Syſtematiſirung der Kameralwiſſenſchaft war ungefähr folgende:
I. Oeconomiſcher Theil und zwar
a)Landwirthſchaftslehre, nämlich Landwirthſchafts- lehre im eigentlichen Sinne, Forſtwirthſchaftslehre und Bergbaulehre.
b)Stadtwirthſchaftslehre, nämlich Technologie und Handelslehre.
II. Politiſcher Theil und zwar
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Die beſondern Schriften über den politiſchen Theil der Kameral-
wiſſenſchaften ſuchen daher entweder, vollgepfropft von antiquariſcher
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tiſchen Verhältniſſe ſpäterer Zeit anzuwenden2), oder ſie ſind
am Grundſatze und deſſen conſequenter Durchführung mangelhaft3).
Beſonders dienten die Maximen als Richtſchnur, welchen der Her-
zog von Sully, Miniſter Heinrichs IV. von Frankreich4), wäh-
rend ſeiner Verwaltung, und Colbert, Finanzminiſter Ludwigs XIV.
zu ſeiner Zeit5) befolgt hatten, welches Lezteren Syſtem ſelbſt bis
auf den heutigen Tag der Entwickelung der Kameralwiſſenſchaft
noch hinderlich iſt. Da ſich aber der Natur der Sache nach das
Polizeiweſen mehr den Kammerſachen anſchloß (§. 24.) als an die
Rechtswiſſenſchaft, ſo ſetzte man dieſe jenen gegenüber, und nannte
jene zuſammen Adminiſtration, Adminiſtrativweſen, Ver-
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in dieſem Sinne definirte man daher meiſtens nur negativ als
diejenigen Adminiſtrationsgeſchäften, welche nicht das Kammer-
oder Finanzweſen betrafen, und jede poſitive Definition mußte
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noch älter war, als die eigentliche Polizeiwiſſenſchaft, ſo war ſie
doch von einer wiſſenſchaftlichen Ausbildung noch ganz fern, weil
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Hauptſtützen ihrer Bildung, nämlich die Grundſätze von der Natur,
Entſtehung, Vermehrung und Verzehrung des Vermögens der Na-
tionen, als Collektivbegriffs der Bürger mit ihren Beſitzthümern,
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herrſchende Syſtematiſirung der Kameralwiſſenſchaft war ungefähr
folgende:
I. Oeconomiſcher Theil und zwar
a) Landwirthſchaftslehre, nämlich Landwirthſchafts-
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b) Stadtwirthſchaftslehre, nämlich Technologie und
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II. Politiſcher Theil und zwar
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Baumstark, Eduard: Kameralistische Encyclopädie. Heidelberg u. a., 1835, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumstark_encyclopaedie_1835/59>, abgerufen am 24.11.2024.
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